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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 9
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Scheffler, Karl: Erich Mendelsohn
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0381

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Velde beeinflußt ist. Das Ornament des Belgiers verwandelte sich ihm
in Architekturideen von Bahnhöfen und Fabriken, von Zweckbauten,
deren Zweck noch gar nicht feststand, von breit gelagerten oder hoch
getürmten Massen. Was in van de Veldes Möbeln künstlerisch motivie-
rend war, das geriet bei Mendelsohn zum ingenieurhaft Motivierenden.
Denn zwischen den beiden, um eine Generation voneinander Getrenn-
ten, liegt der Sieg des Eisens und des Glases als Baumaterial und die
Ausbildung des Betonbaues. Damit hängt es auch zusammen, daß Men-
delsohn sehr summarisch mit van de Veldes abstrakten, energiegeladenen
Arabeskenformen umging. Als er dann zu bauen begann, fand er bald
heraus, daß es ein anderes ist, vom Zeichentisch oder vom Bauplatz aus
zu denken. Denn er ist sehr intelligent. Der Einsteinturm in Potsdam
ist noch wie aus der Masse modelliert, er hat etwas Kunstgewerbliches
und etwas Romantisches, das an den Jugendstil erinnert. In der Folge
ist Mendelsohn schnell von dieser barocken Bauweise abgekommen, er
hat sich konsequent dem rein Tektonischen zugewandt. Seine neueren
Bauten sehen in den Gelenken wie genietet aus. Sie sind flächig ge-
worden, es herrscht die gerade Vertikale und Horizontale, das Runde
aber ist klar in Eisenrippen gefaßt. In vielen Fällen wird das Mauer-
werk vom Gerüst getragen und wechselt ab mit großen Glasflächen.
Am besten gelingt die Realisierung im Geschäftshaus. Dort brauchen nicht
Sentiments berücksichtigt oder gewaltsam überwunden zu werden, wie
beim Wohnhaus. Im Geschäftshaus ist der Geist der Straße, und den
versteht Mendelsohn überall gut zum Ausdruck zu bringen. Er ist in
keiner Weise ein intimes Talent, sondern ein öffentliches; er ist ge-
wissermaßen ein Zeitungstemperament, ein Chefredakteur der Groß-
stadtarchitektur. Darum ist in der Bauweise dieses Mannes, der wie
wenige den Instinkt für seine Zeit hat, etwas Sensationelles; es scheint
alles sachlicher als es ist, die Formenknappheit ist nicht selten Wirkungs-
absicht. Dennoch ist auch viel von einem allgemeinen Lebensstil der.zu-
künftigen Großstadt in Mcndelsohns Bauten. Die besten lassen die An-
fänge eines Bau-

ERICH MENDELSOHN, UMBAU DES DEUKONHAUSES
BERLIN. 1927. FRONT

ERICH MENDELSOHN, LOGE ZU DEN DREI ERZVÄTERN
TILSIT. 1925. ECKDETAIL

ingenieurstils er-
kennen, der glei-
cherweise in un-
seren Häusern,
Schiffsarchit ektu-
ren, Eisenbahn-
wagen, Autos,
Flugzeugen, kurz,
der überall sein

wird, wie es sich für einen lebendigen Stil geziemt.

Die bisherige Leistung Mendelsohns hatte in der Ausstellung
etwas Imponierendes. Nicht durch die Masse des Geleisteten —
Mendelsohn ist einer der meistbeschäftigten Architekten — und nicht
durch die künstlerische Haltung, sondern durch die ungemeine Tüch-
tigkeit, die sich in allem ausspricht, durch die kühne Folgerichtig-
keit und überzeugende Klugheit der Planung. Und auch durch die
Internationalität der Haltung, durch die europäische Gesinnung.
Mendelsohn ist ein großer Praktiker. Seine ausscheidende Kritik ist
produktiv und er kann als ein wichtiger Reiniger moderner Bau-
begriffe bezeichnet werden. Gut ist Mendelsohns Bauweise schon in
dem, was sie alles wegläßt. Positiv ist sie sodann in der Gliede-
rung und in der logischen Behandlung aller Teile; und sie ist so
klug, daß das rein Künstlerische an vielen Stellen wenigstens berührt
wird. Es fehlt nicht immer das Geschmacklose, vor allem in den
Wohnhäusern; es verschwindet aber von Jahr zu Jahr mehr,
 
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