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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 9
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With, Karl: Kunst auf Bali
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0393

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Mutterländern afiatifd)er Kultur gefpeift wurde. Am ftärkften, alfo nach Einbruch des
Islam auf Java die Kultur der fpäten oftjavanifdjen Reiche nach) Bali Ijerüberdrängte.
Viel Pani[d)es lebt tjier noch in den Bildwerken und Architekturen fiel) aus; viel
Klildheit, Angft, Schrecknis. Dann wieder Größe, urhafte und Gewalt. Nirgends
Ruhe; überall Ausbruch, Bewegung, Überfülle.
Cief in die Landfd)aft eingebettet ftehen die kleinen Cempel, im Gewirr der Bäume
oder Felder; die großen, lofe zufammengefchloffen, von F)öfen umringt, von Mauern
umzogen, von Goren und Cürmen überhöht. Die Phantaftik des Urwaldes, die Leiden-
fchaftlid)keit der landfdjaftlichen Gliederung, die explofive Überfülle des Bodenwuchfes —
alles das lebt \)ier weiter im Raufch der Formen, in der Richtungslofigkeit der Profile,
in der [prunghaften 3ei‘reißung von Licht und Schatten. Bricht auf in der furchtbaren
Collheit eines Cores voller Spukgeftalten oder wuchert im Ornament, das wie dichtes
Unterholz das Gefüge der Wände überlagert; oder entblößt alle Wurzeln von Erde,
Sinnlichkeit, Schmerz im Bild der Göttin der Fruchtbarkeit. Oder aber befänftigt alle
regellofe Flut, ftürmt vom Boden auf, fdjwingt [ich in die Flöhe, türmt; bricht das ver-
fchlungene Dickicht um zu einem geregelten Mufter, zur ftrengen Ordnung, zur Staffe-
lung, zum rechten Winkel; kantet, löft die Ballungen auf zum Gleichmaß einer melo-
difcßen Folge.
Voller Sinnlichkeit erfaßt und verwirklicht; überhöht; niemals entfinnlicht, fondern als
Form höherer Wirklichkeit hingeftellt. Ob üanzgefte, ob Fratze, ob Ornament, Bildwerk
oder die bunte Fläche eines Fjolzgemäldes oder Seidenmufters — immer ift es die rein
überwirkliche Form, die der Phantafie entftammt, die phantaftifd) und eigenwillig Cräger
und Ausdruck ift deffen, was den phyßfchen Umkreis des Dafeins überfteigt. Die
Phantafie ift hißr nicht fortwirkende Anfchauung und Erfahrung oder Reproduktion,
fondern ein fortdauernder Akt menfchlicher Schöpfung, ein über fich felbft Fjinaus-
greifen. Und das ift um fo eindrucksvoller, da dort, wo diefer fo ganz naturhafte,
finnlich gelöfte und körperlich fd)öne Menfch fiel) künftlerifd) äußert, er fleh nicht felbft
als Norm fetzt und gebraucht — im Sinne unferer Naturaliftik — fondern eine neue
expreffive Form fdjafft, die jenfeits der Grenzen unmittelbarer Erfahrung liegt. Nicht
deshalb, weil fein „Naturfinn“ verkümmert ift, fondern weil er fo abfolut naturhaft ift
und lebt. Und fo ift das Kunftwerk wirklich eine Steigerung über den Menfchen hin-
aus und eine Wirklichkeit, die tiefer oder höher liegt als der Alltag; ift das Gefleht
ftatt des Anblickes.
Und diefe Bildwerke, die ich Exkremente nannte und foldje find, brauchen aber
deshalb nicht tot zu fein; wie fie vom lebenden Medium ausgeftrahlt wurden, fo ftrahlen
fie zurück, wenn fie zum Leben zurückerweckt werden und unter der Neubelebung der
Opfernden, Betenden, Schauenden, Erlebenden wieder Funktions-Mittelpunkte darftellen,
pofitive Kraftquellen oder Widerftände find, an denen ein Menfch fich entlädt, auslöft,
belebt, reinigt, erhebt und fein Gleichgewicht hcrftellt. Bleiben dann Blitzableiter für
alles das, was den Menfchen erfchlagen, vernichten und erdrücken kann.
Dann bleiben fie lebende Wefen.
In Mufeen aber, unter Glas —- als äfthetifd)e Angelegenheit gewertet — oder die
taufend Bilder an den Ausftellungwänden — oder ein Kunftwerk, das man erft be-
zahlen muß, das einen Namen trägt — können die lebende Wefen fein und bleiben?
Nachwort des Herausgebers
Der obige Artikel von Karl öüitb ift als Einleitung zu dem im Folkwang-Verlag, Y)agen, ver-
öffentlichten zv/eiten Band „Bali“ erfebienen, deffen zweite Huflage foeben erfebienen ift.
Bei der Bedeutfamkeit der grundfalschen Einteilung, die in dem obigen Auffalz gegeben ift, er-
fd)ien es uns Pflicht, den Ausführungen auch) an diefer Stelle Raum zu geben, zumal die Erfahrung
lehrt, daß bei Publikationen, die ihren F)auptnachdruck auf die Husgeftaltung des bildlichen Ceils
legen, ein folcßer Cext, der nur mittelbar das eigentliche Chema berührt, von dem Publikum im
allgemeinen viel zu wenig beachtet wird.

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