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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 1
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Herrmann, Wolfgang: Neue Berliner Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0058

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ERICH MENDELSOHN, HAUS HERPICH IN DER LEIPZIGER
STRASSE (NOCH UNVOLLENDET)

Muthesius), daß man wünschte, die ganze archi-
tektonisch so minderwertige Straßenwand würde
in diesem Sinne verändert. Es ergäbe eine moderne
Geschäftsstraße, die nicht mehr im Gegensatz zu
dem sie erfüllenden Leben steht.

Gleichzeitig ist das Luckhardtsche Haus aber
eine Warnung. Auch die Leipziger Straße war
Wohnstraße; auch sie hat sich langsam in eine
Geschäftsstraße verwandelt. Zuerst nur durch Ein-
bau von Ladengeschäften. Das ist heute das Stadium
der Tauentzienstraße. Danach wurden in der Leip-
ziger Straße die Geschäftspaläste errichtet — in
einem wilden Chaos. Kein Haus nahm Rücksicht
aut seinen Nachbar und nicht jedes ist von der
gleichen künstlerischen Qualität wie der Wertheim-

bau. Es bestand kein Plan, keine Ordnung, kein
Sinn für Zusammengehörigkeit.

Die Gefahr besteht, daß die Tauentzienstraße
und ebenso der Kurfürstendamm das gleiche Schick-
sal ereilt. Gewiß — das Luckhardtsche Haus ist
gut, aber die Mentalität der Berliner Architekten
hat sich durchaus noch nicht geändert. Einen Ge-
samtplan für die Umwandlung dieser Straße heute
festzulegen, hat keinen Sinn, da diese Veränderung
sich über Jahre hinzieht, und Stil und Geschmack
sich schneller ändern. Es ist jedoch durchaus mög-
lich, daß morgen neben dem Luckhardtschen Haus
ein neues errichtet wird, das auch künstlerischen
Wert besitzt, ohne aber mit seinem Nachbar eine
Einheit zu bilden. Das Übel ist noch genau das
gleiche wie in einer jüngst vergangenen Zeit: die
meisten Berliner Architekten wollen um jeden Preis
individuell sein. Sie erkennen nicht die größere
Macht, die die Straßenzeile, das Stadtganze ausübt.
Schließlich ist es eine Frage des Taktes und der
inneren Haltung. Städte mit älterer, selbstverständ-
licherer Kultur, wie z. B. Hamburg, besitzen zwar
nicht so gute Architekten wie wir, dafür haben
sie aber in hohem Maße diese „innere Haltung".
Gerade weil Berlin so reich an künstlerischen
Kräften ist, wäre es doppelt zu bedauern, wenn
dieser selbstverständliche künstlerische Takt, die
Rücksichtnahme auf das Nebengebäude und der
Sinn für die „Zeile", nicht zu erreichen wäre.

Wieviel durch eine solche Zurückhaltung zu
erzielen ist, zeigt der Poelzigsche Kapitolsbau. Viel-
leicht ist er so gut geglückt, weil Poelzig vorher
in dem G. D. A.-Gebäude in der Budapester Straße
eine verwandte Aufgabe zu lösen hatte. Es ist als
eine Art Vorstudie zum Kapitolsbau anzusehen,
an dem vor allem die Einbindung der Lichtreklame
in den architektonischen Körper vorbildlich ist.
Als Gegenbeispiel vergleiche man das in dieser
Beziehung ganz mißglückte Europahaus am An-
halter Bahnhof. Gewiß, Poelzig hatte es im Ver-
gleich zum Luckhardtschen Haus wesentlich leichter.
Er hatte eine ganze Platzwand für sich. Aber nur,
weil das Gebäude so wenig individuell im alten
Sinne ist, nur durch diese einfache Sachlichkeit,
gelang es, dem gänzlich verfahrenen Platz um die
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche ein modernes
Ansehen zu geben.

Erich Mendelsohn, einem der individuellsten
Berliner Architekten, das Gebäude neben dem Luck-

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