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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 12
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Der Graphiksammler
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0534

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Einzelblätter des Jahres 1917, z. B. „Jammer“ (E. Ä. Seemann, 1919), „Drei Frauen“, „Neue Hoff-
nungen“ (f. Hbb., Ferd. Möller) ein völlig verwandeltes Kiefen. Eine neue Bildform ift ent-
ftanden. Die Fläche wird durd) die fteilen, feierlich wirkenden Geraden ruhig [teilender, l)od)-
gewacbfener Figuren und durd) die leifen Beziehungen herüber und hinüber von Geftalt zu Geftalt
belebt, wobei die deutlich betonten Äbftände innerhalb der Ebene oft von heimlicher Span-
nung überfprungen zu werden fcbeinen. In der Radierung „Das große Leid“ find vermieden
charakterisierte Gewalten räumlich fcharf getrennt und außerdem einander abgewendet, und jede
Spricht ifoliert durch Haltung und Gebärde ihr Schickfal aus. In der ausgewogenen Belebung der
Ebene mit Linie und Figur, in der Befchränkung des Räumlichen auf eine allein die Figuren um-
fchwebende, ideale Geftaltungsfphäre, liegt eine überpnnliche Ruhe und Entfernung vom tUirklid)en.
Diefe Eigenfchaften zeigen den Künftler mit der Bildftatik Hans von Marees’ vertraut. In den
18 Radierungen zu Goethes Prometheus, die 1918—19 gefchaffen wurden und 1920 in den
Drucken derMareesgefellfchaft herausgekommen find, erfcßeint die neue ideale Gejtaltungsform in voller
Reinheit. Huch die ganzeStellung zumühema ift grundverfchieden von der Haltung der Radierungen zum
Fauft. Die Gedankenwelt des Goethefchen Gedichtes fpiegelt pd) indiefen Bildern ganz allgemein; das
Ideal eines arkadifchen, heiteren gottähnlichen Dafeins reiner und freier Menfchen, deren Leben
fid) in den einfachsten Urverhältniffen abfpielt und noch im Einklang mit der Natur dahinläuft,
verwirklicht fid) in diefen Gefd)öpfen des Prometheus, in ihrem träumerifchen Ruhen und ftillen
tUandeln unter hohen Bäumen im freien Lichte, in den unfchuldigen Umarmungen, Cänzen und
Spielen liebender Paare. Die Blätter zeigen eine bewußte Klarheit und Feftigkeit des Hufbaus,
doch wechfelt der Charakter der Linienbewegung ausdrucksvoll von einem zum andern. Eine
3eid)nung von großer Schärfe und Beftimmtheit in feften durchgehenden Umriffen mit ftark formen-
den Schatten aus offenen Strid)lagen hebt die Körper reliefartig von der weißen Fläche ab. Das
wichtigfte Element des Formenausdrucks ift rhythmifche Gruppenbildung; beftändiger CUechfel
erfpart dem Äuge Ermüdung. Huf eine Reihung kerzenftiller hod)aufgerid)teter Geftalten folgen
reichbewegte Darstellungen, kunftvoll aufgetreppte Pyramiden mit reizvoller Verflechtung räum-
licher Überfchneidungen oder mit lebhafter 3ic^zackführung der Glieder. Hls Formenfpiele wollen
diefe Blätter gefehen fein. Hus der CUiederkehr verwandter Linien und Formen, aus der Hnalogie
in ihren Lagebeziehungen und Bewegungsrichtungen lieft das Huge eine wohltuende rhythmifche
Ordnung.
Den wunderfamen Verwandlungen und geheimnisvoll verfd)lungenen Begebenheiten des „Mär-
chens“ aus dem Heinrich von Ofterdingen von Novalis folgen A\efecks Radierungen (1919,
26. Druck der Mareesgefellfchaft) nicht 3ug um 3ug, bewahren aber, von ihrer Stimmung infpiriert,
ihre Entrücktheit über das CUirkliche in der zarten Leichtigkeit und dem freien Schwünge des
grapl)if<hen Vortrages, der die Bilder wie Phantome des Craumes Schattenlos im Lichtraum
Schweben läßt. Faft noch inniger hat fid) Mefeck in die tiefe Romantik von Novalis „Hymnen
an die Nad)t“ hineingefühlt. In feinen acht Radierungen zu diefer Dichtung (1919, Gurlitts
neue Bilderbücher, 2. Folge) fud)t er ihren Gefühlsüberschwang, das Huf- und Hbwogen der Stim-
mungen durch Linien- und Formenrhythmus auszudrücken. Durd) die Kunst, Bewegung in feften
Linienfolgen und Flächenordnungen taktmäßig zu binden und durd) die Maßverhältniffe von
Raum und Geftalt Bewegungsvorftellungen hervorzubringen, bedeuten pe in Mefecks bisherigem
Schaffen einen Gipfel. So verfinnlichen fdßwer und feft hingelagerte Maffen und ruhende Hori-
zontalen „der Nad)t HerrT^aft und die Dauer des Schlafes“. Eine folgende Darftellung gilt der
Begrüßung des Lichtes durch die erwachende Menfchheit; die Übergänge der Bewegung vom
ruhigen Liegen zum erften Hufblicken, fid) Emporrichten, vollem Hufftehen, dem Lichte Entgegen-
gehen, werden eng miteinander Verfehlungen. „Das Land, wo das Licht regiert und ewige Unruhe
häuft“ vergegenwärtigt der Künftler Sinnbildlich durch Schattenhaft aneinander vorübertappende,
von unfeliger Gefd)äftigkeit vorwärts getriebene Schemen. Die rhythmifd) gebundene Gruppenbildung
wird auf einem der fd)önften Blätter zur ftreng fakralen 3eremonie betender Scharen, die in wohl-
abgemeffenen Hbftänden Haupt und Hände einmütig zu den Höhen ewigen Lichtes emporfenden.
Die Linie wird in herber Hbftraktheit zur Crägerin eines dem Irdifchen abgewandten, metaphyp-
fd)en Gefühls.
Mefeck arbeitete bisher ausfd)ließlid) mit der kalten Nadel; auf Helldunkel und die Künße der
Äjjung verzichtet er. Ihm kommt es auf unmittelbaren Husdruck der Linie an, den ihm nur die
direkte Berührung des Griffels mit der Platte und der fpontanpe Niederfd)lag der Emppndung
vermitteln kann. Die Reize des Kaltnadel Verfahrens geben den Radierungen zu Kleifts Pen-
thefilea (1919, 'Ferd. Möller) einen befonderen 3auber. Entfprechen pe auch der tragifchen
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