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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 12
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Brosch, L.: Venedigs XIII. Internationale Kunstausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0532

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daß das junge Frankreich auf diefer Äusftellung fo gut wie gänzlid) fehlt. Man denke daran,
welchen Eindruck beifpielsweife Sonderkollektionen von Matisse oderDerain an diefer Stelle hätten
hervorrufen können. Von den anderen ganz zu fcßweigen, die fid) heute international ebenfalls
[eben laffen können und über die an diefer Stelle fchon oft genug zu lefen war. Beklagenswert
ift es jedenfalls, daß fid) die „Grande Nation“ ausftellungstechnifch bei derartigen Repräfentationen
immer noch mit dem muffigen, akademifcben Fjausrat begnügt, während die anderen Völker Europas
zum größten Eeil längft den neuen Eatfacßen einer fid) aud) künftlerifd) neu manifeftierenden Slelt-
anfchauung Rechnung getragen haben. Daß die franzöpfcßen Impreffioniften wie Monet, Signac,
Sidaner u. a. nicht fehlen, kann immerhin einen gewiffen Erfaß für das Fernbleiben der ftarken
künftlerifchen Jugend Frankreichs bedeuten.
Äud) Belgien fcheint durchaus konfervativ gefinnt. Eiermüffen Charles de Fjoy undBruffel-
mans neben van Sloeftgen genannt werden, in dem der Geift des alten Bruegbel wieder auf-
gelebt ift. Huch die belgifd)en Bildhauer fchließen verhältnismäßig günftig ab.
Die 18 Sonder- und Gedächtnisausftellungen der Italiener können unmöglich an diefer Stelle
einer gerechten Slürdigung unterzogen werden. Den Reigen eröffnet der Bildhauer Hntonio Canova
(1757—1822), deffen merke aus allen Eeilen Italiens hergebracht wurden. Das alte Urteil beftätigt
ßd), daß diefer Mann vielleicht zum größten Künftler der Sielt herangereift wäre, wenn er nicht
in einer fo unglückfelig-eklektifcben 3eit gelebt hätte. Sleniger bekannt dürfte fein, daß Canova
fogar ein vorzüglicher Diplomat gewefen ift und daß alle IJöfe Europas feinem Genius huldigten.
Er und kein anderer hat von Frankreich die Rückgabe des größten Eeiles jener Kunftfcßäße bewirkt,
die einft Napoleon nad) Paris „requirierte“. Sein fpäter 3eitgenoffe fjayez (1791—1883), Porträt-
und Fjiftorienmaler, wird von den Neuromantikern Italiens gegen den Franzofen Ingres ausgefpielt.
Befonders intereffiert er durch die zahlreichen Porträts feiner Mailänder 3eit, in der er Manzoni,
Stendhal und Roffini nabeftand. Die modernen Italiener haben fich feit Vorkriegszeit nur wenig
geändert, möglich, daß der Husftellungsmodus, hauptfächlid) nur jene Künftler zu berückfid)tigen,
die fd)on mehrmals aufgenommen wurden, diefen Eindruck mit verfchuldet. Man fleht alfo viel
Bekanntes, gute, oft vorzügliche Naturimpreffionen, aber nicht viel mehr. Eervorzuheben find die
Figuriften Ettore Cito, der ftets elegant bleibt, der verftorbene Veruda, Sibellato, Cadorin,
Crentin, Viani und endlich der Marrfd)üler Umberto Martina. Unter den Landfehaftern der
frifebe und geiftreiche SIolf-Ferrari, Cbitarin, Carozzi und Scattola. Die Bildhauer fteßen
meiner Hnficbt nach in Italien immer einige Stufen höher als die Maler (felbft in alter 3eit), denn
fie verfanken niemals im abfoluten Kitfch; fchon die Hufträge dazu fehlten. Huch das völlige
Fehlen des jungen Italien muß als Manko feftgeftellt werden.
3u den febönften Maltemperamenten gehören die Spanier. Meift in Paris gefcbult, find fie
doch ihren großen fpanifeßen Vorbildern treu geblieben: fein kultiviert, doch überfchäumend und
ftets von aparter, aber nicht füßlicher Farbe.
denn Venedig ein Urteil geftattet, müßte man von den Fjolländern anneßmen, daß diefes
Land fern von jener jugendfrifeßen Bewegung ftände, die heute allgemein Europa durchzittert.
Denn der Eindruck der ßolländifchen Säle ift auch diefes Mal genau wie früher grau und modrig,
während doch in der Gat die junge Kunft in Pjolland, wenn auch nicht an Bedeutung der gleich-
zeitigen Bewegung in Frankreich oder Deutfcßland gleichkommt, dennoch mit Elan neue Siege
fucht. Eßer könnte der füßlicß-konfervativeEindruck, den die Engländer machen, denEatfacßen
entfpreeßen, denn die infulare Kunft diefes Landes kennt eine moderne Bewegung fo gut wie
überhaupt nicht. — Sehr zu bedauern ift das völlige Fehlen der Schweizer, die — wie man
weiß — doch über eine fo außerordentlich ftarke Vertretung innerhalb der europäifeßen Kunft
diefer Seit verfügen könnten. Für fie find die argentinifeßen Künftler beftimmt kein Erfaß.
Die alte und neue Negerkunft, die woßl erftmalig auf einer großen Internationalen Eingang fand,
füllte von Rechts wegen zwar nicht erft am Schluffe befproeßen werden; bat fie doch fo befruchtend
auf die modernfte Kunft faft aller Länder gewirkt, daß man oft gewiffe europäifeße Künftler direkt
als ihre Nachahmer oder Plagiatoren anfeßen kann. Merkwürdig, daß keines der Kunftwerke
— einerlei ob alt oder neu — diefer Neger figniert ift. Niemand, nicht einmal der Kritiker, weiß,
wer eigentlich diefe oft grandios-naiv empfindenden Menfcßen gewefen find. Offenbar wird im
dunkelften Hfrika die Kunft als etwas ganz Selbftverftändliches angefeßen, etwa wie das Singen
wilder Kanarienvögel oder das donnerartige Gebrüll des Löwen.

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