Richard Seewald
Von WILHELM HAUSENSTEIN
Mit 12 Abbildungen auf 6 Tafeln1
In einem 3eitalter, das die 3ertrümmerung der fchaubaren Gegenftände auf die Fahne
fdjrieb, hat Seewald für feine Perfon den Aufbau des Sichtlichen und Greifbaren
im Bilde unternommen. Man würde fagen können, diefes Beginnen fei in revo-
lutionärer 3eit das Revolutionärfte: denn es gehe über den 3uftand, der von einer noch
jungen Allgemeinheit gerade erreicht ift, fd)on hinaus. Doch wefentlicher als ein Hin-
weis auf das abermals Umwälzende diefes Schaffens ift die Feftfe^ung des Selbftver-
ftändlichen, das den Charakter der Abpd)t, Änftrengung und Leiftung hicr beftimmt.
Seewald ift außerhalb jeder Programmatik eines Neuerers. Beinahe fteht er außerhalb
des fo beliebten wie fragwürdigen Begriffs der Entwicklung, tUeder ift er Antiquar
noch in parteilichem Sinne ein 3eitgenoffe, noch ein ßerold für morgen. Von diefem
Künftler ift nur zu fagen, er fei innerhalb der Kunft und fei lebendig. Kunft ift diefem
Leben kein Begriff der Ulandelbarkeit, fo fehr fid) alles, was er malt, von Gewohntem
unterfcheidet. Unbefangen glaubt er in dem Augenblick, in dem er wagen muß, darum
verrufen zu werden, an die abfolute Notwendigkeit der Darftellung fid)tbarer Dinge. Das
einzige Neue, das er geben will, ift fein Gepicht. Er verlegt die Kunft nicht in irgend
einen Aberglauben, etwa den an Kunftbewegungen, Phafen der Entwicklung oder ähn-
liches, fondern einfach in die Frifd)e feines perfönlichen Verhältniffes zu der von ihm
geglaubten Ewigkeit des Objektes. Sein fchon beträchtliches und durchaus eigentüm-
liches £Uerk beweift, daß er zum großen Vorrat menfd)li<her Ulahrnehmung der Erde
einen neuen Anblick hinzugefügt hat.
Der Dünger und Dürft nach dem Objekt wurde in einer Region geboren, die ein
großes Beifpiel kannte. Von der Dürre des märkifchen Stendal ift die edle Begierde
Hlinckelmanns fud)end ausgegangen. Seewald ift Fjeimatgenoffe diefer nobel ragenden
Geftalt. Ihm öffnete fid) ein Ausftieg aus der Erde im märkifchen Arnswalde. Er kam
im Mai des Jahres 1889 zur Hielt. Schwerlich ift jener Mai üppig gewefen. 3ukunft,
Gegenftand lag füdlid): dort, wo die Deutlichkeit und das Effektive der Dinge ift, nicht
Nebel und HIolke.
Der Deranwad)fende durchlief das Realgymnafium zu Stralfund, das freundliche
Erinnerung mitgab, auch humaniftifd)e, und verließ es mit dem am väterlichen Hlillen
feftgebundenen Entfchluß, Architektur zu ftudieren. Der etwa 3wanzigjährige fuhr nad)
München. Die polytechnifchen Vorlefungen reizten nicht. Der Student erfüllte die
Stunden der Verfäumnis mit unabläffigem Seinen, das aus der manifchen Vorliebe
des Kindes zum Sdjickfal zunehmender Jahre anfchwoll. So kam Richard Seewald zur
Kunft. Er ging alsbald in eine 3eichenfd)ule. Doch fd)nell und verftimmt wandte er
pd) davon, als man, anftatt nur einfach ihm die Mittel auszubilden, mit denen er hätte
fagen können, was ihn bewegte, ein Aktzeid)nen in unendlichem Betrieb wie eine
Blockade ihm vor Fjerz, Augen und fjände fd)ob. Er hatte, früh mit beftimmten eigenen
Vorftellungen übereinftimmend, Dinge genug, die er fagen wollte. Er liebte damals das
Märchenhafte der großen Städte. Eine frühe Mappe ift der Niederfd)lag. London und
Paris wurden Inbegriff des Dafeins. Er liebte München, das bewegte, heitere, feßlid)e.
Faft gleichzeitig begann die zweite Erfahrung, die wichtiger wurde. 1911 erreichte See-
wald zum erftenmal den Ceffin.
Bis zu diefem Moment war Seewald hauptfächlid) 3eid)ner. Nun ging ihm auf, die
Baps feiner künftigen Künftlerfchaft müffe weiter fein. Von der Sehaubarkeit des
Südens erftmals ergriffen, von der einfd)neidenderi Dinghapigkeit transalpiner Hielt
ins Blut getroffen faßte er im] nächften Jahre einen von Folgen fd)weren Entfchluß.
1 Die Oliedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Kunßhandlung FjansGoI^, München.
Der Cicerone, XIV. Jal)rg., ßeft 12 2;4 491
Von WILHELM HAUSENSTEIN
Mit 12 Abbildungen auf 6 Tafeln1
In einem 3eitalter, das die 3ertrümmerung der fchaubaren Gegenftände auf die Fahne
fdjrieb, hat Seewald für feine Perfon den Aufbau des Sichtlichen und Greifbaren
im Bilde unternommen. Man würde fagen können, diefes Beginnen fei in revo-
lutionärer 3eit das Revolutionärfte: denn es gehe über den 3uftand, der von einer noch
jungen Allgemeinheit gerade erreicht ift, fd)on hinaus. Doch wefentlicher als ein Hin-
weis auf das abermals Umwälzende diefes Schaffens ift die Feftfe^ung des Selbftver-
ftändlichen, das den Charakter der Abpd)t, Änftrengung und Leiftung hicr beftimmt.
Seewald ift außerhalb jeder Programmatik eines Neuerers. Beinahe fteht er außerhalb
des fo beliebten wie fragwürdigen Begriffs der Entwicklung, tUeder ift er Antiquar
noch in parteilichem Sinne ein 3eitgenoffe, noch ein ßerold für morgen. Von diefem
Künftler ift nur zu fagen, er fei innerhalb der Kunft und fei lebendig. Kunft ift diefem
Leben kein Begriff der Ulandelbarkeit, fo fehr fid) alles, was er malt, von Gewohntem
unterfcheidet. Unbefangen glaubt er in dem Augenblick, in dem er wagen muß, darum
verrufen zu werden, an die abfolute Notwendigkeit der Darftellung fid)tbarer Dinge. Das
einzige Neue, das er geben will, ift fein Gepicht. Er verlegt die Kunft nicht in irgend
einen Aberglauben, etwa den an Kunftbewegungen, Phafen der Entwicklung oder ähn-
liches, fondern einfach in die Frifd)e feines perfönlichen Verhältniffes zu der von ihm
geglaubten Ewigkeit des Objektes. Sein fchon beträchtliches und durchaus eigentüm-
liches £Uerk beweift, daß er zum großen Vorrat menfd)li<her Ulahrnehmung der Erde
einen neuen Anblick hinzugefügt hat.
Der Dünger und Dürft nach dem Objekt wurde in einer Region geboren, die ein
großes Beifpiel kannte. Von der Dürre des märkifchen Stendal ift die edle Begierde
Hlinckelmanns fud)end ausgegangen. Seewald ift Fjeimatgenoffe diefer nobel ragenden
Geftalt. Ihm öffnete fid) ein Ausftieg aus der Erde im märkifchen Arnswalde. Er kam
im Mai des Jahres 1889 zur Hielt. Schwerlich ift jener Mai üppig gewefen. 3ukunft,
Gegenftand lag füdlid): dort, wo die Deutlichkeit und das Effektive der Dinge ift, nicht
Nebel und HIolke.
Der Deranwad)fende durchlief das Realgymnafium zu Stralfund, das freundliche
Erinnerung mitgab, auch humaniftifd)e, und verließ es mit dem am väterlichen Hlillen
feftgebundenen Entfchluß, Architektur zu ftudieren. Der etwa 3wanzigjährige fuhr nad)
München. Die polytechnifchen Vorlefungen reizten nicht. Der Student erfüllte die
Stunden der Verfäumnis mit unabläffigem Seinen, das aus der manifchen Vorliebe
des Kindes zum Sdjickfal zunehmender Jahre anfchwoll. So kam Richard Seewald zur
Kunft. Er ging alsbald in eine 3eichenfd)ule. Doch fd)nell und verftimmt wandte er
pd) davon, als man, anftatt nur einfach ihm die Mittel auszubilden, mit denen er hätte
fagen können, was ihn bewegte, ein Aktzeid)nen in unendlichem Betrieb wie eine
Blockade ihm vor Fjerz, Augen und fjände fd)ob. Er hatte, früh mit beftimmten eigenen
Vorftellungen übereinftimmend, Dinge genug, die er fagen wollte. Er liebte damals das
Märchenhafte der großen Städte. Eine frühe Mappe ift der Niederfd)lag. London und
Paris wurden Inbegriff des Dafeins. Er liebte München, das bewegte, heitere, feßlid)e.
Faft gleichzeitig begann die zweite Erfahrung, die wichtiger wurde. 1911 erreichte See-
wald zum erftenmal den Ceffin.
Bis zu diefem Moment war Seewald hauptfächlid) 3eid)ner. Nun ging ihm auf, die
Baps feiner künftigen Künftlerfchaft müffe weiter fein. Von der Sehaubarkeit des
Südens erftmals ergriffen, von der einfd)neidenderi Dinghapigkeit transalpiner Hielt
ins Blut getroffen faßte er im] nächften Jahre einen von Folgen fd)weren Entfchluß.
1 Die Oliedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Kunßhandlung FjansGoI^, München.
Der Cicerone, XIV. Jal)rg., ßeft 12 2;4 491