Die Sammlung Max Leon Flemming in fjamburg
Von PAUL ERICH KÜPPERS
Mit 14 Abbildungen auf sieben Tafeln
2wiß ift jede geijtige Cat die einmalige Leitung der fdjaffenden Perfönlid)keit und
fpiegelt als fold)e die befondere Seelenverfaffung ihres Schöpfers wieder. Äber
diefer Schöpfer ift mit [einem Kliffen, Glauben, Füllen der pfyd)ifd)en Einteilung
feiner 3^it verbunden. Klas pe in fid) trägt an Glück und Ängft, an Leidenfd)aft und
Verzweiflung ift aud) ihm als ihrem Kinde eingeboren. Und wie alles Cun und Klollen
einem beftimmten Gefetj unterworfen, fo find noch die fubjektivften Geften der Menfchen
von jenen überperfönlidjen geiftigen Kräften bedingt, die wir als Kleitgefühl der 3eit
begreifen.
Von fold)em Standpunkt aus betrachtet, ift das Kunftwerk nid)t nur Bekundung
fubjektiver Gefüf)lsfd)wankungen fondern aud) ein klares Sinnbild für die geiftig-
feelifd)e Situation, in der die Menfd)l)eit fid) gerade befindet. Dies gilt vom Klerk des
Malers und des Bildhauers ebenfo wie von dem des Dichters und des Denkers. Es
gilt in gleicher Kleife von der Schöpfung des Sammlers.
Eine 3eit» da KIiffenfd)aft und Verftand ihre höd)ften Criumphe feierten, da Objek-
tivität, Logik, Syftematik als fd)önfte Lügenden gepriefen wurden, als die empirifch
bewiefene Einzeltatfache mehr galt als der intuitiv begriffene innere 3ufammenl)ang —
da mußte aud) der Sammler — ganz wie der Forfd)er der 3eit — im engen Bezirk
feines Spezialgebietes mit wiffenfd)aftlicher 3äl)igLeit nach reftlofer Durchdringung und
größtmöglicher Lückenlofigkeit feiner Materie ftreben.
Äud) der Sammler wurde Spezialift, ßatte er nicht gerade das Format eines Lanna,
fo wählte er fein Gebiet fo klein, daß ihm von vornherein einftige Vollftändigkeit ge-
währleist fd)ien. Da wurde nicht nur ftreng zwifd)en alter und neuer Kunft ge-
mieden, nein, felbft innerhalb der verfd)iedenen Gattungen wurden nod) Einfd)rän-
kungen vorgenommen. Von den Kupferftid)en fammelte man vielleicht nur die Klein-
meifter, von Fayencen etwa nur die von Münden und Frankfurt, von Münzen nur
fold)e der römifd)en Republik.
Es ift klar, daß aus diefer Ätmofphäre Sammlungen von verblüffender Gefd)loffen~
heit erwuchren, Sammlungen, in mühfeliger Kleinarbeit aufgebaut, die heu*e von den
bitteren Notwendigkeiten einer wirtfchaftlid) und geiftig völlig veränderten Epoche
wieder auseinandergeriffen und vernichtet werden.
Äber haben wir fd)on den Sammlertyp diefer neuen 3^1? Klie ift er befd)affen?
Klie unterfcheidet er fid) von dem Sammler alten Stils?
Vor allem dadurch, daß ihm jeder wiffenfd)aftlid)e Ehrgeiz fehlt. Und das ift er-
klärlich genug, denn die Generation, die heute zwifchen 30 und 40 lebt, hat die grauen-
hafte Kataftrophe des Materialismus am eigenen Leibe erfahren. Sie hat im Ciefften
empfunden, daß die fd)arfen Inftrumente der KIiffenfd)aft nicht da hinablangen, wo
fid) das entfd)eidende Leben des Menfd)en abfpielt — im Seelifchen, im Gefühl. Sie
hat empfunden, daß vor den letjten Rätfeln des Seins alle Logik, alle Empirie verfagt
So ftehen die Beften diefer 3eit nicht mehr mit Sonde und Senkblei triumphierend vor
der entgötterten Kielt. Sie find demütig geworden und erleben alle Erfd)einungen als
ein Klunder und haben f)erz und Sinn offen, daß ihnen nichts von der Schönheit der
Gegenwart entgehe. Darum fehlt dem neuen Menfd)en auch der Sinn für das f)iftorifd)e.
Das Chronologifche einer Entwicklungsreihe ift il)m gleichgültig, eine Scheidung nach
Ced)nik, 3eiten oder Schulen widerfinnig. Er will nicht KIiffen[d)aft, nicht Vollftändigkeit
der Varietäten, nicht irgend ein Äußerliches — aber er will die Kunft, in der er fid)
felber wiederfindet, in der der Rhythmus feines eigenen Lebens pulfiert.
Der Cicerone, XIV. jaljrg,, ßeft 1
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Von PAUL ERICH KÜPPERS
Mit 14 Abbildungen auf sieben Tafeln
2wiß ift jede geijtige Cat die einmalige Leitung der fdjaffenden Perfönlid)keit und
fpiegelt als fold)e die befondere Seelenverfaffung ihres Schöpfers wieder. Äber
diefer Schöpfer ift mit [einem Kliffen, Glauben, Füllen der pfyd)ifd)en Einteilung
feiner 3^it verbunden. Klas pe in fid) trägt an Glück und Ängft, an Leidenfd)aft und
Verzweiflung ift aud) ihm als ihrem Kinde eingeboren. Und wie alles Cun und Klollen
einem beftimmten Gefetj unterworfen, fo find noch die fubjektivften Geften der Menfchen
von jenen überperfönlidjen geiftigen Kräften bedingt, die wir als Kleitgefühl der 3eit
begreifen.
Von fold)em Standpunkt aus betrachtet, ift das Kunftwerk nid)t nur Bekundung
fubjektiver Gefüf)lsfd)wankungen fondern aud) ein klares Sinnbild für die geiftig-
feelifd)e Situation, in der die Menfd)l)eit fid) gerade befindet. Dies gilt vom Klerk des
Malers und des Bildhauers ebenfo wie von dem des Dichters und des Denkers. Es
gilt in gleicher Kleife von der Schöpfung des Sammlers.
Eine 3eit» da KIiffenfd)aft und Verftand ihre höd)ften Criumphe feierten, da Objek-
tivität, Logik, Syftematik als fd)önfte Lügenden gepriefen wurden, als die empirifch
bewiefene Einzeltatfache mehr galt als der intuitiv begriffene innere 3ufammenl)ang —
da mußte aud) der Sammler — ganz wie der Forfd)er der 3eit — im engen Bezirk
feines Spezialgebietes mit wiffenfd)aftlicher 3äl)igLeit nach reftlofer Durchdringung und
größtmöglicher Lückenlofigkeit feiner Materie ftreben.
Äud) der Sammler wurde Spezialift, ßatte er nicht gerade das Format eines Lanna,
fo wählte er fein Gebiet fo klein, daß ihm von vornherein einftige Vollftändigkeit ge-
währleist fd)ien. Da wurde nicht nur ftreng zwifd)en alter und neuer Kunft ge-
mieden, nein, felbft innerhalb der verfd)iedenen Gattungen wurden nod) Einfd)rän-
kungen vorgenommen. Von den Kupferftid)en fammelte man vielleicht nur die Klein-
meifter, von Fayencen etwa nur die von Münden und Frankfurt, von Münzen nur
fold)e der römifd)en Republik.
Es ift klar, daß aus diefer Ätmofphäre Sammlungen von verblüffender Gefd)loffen~
heit erwuchren, Sammlungen, in mühfeliger Kleinarbeit aufgebaut, die heu*e von den
bitteren Notwendigkeiten einer wirtfchaftlid) und geiftig völlig veränderten Epoche
wieder auseinandergeriffen und vernichtet werden.
Äber haben wir fd)on den Sammlertyp diefer neuen 3^1? Klie ift er befd)affen?
Klie unterfcheidet er fid) von dem Sammler alten Stils?
Vor allem dadurch, daß ihm jeder wiffenfd)aftlid)e Ehrgeiz fehlt. Und das ift er-
klärlich genug, denn die Generation, die heute zwifchen 30 und 40 lebt, hat die grauen-
hafte Kataftrophe des Materialismus am eigenen Leibe erfahren. Sie hat im Ciefften
empfunden, daß die fd)arfen Inftrumente der KIiffenfd)aft nicht da hinablangen, wo
fid) das entfd)eidende Leben des Menfd)en abfpielt — im Seelifchen, im Gefühl. Sie
hat empfunden, daß vor den letjten Rätfeln des Seins alle Logik, alle Empirie verfagt
So ftehen die Beften diefer 3eit nicht mehr mit Sonde und Senkblei triumphierend vor
der entgötterten Kielt. Sie find demütig geworden und erleben alle Erfd)einungen als
ein Klunder und haben f)erz und Sinn offen, daß ihnen nichts von der Schönheit der
Gegenwart entgehe. Darum fehlt dem neuen Menfd)en auch der Sinn für das f)iftorifd)e.
Das Chronologifche einer Entwicklungsreihe ift il)m gleichgültig, eine Scheidung nach
Ced)nik, 3eiten oder Schulen widerfinnig. Er will nicht KIiffen[d)aft, nicht Vollftändigkeit
der Varietäten, nicht irgend ein Äußerliches — aber er will die Kunft, in der er fid)
felber wiederfindet, in der der Rhythmus feines eigenen Lebens pulfiert.
Der Cicerone, XIV. jaljrg,, ßeft 1
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