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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 4
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Hübner, Friedrich Markus: Le Fauconnier
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0175

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Le Fauconnier

Von FRIEDR. MARKUS HUEBNER
Mit drei Abbildungen auf zwei Tafeln

Fauconnier hat fid) im Dezember 1921 durch eine Äusftellung von 46 (Herken,


welche die Galerie Jofeph Billiet, Paris, veranftaltete, [einen Landsleuten wieder

‘Ä_-Jin Erinnerung gerufen. In diefer Äusftellung erregten namentlich die mit Kreide
gezeichneten Bildniffe der Dichter Duhamel und Jouve Auffehen. Es ergab [ich eine
Ärt Neuentdeckung, zumal da der Vergleich unter den aufgehängten Bildern lehrte, daß
der ehemalige Le Fauconnier eine beträchtliche (Handlung durchgemacht hatte.
Daß der Maler aus dem Geficßtskreife der Parifer und nicht nur der Parifer eine
3eitlang fo völlig verfchwinden konnte, hat räumlich-geographifche Urfachen. Le Fau-
connier wurde 1914 vom Kriege in Fjolländifch-Seeland überrafcht, wo er arbeitete.
Da er kriegsuntauglich war, befchloß er, das (Heltgewitter in der gaftlicßen Fremde an
[ich vorüberziehen zu laffen. Er ließ fid) in Ämfterdam nieder und gewann hier mit
der 3eit Freunde, die es nicht nur bei der mündlichen Bewunderung ließen. Auch ein
Kreis von Künftlern fcßloß fid) um ihn, die auf ihn wirkten, die er, der feurige Nor-
manne, kräftig erregte und antrieb. Er arbeitete unabläffig. Die meiften, ja wohl die
[ämtlichen Gemälde, 3sid)nungen, Aquarelle diefer Ämfterdamer Jahre wurden der Be-
fiß holländifd)er Kunftfreunde. Eben aus diefem Grunde blieb Le Fauconnier feinen
ehemaligen Freunden in Frankreich, Deutfd)land und Rußland verborgen; kein (Herk
kam auf den Markt, keins kam unter die Äugen von Kunftfchriftftellern, um derart vom
Cun des Malers breitere Kunde geben zu können.
Als unerfättlicßer Le Fauconnier-Sammler trat vor allem HI. Beffie in Ämfterdam auf,
übrigens auch einer der erften Holländer, die (Herke von Kandinfki und Marc kauften.
Man wird nicht zu niedrig greifen, wenn man die Anzahl (Herke Le Fauconniers, die
[ich in der Sammlung Beffie vorfinden, auf etwa 150 beziffert. Die Entwicklung des
Malers aus der 3^tt feines Aufenthalts in Savoyen und in der Bretagne, wo Dünen,
Fifcherhütten, Felfen, Seebecken fid) ihm fci)ier von allein zu grauen Raumwürfeln und
einem mächtigen geometrifd)en Landfd)aftsgefd)iebe formten, ift Y)izx über die Parifer
3eit, da er fid) mühte, den Bauausdruck des Kubifci)en im nackten menfd)lid)en Leibe
auffd)immern zu laffen, bis zum (Heggang aus Frankreich lückenlos zu überblicken.
In ßolland feßte zwar keine Stilfchwankung ein, aber dem Einfluffe des Bodens und
der gefd)id)tlid)en Kunftüberlieferung feines neuen (Hohnortes vermochte fid) Le Fauconnier
dennoch nicht zu entziehen. Er wurde kein Ätmofphärenmaler und ließ fid) von den
äußeren Äugenblickseindrücken nicht zum demütigen Diener machen, im Gegenteil, er
behielt fid) weiterhin vor, die (Hirkungen des Lichts und des Schattens, als (Hiedergabe-
mittel unter vielen, nicht als das einzige zu behandeln. Aber die aus feiner Kunft ent-
fchwundene, kaum mehr gewagte Farbigkeit kehrte zurück, und fie kehrte zurück mit
einem Hngeftüm, einer wilden und lauten Stimmenvielfalt ohnegleichen. Die Stilleben,
die er vorzugsweife als Aquarelle ausführt, wachfen weit hinaus über den Grad bloß
idyllifcßer 3uftands[d)ilderung: Blumen, Früchte oder Eßgeräte, die als Vorwurf dienen,
erhalten eine förmlich dramatifche Erfcheinungsgewalt. Die Land[d)aft wird mit zyklo-
pifd)en Fäuften gepackt, aus ihrem fanft vergleitenden holländifchen Flächenleben ge-
rüttelt und emporgemauert zu fett- und düftergepinfelten nordifchen Raumdenkmalen
(„La 3eelandai[e“, „Veere“). Nirgendwo ein Äbfchweifen in die Einzelheiten, in die
irgendwie erzählerifd)e Äusftattung des Vorfalls. Allenthalben ein herrifches Bilden der
Außenwelt nach dem Maßftabe inwendig vorwegerlebter Formbegriffe. „Fjauptfache
ift es ja nicht“, fagt der Künftler, „auf der Bildtafel den Eindruck des ftofflichen Vor-
handenfeins der Dinge (das beforgt der Realismus) oder den Eindruck ihres flüd)tig-
wechfelnden Er[d)einungsvielerleis (das beforgt der Impreffionismus) einzufangen, fondern
es gilt, jene feltfame Beeinfluffungskraft und jenes inwendige Leben, das die Malerei

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