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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 6
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Basler, Adolphe: Pariser Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0266

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Ingres anrufen, wenn es fid) um den Kult der 3eid)nung Rändelt, der doch nicht allein
durd) den Meifter von Montanban vertreten ift, ich nenne nur Pifanello, Raffael, Clouet,
holbein ... Ift die Pflege der 3eid)nung im töacßfen begriffen, um fo beffer für die,
die zeichnen können, und befonders für Picaffo, dem dank feines zeicßnerifcßen Talentes
der Tag vollkommener Aufrichtigkeit geblieben ift. Denn das wahre Streben der
modernen Seele, äftßetifcß und doktrinär verfälfcßt durd) ein die dürftigen Formen
einer alternden Kunft übertreibendes Raffinement zum Schaden aller gefunden und
natürlichen Triebe, ift die einfache Vifion der Natur.
Deshalb gewinnen aud) die alten, nod) vor 25 Jahren jungen Meifter im Salon des
Independants unfere befondere Sympathie. Ein Gemälde von Signac, wie fein
Fjafen von Rochelle, worin die Technik eine fekundäre Rolle fpielend nur einer ganz
einfachen Äusdruckskunft dient, fd)ließt fiel) wieder im Naturell durd) den Stil feines
fd)önen Äufbaus der beften Tradition Claude Lorrains an. — Ein anderer, Charles
Guerin, der vor einem viertel Jahrhundert zu den Jungen zählte, hat an der Seite
feiner mittelmäßigen, zum Sterben langweiligen Krinolinen-Damen einen kleinen Frauen-
kopf ausgeftellt, der durch feine folide Natürlichkeit als Meifterwerk diefes kleinen
Künftlers betrachtet werden kann. Nicht das gleiche ift von van Dongen zu fagen.
Dagegen verfteht Luc Älbert Moreau, aus dem Kreife Segonzacs, feinem Talent
auf kernige Ärt Äusdruck zu verleihen. Schwer tadelnd muß man diefer Schule, der
ßd) auch Gromaire und Kikert nähern, das Vernad)läffigen des Lichtes vorwerfen,
deffen Betonung der 3aut>er aller großen Impreffioniften war und bleiben wird
und auch Matiffe, Derain, Picaffo und Braque eigen ift. Dagegen erfcheinen die
Arbeiten von Dufresne vollkommen lid)tüberflutet. Seine Stilleben, zugleich mit den
Landfd)aften ütrillos zählen zu den fd)önften ülerken des diesjährigen Salons. Ab-
gefehen von einigen Frauen, wie die Suzanne Valadon, wohl das ftärkfte weibliche
Talent unferer Tage, Irene Lagut, Maria Blanchard, die neuerdings den Kubismus
verlaffen hat, um weniger gut Bonnard zu imitieren, gibt es eine Menge tüchtiger
Maler, fo der fel)r gefd)idde Kubift Fjeyden mit einer oberflächlichen ßandwerklicß-
keit, Me&inger mit viel Gefcl)mack oder Marcouffis, deffen Malereien fid) bereits
ftark dem Kunftgewerbe nähern. Die angenehme kubiftifeße Kleinkunft entwickelt fid)
mehr und mehr zu dekorativen Anwendungen, hoffentlich ift der Kubismus lebendig
ftark genug, um vorteilhaft die vielen in letzter 3eit verkümmerten Stile in der deko-
rativen Kunft zu erfetjen. TJiffend muß man alfo einen ünterfeßied ziehen zwifeßen
dem volkstümlichen Geift eines Metjinger, Gris, herbin, Marcouffis, Ferrat und dem
Ariftokratismus Picaffos, deffen letzte kubiftifeße Schöpfungen an koptifeße (Uand-
teppieße erinnern laffen, oder Braque, der ficß meßr und meßr in den Traditionen
Beauvais bewegt.
öCIäßrend Nacßaßmer Cezannefcßer Stilleben immer feltener werden (gewiffe Kritiker
behaupten nur einen reinen Cezanniften, Simon Levy, zu kennen), meßren ficß täglich
die Bewunderer Derains und Segonzacs. Sieht man nid)t fremde Maler, die vor
20 Jahren Lenbacß in München imitierten, vor zwölf Jaßren bei Matiffe arbeiteten und
ficß 1922 noeß jung genug füßlen, um ficß der Kunft Derains zu näßern.
Der in diefem Jahre alpßabetifcß angeordnete Salon des Independants ßat viel Ent-
rüftung unter Malern hervorgerufen. Diefe Catfacße ßat aber die aquarelliftifcßen
Qualitäten, die ein Lßote in feinen Ölmalereien zeigt, weder erßößt nocß vermindert,
noeß die große malerifcße Begabung eines Kars oder die des Schweizers Gimmi, der
naeß einer 3eit der Bewunderung Daumiers jetjt die feßönen Formen Seurats zu aka-
demifieren fueßt.
Eine weitere Gelegenheit zu vollftändig zwecklofen Vergleichen gab die neue Galerie
„Les Styles“ mit einer Ausftellung weiblicher Aktdarftellungen von Ingres bis zur
Moderne. Sie zeigte einen wundervollen Corot neben einem erft kürzlich aus Stock-
holm zurückgefüßrten vorzüglichen Cezanne, ein nur mit Giorgione zu vergleichendem

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