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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 11
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Wolfradt, Willi: Paul A. Seehaus
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0477

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baren Linie, wo Kläffer und Land zufammentreffen, bald in feindlichem Änprall: wenn
an riffigen Abftürzen die drängende Brandung zwifchen tangnaffen Blöcken verfd)äumt,
— bald in liebendem Spiel: wenn in fonniger Stille flache, warme Klellenfcheiben den
fandigen Strand ftreid)eln.“
Die Erlebnisfülle folcher Erinnerungsworte drängt fid) um 1916 in den Pinfel. Neben
fd)lid)ten Eifeliandfchaften die erregteren Bilder von der irifchen Küfte (Abb.). Das
Land baut fid) wie gemauert ins Meer hinaus, in einfachen und kubifd) betonten
Körperformen, die rotbraune Seitenwände gegen die grünbewachfene obere Fläche
feßen. Man hat die Empfindung, als feien mit einem bogigen Spaten überall Keile
der Küftenhügel fortgeftochen, fo klar kantet fid) das Gelände. Diefe Eigentümlichkeit
erhält fid) und geht auch in den Stil der Radierungen ein. Runde Kurven begrenzen
überall die Form und ftellen fich zu Bogenfternen zufammen. Im LeuchtturmbiSd ein
wogendes Sid)türmen der Bildftruktur bis zum oberen Rande. Fjier liegen wirklich die
Felsblöcke „wie fprungbereite Löwen“. Der Raum ift voll Aufruhr, in fchwirrender
Bewegung. Es ift deutlich, wie bei Seehaus das Prinzip nid)t Schema wird; es wird
nicht nur die blockige Gefte hingelegt, fondern wirklich gemalt, durchkomponiert, ab-
geftuft. In den düfteren ßintergrundsgebirgen glimmt und flattert braunblauer Klider-
hall. Nebelftreifen nehmen den 3ackenrand der brandenden üferlinie vielfach auf. Die
Bogenkurven gewinnen Selbständigkeit und fdjlingen fid) runenhaft durch das Bild.
Nichts ift plump und träge, wie in den Anfängen und bei fo vielen expreffioniftifchen
Landfehaftern, fondern durchgeiftert und in heimlicher Atmung begriffen.
Die Großzüg'gkeit der Felsküftenlandfchaft, hervorragend vor allem noch dargetan
in einer Radierung „Klallfahrt“, wo die fd)arfe Kante des Gefteinmaffivs ganz lang-
ausfehwingend über das Blatt fchlägt, diefe kurvige Gebundenheit weicht in der Folge
mehr und mehr einem kleinteiligen, faft fplittrigen Stil mit fehr verfeinertem Anfd)liff
und immer reicherer Koloriftik. Eine umfängliche Landfchaft von 1917 „Die roten
Cürme“ (Abb.) ftellt hinfichtlid) des kubiftifchen Elementes den Fjöhepunkt dar, aber
auch fte ift fern aller formaliftifchen Abmagerung, ift Landfchaft geblieben, ein traum-
haftes Gewebe aus blutroten Bäuschen, violettumfchleiertem See, weißgelbem Schein
vom ßimmel; ein zitterndes Steigen und Fallen wie hinter einer Kriftallglocke, das in
taufend Brechungen das All vibrieren läßt. Die Verunklärung ift die eines Märchens,
nicht Ätelierexperiment. Der idyllifche, romantifche Grundcharakter geht nicht mehr ver-
loren. Seehaus malt etwa ein „Baus am Kläffer“ (1918), ein zartes und liebes Bild,
in dem fich Frühling und Schwermut ftill durchweben. Ein Baus, ein leeres Boot, ver-
hüllte Ferne; ein Baum rahmt mit Stamm und Laubwerk. Am Bimmel gelocktes Ge-
wölk, in dem die Klelle des Laubes fortklingt; weiterer Nachhall im Rafen, im Kläffer.
Borizontale und Lockenbewegung durchdringen [ich zu gedämpfter Mufik. Ein anderes
Bild baut fich über dem Motiv fchraubig flatternder roter Segel auf, und auch hier
fd)wingt nicht nur das Lineament, fondern entfprechend fubtil die Farbe ineinander.
Sie leuchtet juwelhaft und hat doch ein Verhängnis zu tragen. Befonders innig und
artikuliert das Dombild der Nationalgalerie (Abb ). Ciefrote Dächer falten fich gegen
blaue Klände, dazu funkelndes Grün und gelbgraue Architektur. All diefe Farben
reflektieren durcheinander und erfüllen den Raum mit vielftimmigem Kliderfchein. Formal
ift das Giebeldreieck beftimmend, in den Kapellendächern, Cürmchen, Laternen und
vielen vagen Klinkelanklängen wiederholt. Klie reife Früchte im Korb drängen fich die
Dinge in Fühlung zueinander, Sekanten fammeln zu größeren Beziehungen. Man be-
achte etwa die Eingliederung der kleinen Pyramide des Laternendaches in das Syftem
von Geraden. Ein leichtgelocktes Motiv fpielt auch l)ier wieder um die Kuben, alles
zu organifcher Lieblichkeit verrankend. Es klingt am unteren und oberen Rande, lugt
heiter da und dort heraus, malt vor den Bauptgiebel einen köftlichen Baum hin.
Diefe Begegnung von winkliger Ärchiteklurform und Verfehlungen vegetativem Leben
zeigt befonders fd)ön auch eine Radierung (Abb.). Bier fieht man, wie frei von Manier,

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