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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 12
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Hausenstein, Wilhelm: Richard Seewald
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0514

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Er kaufte einen Kaften mit Ölfarben und fuhr nach Dalmatien. Fünf Monate brachte er
auf der Infel Arbe \)'m. Das Ergebnis war zwiefach- Er vergaß die Städte. Sie fdrpeden
aus dem Bereich der Gegenftände feines eigentlichen Erlebens. Das Mittel der 3eid)~
nung, das fpielend folcßer Kielt entfprocßen hatte, wurde durch die Malerei zurüdt-
gedrängt, auf deren Boden ein breiter ausgedehntes Verhältnis zu breiteren Dingen
möglich war. Daß Stadt und 3eicßnung der Städte aus feinem Arbeiten gänzlich ver-
fcßwänden, war weder wünfcßenswert oder nötig noch denkbar. Diefer Bezirk hatte
ein erftes Erlebnis bedeutet und blieb auch für die 3ukunft nicht ohne alle Konfequenz.
3umal das Greiben in Marfeille hat es dem Fahrenden noch heftig angetan; dies frei-
lich füdliche Greiben, das an Landfchaft grenzt, das Landfchaft ift, Klachstum, nicht
Mechanik, und darum allerdings dem Paradies aus Bäumen, Pflanzen, Gieren, Bergen,
Steinen, Kliefen, Kläffer und Schiffen, dem Seewald immer inniger und fachlicher zu-
ftrebte, auf die natürlichfte Kleife benachbart blieb.
GCIichtig ift, darauf zu achten, daß Mittel und Gegenftand auseinander hervorwuchfen,
ineinander hineingewachfen pnd. Malerei kam aus der Breite der Natur. Natur fpannte
fiel) über die farbige Breite der Leinwand und in die Liefe der räumlichen Pläne, die
auf der Fläche der Leinwand durch die Kühnheit der Perfpektive möglich find. Die
3eichnung zog aus diefer Erfahrung Nutjen; ße nahm an Fülle zu; Seewalds graphi-
fcher Duktus gewann etwas Gropifches.
Eine korfikanifche Reife im Jahre 1913 gab diefem Ergebnis beffere Geftalt. Der
junge Maler war fchier einem Knaben gleich, naiver noch als ein Autodidakt und gänz-
lich ohne Anfprud) auf einen Stilgedanken, den der Augenblick noch nahe legen mochte.
Seewald hatte damit begonnen, ümriffe zu ziehen und die zwifchen ihnen gebliebenen
Flächen zu färben. Abermals fällt auf, wie diefer Maler über das rebellierende Pro-
gramm des Moments hinausging — oder vielmehr: wie er vom Schickfal von vorn-
herein fchon diesfeits diefer Programmatik aufgeftellt war. Alle Kielt rief damals laut
nach zweidimenfionaler Malerei. Seit Korfika ift Seewald diefer Programmatik vollends
fremd geblieben. In einer Stunde, wo expreffioniftifche Konvention das zweidimenfionale
Malen faft fanatifch propagierte, fand Seewalds Mühe in der Perfpektive eins der fchönen
3iele bildender Kunft. Klaffifcher Ausdruck des Räumlichen ift feitdem ein wefent-
licher Geil feiner Landfchaft. Klahrfcheinlid), daß er mit den Möglichkeiten der Fläche
nicht vollkommen vertraut geworden ift. Die Energie feines Vorftoßes in die perfpek-
tivifcße Liefe bleibt dennoch ein fcßwerwiegender Beitrag zur zeitgenöffifcßen Diskuffion.
Der Vorftoß fcßeint fogar eine Möglichkeit der Überwindung des notwendig dialektifchen
Kiefens zweidimenfionaler Malerei anzukündigen. Es ift kaum auszudenken, was
wiedergewonnen die einfachere Pofitivität des perfpektivifchen Standpunktes gegenüber
der unermüdlich antithetifchen Spannung des 3weidimenfionalen bedeuten könnte. Die
nächfte 3eit wird lehren, wohin der Kleg gewiefen ift.
Die Situation eines modernen Malers ift unvergleichlich kompliziert. Seewald war
darauf bedacht, die Fläche mit der Liefe zu verftändigen. Die Bemühung begann,
als er ein Maler wurde. Er fand pd) aber in eine fchier unentwirrbare Verflechtung
der Schwierigkeiten hincin9czogen, als er begriff, das Malerifche fei ein mindeftens
relativer Gegenfatj zur dritten Dimenpon — und offenbar war Malerei ohne ein Element
des Malerifchen vorläufig doch undenkbar. Mit einem Klort: der junge Maler fah pch
in die Mitte des Konflikts gefegt, über dem der Patriarch geftorben war — Cezanne.
Südfranzöpfche Landfchaft tat das Ihrige dazu. Klie ein Creibhaus begünftigte fie das
Klachstum diefes wahrhaft furchtbaren Streites der lebten Generationen in einem ihrer
martyriperten Einzelnen. Notwendig fchien: erftlich, die natürlichen Dinge zu ver-
wirklichen; zweitens fie zu malen; drittens also das malerifche Axiom des Malens zu
realiperen; viertens dem Kubifchen und Konifchen und Kugeligen der Dinge genug zu
tun, wiewohl die Fläche doch Fläche blieb und demnach als Fläche Geltung tyaben
mußte — wiewohl das Flächige pch noch gar mit dem Malerifchen gegen das Drei-

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