Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0136
DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:Lewinsohn, Richard: Der Kampf um den Ismus
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0136
Übergewicht der „formalen“ Demokratie beginnt zu fd)winden. Die Sozialdemokratie
wandelt pd) zur Sozialoligarchie, in der alles für das Volk, nichts durch das Volk
gefchehen [oll. Und je radikaler die 3iele find, defto mehr Macht wird der Perfönlid)-
keit des Führers eingeräumt. Die „Diktatur des Proletariats“ wird zu einer Diktatur
des Führers — beftenfalls — zugunften des Proletariats.
Die Politik wird, aud) wenn fie im Banne einer überragenden Perfönlid)keit, eines
Catmenfchen ftel)t, des Ismus, der fixen Idee nicht ganz entraten können. In der Kunft
ift der Ismus nichts, die Perfönlidjkeit alles. Auch l)ier hat der Expreffionismus ein
Leites an Paradoxie gebracht. Der Impreffionismus bekam noch wie die Gotik und
der Barode feinen Eitel als Spottnamen feiner Gegner. Der Expreffionismus und feine
Äbarten konftituierten fiel) von vornherein felbftbewußt als Ismen. Gewiß ftanden
aud) hier einzelne Künftler in erfter Reihe. Aber nicht ße waren Mittelpunkt und t£Ieg-
weifer, fondern das abftrakte Programm.
(Xlenn jeßt allenthalben der Kampf gegen den Ismus einfeßt und ein 3nrück oder
ein Vorwärts zur Perfönlichkeit gefordert wird, fo ift auch diefes einftweilen noch ein
Begriff, ein Programm, ein Ismus. Der Ismus kann nur überwunden werden, wenn
die pfyd)ifd)e Einteilung fid) von Grund aus ändert. Es ift fraglich, wie weit es durch
eine neue Erziehung möglich fein wird, den Kulturmenfchen von Äbftrahieren wieder
zum lebendigen Änfd)auen zurückzuführen. Denn das Äbftrahieren, das Stiliperen, das
Eypißeren, das Formalißeren ift nichts anderes als eine Schu^vorrichtung des Geiftes
gegen die ungeheure Fülle von Eindrücken, die auf den modernen Kulturmenfchen
fortwährend einftürmen. Der Geift verarbeitet ße, indem er ße, gleicßfam verdünnt, zu
vageren, allgemeineren Begriffen umformt. Je extenßver der Gedankenkreis des Menfcpen,
um fo begrifflicher ift er. Die jüngfte Kunft, die fo gern vom Grenzenlofen, vom Kosmifchen
fprad), war eine Begriffskunft, fowie eine Politik, die nur auf das „Ällmenfchentum“ ge-
richtet iß, über Programme nie hinauskommt. Fjier liegt eine von den Grenzen menfchlichen
Geiftes. Extenfivität ift nur möglich auf Koften der Intenfivität, Begrifflid)keit nur auf
Koften der Änfchaulid)keit. Abkehr vom Begrifflichen erfordert Selbftbefcheidung. Ohne
diefen ttlillen zur Selbftbefcheidung bleibt der Kampf gegen den Ismus ein leeres (Hort.
Lyonei Feininger. hanfaßotte. Jjolzßhnitt.
114
wandelt pd) zur Sozialoligarchie, in der alles für das Volk, nichts durch das Volk
gefchehen [oll. Und je radikaler die 3iele find, defto mehr Macht wird der Perfönlid)-
keit des Führers eingeräumt. Die „Diktatur des Proletariats“ wird zu einer Diktatur
des Führers — beftenfalls — zugunften des Proletariats.
Die Politik wird, aud) wenn fie im Banne einer überragenden Perfönlid)keit, eines
Catmenfchen ftel)t, des Ismus, der fixen Idee nicht ganz entraten können. In der Kunft
ift der Ismus nichts, die Perfönlidjkeit alles. Auch l)ier hat der Expreffionismus ein
Leites an Paradoxie gebracht. Der Impreffionismus bekam noch wie die Gotik und
der Barode feinen Eitel als Spottnamen feiner Gegner. Der Expreffionismus und feine
Äbarten konftituierten fiel) von vornherein felbftbewußt als Ismen. Gewiß ftanden
aud) hier einzelne Künftler in erfter Reihe. Aber nicht ße waren Mittelpunkt und t£Ieg-
weifer, fondern das abftrakte Programm.
(Xlenn jeßt allenthalben der Kampf gegen den Ismus einfeßt und ein 3nrück oder
ein Vorwärts zur Perfönlichkeit gefordert wird, fo ift auch diefes einftweilen noch ein
Begriff, ein Programm, ein Ismus. Der Ismus kann nur überwunden werden, wenn
die pfyd)ifd)e Einteilung fid) von Grund aus ändert. Es ift fraglich, wie weit es durch
eine neue Erziehung möglich fein wird, den Kulturmenfchen von Äbftrahieren wieder
zum lebendigen Änfd)auen zurückzuführen. Denn das Äbftrahieren, das Stiliperen, das
Eypißeren, das Formalißeren ift nichts anderes als eine Schu^vorrichtung des Geiftes
gegen die ungeheure Fülle von Eindrücken, die auf den modernen Kulturmenfchen
fortwährend einftürmen. Der Geift verarbeitet ße, indem er ße, gleicßfam verdünnt, zu
vageren, allgemeineren Begriffen umformt. Je extenßver der Gedankenkreis des Menfcpen,
um fo begrifflicher ift er. Die jüngfte Kunft, die fo gern vom Grenzenlofen, vom Kosmifchen
fprad), war eine Begriffskunft, fowie eine Politik, die nur auf das „Ällmenfchentum“ ge-
richtet iß, über Programme nie hinauskommt. Fjier liegt eine von den Grenzen menfchlichen
Geiftes. Extenfivität ift nur möglich auf Koften der Intenfivität, Begrifflid)keit nur auf
Koften der Änfchaulid)keit. Abkehr vom Begrifflichen erfordert Selbftbefcheidung. Ohne
diefen ttlillen zur Selbftbefcheidung bleibt der Kampf gegen den Ismus ein leeres (Hort.
Lyonei Feininger. hanfaßotte. Jjolzßhnitt.
114