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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Becker, Benno: Die Ausstellung der Secession in München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0433

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Die Ausstellung der Secession in München.

auf dem Markt muß die Ware nach dem Geschmack des
Käufers sein, gerade so bunt, gerade so trivial, wie er
es verlangt und wohlgeordnet von allen Sorten. Etwas
Heiteres für die Gutgelaunten und ein wenig Ernstes für
die Schwermütigen, ein leicht verständlicher Witz für die
Denkfaulen und für die nachdenklichen ein kleines Bilder-
rätsel. Vergnügte Mönche, melancholische Nonnen, sauberne
Dirnen, kernige Bauern, alle die gut etikettischen Schub-
laden, die das geehrte Publikum genau kennt und von
Herzen liebt, müssen mit solid gearbeiteter Ware gefüllt
sein. Das sind durchaus ehrenwerte Leute, die solche Waren
anfertigen, höchst achtbare Männer, die sich im Schweiße
ihres Angesichtes ihr Brod verdienen. Märtyrer oft,
die gerne etwas Besseres möchten, auch könnten vielleicht
und doch von der täglichen Sorge immer wieder be-
zwungen werden, das Meisterstück, das sie einmal ge-
fertigt, wieder und wieder herzustellen in endlosen Wieder-
holungen. Ehrenwerte Männer sind es, die für das
Bedürfnis des Tages arbeiten, aber Künstler sind sie
nicht, gerade so wenig wie alle Schriftsteller Dichter
sind. Zu allen Zeiten hat es solche Maler gegeben,
wie der Tag sie brauchte, nur daß man früher nicht so
viel von ihnen erfuhr, als jetzt zur Zeit der unzähligen
Ausstellungen. Wer in den großen Drillanstaltcn, Aka-
demien genannt, abgerichtet wurde, mit Farbe und
Pinsel zu hantieren, kann ein sehr geschickter Maler
sein, kann, wenn er Geschmack und Intelligenz hat, zu
lauter Erfolgen kommen und er ist dennoch kein Künstler.
Das Künstlertum kann nirgends gelehrt werden, es ist
da oder es ist nicht da. Der herkömmliche Sprach-
gebrauch ist es, der die Grenzen zwischen Malern in
malenden Künstlern verwischt. In litterarischen Dingen
geschieht das nicht. Es wird niemanden einfallen, irgend
einen geschickten Possenfabrikanten oder einen fruchtbaren
Romanschriftsteller ohne weiteres zum Dichter zu stempeln.
Allerdings ist das Urteil, das allgemeine wenigstens, oft
getrübt durch die Mode und durch die geringe Distanz.
Unwillkürlich wird es parteiischer, für oder wider, je
näher ihm zeitlich die Leistung steht. Daher die merk-
würdigen Überschätzungen der Zeitgenossen zum Beispiel
bei Kotzebue, Raupach, Raphael Mengs, Cornelius und
die noch merkwürdigeren Unterschätzungen bei Feucrbach,
Boecklin und einer ganzen Reihe bedeutender Künstler.

Es ist nun klar, daß unter den vielen Tausend
Malern unsrer Zeit die weitaus größere Zahl jener
Klasse von fleißigen Arbeitern angehört, die das leisten,
was die Laune des Tages, die Mode des Augenblicks
verlangt. Denn dünn nur sät Natur die Talente aus.
Nur wenige Starke und Eigenwille giebt es, die mit
bewußter Kraft, mit scharfgeprägter Individualität sich
dem alles gleichmachenden Strom der Alltäglichkeit entgegen-
wcrfen und ihn kühn und sicher durchschwimmen. Diesen
Starken ist es nicht zu verdenken, daß sie sich trennen
von der großen Schar der Schwächlichen. Sie erkennen
ihnen ihre Daseinsberechtigung zu, sie wollen sie nicht
verkümmern, in ihren Rechten ihnen nicht zu nahe
treten in ihren Existenzbedingungen. Aber sie wollen
allein sein, ganz allein für sich, Gleichgesinnte mit Gleich-
gesinnten. Alle vereint unter einem Banner, denen die
Kunst um der Kunst willen am Herzen liegt, die durch

keinen äußeren Zwang oder inneren Drang Zugeständnisse
zu machen geneigt sind, deren Begründung außerhalb
künstlerischer Grenzen liegt. Das ist der Grundgedanke
der Münchener Secession, das die Motive, die zu einer
Trennung der Münchener Künstlerschaft führten. Und
wenn auch die letzten Anlässe, die zur Spaltung führten,
äußerlicher und mehr persönlicher Natur zu sein schienen,
so war das eben der letzte Anstoß, wie große Spannungen,
die schon lange in der Luft liegen, oft gelöst werden
durch einen kleinen nnd scheinbar unbedeutenden Zu-
fall. Und wenn, was mit so lauteren und großen Ideen
ins Werk gesetzt wurde, auch nicht gleich von allem An-
fang als schlackenfrei in die Erscheinung tritt, so ist
das natürlich wie bei allem Menschenwerk und in magnis
voluisse sat est.

Übrigens folgten die Münchener erst dem Beispiel,
das anderswo gegeben. Paris, das die Unsitte der
großen Ausstellungen erfunden hatte, strebte auch zuerst
eine Reform an. Auch in London trat eine Spaltung
in kleine Gesellschaften ein, in Brüssel und Amsterdam
tauchten kleine Kunstklubs auf und auch in Deutschland
fangen sie allmählich an sich einzubürgern. Vielleicht
sind dies die Anfänge des zukünftigen Ausstellungswesens;
gesund und sachgemäß wäre eine Entwickelung nach dieser
Richtung ohne Zweifel.

Der Hauptpunkt also des Secessionprogramms ist
die Forderung einer künstlerischen Ausstellung ohne jeden
Kompromiß. Keine Verkaufsware, keine Schablouen-
malerei; nur eine beschränkte Zahl von Bildern
in intimen Räumen aufgestellt. Daß die erste Aus-
stellung der Secession in München im großen und ganzen
diesem Programm entspricht, werden auch die bisherigen
Gegner der Sache nicht leugnen können. Eines tritt
vor allen Dingen deutlich hervor, daß keine Einseitigkeit
zum Prinzip erhoben, daß das Talent und nicht die
Richtung beachtet wurde. Nicht modern, sondern
künstlerisch war das Stichwort, und mußte es sein.
Denn verschiedene Kulturperioden fließen unmerklich in-
einander, die Grenzlinien schwanken hinüber und
herüber; nebeneinanderher laufen die Strömungen und
geraume Zeit dauert es, bis die alten Melodien ver-
klungen sind.

Es wäre unbillig zu verlangen, daß jedes aus-
gestellte Bild nun ein vollgiltiges Kunstwerk sei. Un-
billig und thöricht. Denn wenn in jeder der vielen
europäischen Kunstausstellungen jedes Jahr auch nur
ein wirklich hervorragendes Kunstwerk wäre, so würde
das im Verlauf weniger Jahrzehnte eine solche Summe
von Meisterwerken moderner Kunst geben, eine solche
Sammlung von Genies, daß die Renaissance dagegen
ärmlich erschiene. Es ist also wahrscheinlich, daß sich
nicht einmal ein einziges Meisterwerk in jeder unsrer
Ausstellungen befindet. Aber dafür kann auch keine
Jury der Welt sorgen. Doch dafür kann und muß sie
sorgen, daß kein Werk zugelassen wird, in dem nicht
wenigstens ein wenn auch noch so schwacher Widerschein
einer künstlerischen Persönlichkeit steckt. Und in diesem
Sinne hat die Jury der ersten Ausstellung der Münchener
Sezession ihre Pflicht erfüllt.

(Ein zweiter Bericht folgt.)
 
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