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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 9
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Sydow, Eckart von: Moderne Kunst aus Leipziger Privatbesitz: (Zur Ausstellung im Leipziger Kunstverein)
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0405

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Kunftlebens ßöcßft erfreulich ift zu konftatieren, daß auf einem Boden, den unmoderne
Gejmnung jahrzehntelang durcßtränkte und unfruchtbar machte, langfam und allmählich,
aber doch unwiderftehlich das Neue erwäcßft, fo zeigt nun eben diefe Überficht privaten
Eigentums mehr den ringenden Ulillen, als das Erfehnte vollkommener Löfung.
Nach vielen Seiten hin [trecken [ich die Cafter aus. Die größten Namen unferer
fchöpferifcßen 3eitgenoffen find vertreten: Nolde, Kirchner, Schmidt-Rottluff, Kokofchka,
Heckei, Munch ufw. Es ift dabei intereffant feftzuftellen, daß jene Meifter das größte
Intereffe der Leipziger Sammler erweckten, in deren Ulerk die Naturnähe immerhin
noch ihre Rolle fpielt: Nolde, Pechftein, und dann jene, in deren Arbeit pathetifche
Größe lebt: Schmidt-Rottluff, Fjodier. Die reine Geiftigkeit des ganz abftrakten, ara-
beskenßaften Expreffionismus: Kandinfky, Klee, Molzahn fcheint geringeren Änklang
zu finden.
Äm ftärkften wirkt die Kunft Schmidt-Rottluffs, von dem hier ganz bedeutende
Arbeiten zur Schau ftehen; fo „Der Abend“, „Landfchaft mit fchiefem Curm“, „Dangafter
Landfchaft“, die vier Apoftelköpfe aus getriebenem und getöntem Meffing und kleine
Aquarelle. Die tüerke der anderen treten vor der Einheitlichkeit diefes Eindrucks etwas
zurück. (Unnötig anzumerken, daß dies kein Urteil über die Künftler, fondern eher über
die Spürkraft der Sammler ift!) — Bemerkenswerte Arbeiten anderer Maler weifen auf
deren Größe in vereinzelterer Uleife hin. Manche Blätter von Paul Klee, K. Schwitters,
Gemälde von A. Copp, Pechftein, Jawlenfky, Macke, Kirchner laffen die Begabung ihrer
Schöpfer deutlich erkennen. Andere, wie Kandinfkys „Bild mit weißer Form“, Fjodlers
„Italienerin“, Campendonks „Ulinter“, Noldes „Frau N.“ geben ein ganz ßoßes Niveau
der künftlerifcßen Leiftungsfäßigkeit an.
Einige folcßer vereinzelter Ulerke aber, die aus der Verborgenheit des Privatbejitjes
der Öffentlichkeit unvermutet preisgegeben werden, find gewiffermaßen die Glücks-
fälle diefer Ausftellung: Arbeiten von Munch, Kokofcßka. Ein ausgezeichnetes, ftim-
mungskräftiges Gemälde Edv. Munchs: „Dorfftraße“ [teilt zwei Kindergruppen in
ihren dumpfen und farbiger leuchtenden Gefamterfcßeinungen auf den weißlich leuch-
tenden Boden der Straße und vor weiße Fjäufer hin- Reicher an Farbe, Leuchtkraft
und dramatifcßem Auffcßwung geftaltet Kokofcßka fein Öl- und Paftellbild „Blick
von Mürren auf die Jungfrau“ (um 1912): ganz außerordentlich hebt [ich die Ge-
birgigkeit in die leuchtende Helligkeit der fcßneebedeckten Gipfelung empor.
Liegt auch der Schwerpunkt diefer Ausftellung programmatifcß im Gebiete der mo-
dernften Kunft, fo find doch ältere Meifter nicht ganz übergangen. Es ift auch wol)l
kunftpädagogifcß richtig, die Verbindungslinien rückwärts zu ziehen. Andeutungsweife
wenigftens find die Namen Liebermanns, Leiftikows, Corintßs, Ryffelbergßes, Amiets ver-
treten. In allerdings etwas weite Ferne der Gefcßicßte führt eine mit Guftave Courbet
bezeicßnete „Landfchaft“ zurück, die auf jeden Fall ein ganz bedeutendes Ulerk ift.
Neben all diefen Arbeiten aus Leipziger Privatbefiß hängen dann intereffante und
großartige Ulerke von Picaffo, Henri Rouffeau, Matiffe, F. Leger, Braque, Gleizes,
die meift der Galerie Flechtheim entftammen und den Kreis der modernen Kunft nach Uleften
hin weiterziehen, — eine neue Perfpektive und neue Aufgaben für die Sammler eröffnen.
Faßt man das Refultat aus den Eindrücken diefer Ausftellung zufammen, fo darf
man wohl fagen, daß [ich in immer ftärkerern Maße der Sinn für das Neue auch in
diefer Stadt kund tut, die ehedem nur durch die Arbeiten Max Klingers zu erregen
war. Gelingt es, den [cßon kräftig vibrierenden Impuls der Einficht und des Erwerbs
zu ftärken, fo kann man in abfeßbarer 3elt die beften Refultate erhoffen: [ich übrun-
dende Sammlungen und ficßeres Bewußtfein der Qualität.
Anmerkung der Sdjriftleitung. 3U diefer Ausftellung, deren 3uftandekommen in erfter
Linie Dr. Erid) Vliefe gedankt wird und die aud) als organifatorifcbe Leiftung beachtlich) ift, er-
fd)ien ein durch) feine bucßkünftlerifd) hervorragende Ausftattung bemerkenswerter Katalog mit
Vorwort von E. (Lliefe und ad)t erftklaffigen Kliedergaben nad) Hauptwerken der Veranftaltung.

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