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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 13
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Wiese, Erich: Madonna und Schmerzensmann in der Dorotheenkirche zu Breslau
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0561

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eine Verfdjmelzung verfd)iedener Ideen dar, und zwar der vom Lebensbaum, von der
ttlurzel Jeffe, vom Kreuzholz und vom GQeinftock* 1. Alle vier laffen fid) lebten Endes
auf den Gedanken der Erlöfung, der Rückkehr ins Paradies zurückführen, und fo fd)ließt
fid) der fymbolifd)e Kreis: „Ich) bin der Anfang und das Ende.“ 2 *
Je innerlicher eine 3eit ift, defto mehr Symbole wird ße Flch fchaffen, aus der Er-
kenntnis der menfchlichen Begrenztheit heraus, der das Abfolute verjagt ift. Symbole
geben Schein für Sein und find dennoch mehr als diefer.
Bei der Dorotheen-Madonna ift der Baum wohl als Kleinftock zu deuten; die Ranken-
formen, befonders am oberften Ceil, fcheinen es troß der fd)lechten Erhaltung zu be-
weifen. Daß auch die deutlich voneinander gefonderten (Hurzeln fymbolifd) gemeint
feien, läßt fid) höchftens vermuten. Bei der Madonna von Lemberg kann man, da der
Stamm aus mehreren Äften zufammengeflocl)ten erfd)eint, mit größerem Recht auf die
Verpnnbildlid)ung der Legende von den vier Holzarten des Kreuzes hinweifen. Ge-
flochten ift auch der Stamm bei der Mainzer Madonna, indeffen ift f)ier eher an die
Nachbildung der von Natur torquierten Reben zu denken8.
Unfere Figuren der Entftehung nad) zu lokaliperen, ftößt bei einem Mangel an be-
kannterem Vergleichsmaterial auf erhebliche Schwierigkeiten. Das eben befprochene
Attribut Mariä bietet bei der großen Verfchiedenheit der (Uerke, die es nod) zeigen,
keine handhabe dafür. Auf die mancherlei Beziehungen zu der Breslauer Fjedwigspgur
in der Außenkirche der ürfulinerinnen weife ich am angegebenen Orte hin4. Sie fagen
uns nichts Cüefentliches zu unferer Frage. Sud)t man diefe zunächß nur denkend zu
beantworten, drängt fid) Böhmen als Ausgangspunkt von vornherein auf. 3ur 3cü der
Entftehung unferer Figuren, als welche nach den ftiliftifd)en Merkmalen das erfte Viertel
des 15. Jahrhunderts anzunehmen ift, hängen Schießen und Böhmen politifd) nod) eng
zufammen, vor allem aber pnd regfte Beziehungen zwifdjen den verfd)iedenen Orden
vorhanden5 *. Dies ließe die Möglichkeit einer Beftellung oder Stiftung der ülerke in
Böhmen zu, vollends, wenn man bedenkt, daß St. Dorothea eine Stiftung Karls IV.
und damit böhmifcher Sprößling ift. ütlird diefe Möglichkeit durch formale Dinge ge-
ftütjt? Man muß bejahen, wenigßens für die Madonna unmittelbar. Da der Schmer-
zensmann ihr offenfichtlid) zugehörig ift, mittelbar aud) für ißn; denn es pnd uns bisher
keine Bildwerke des Schmerzensmannes aus Böhmen bekannt geworden, die pd) un-

fprung annimmt (Sprawozdania, i^iftor. Sektion, VII, 1906, S.CCCVII), Ferner publizierte Pb. M. fjalm
im XI. Bd., 5eft3/4 des Münchener Jahrbuches die Madonna mit dem Rofenftraud) aus Straubing und
erwähnt eine weitere in Arnberg. Der Auffatj gekürzt auch in den „Bilderheften des Bayrifchen
Nationalmufeums.“
1 Dazu vgl. u. a. Kraus, Gefd). d. cßrißl. Kunß, IIi, S. 278ff.; Bergner, Kirchl- Kunftalter-
tümer, S. 515; Otte Isie; Detjel 1415 fowie das Malerbuch vom Berge Athos (Schäfer S. 139).
Die Anweifungen in letzterem gehen zum Geil in weit frühere 3eit zurück, als die Entftehung des
Buches (Brockhaus, Die Kunft in den Athosklöftern, Leipzig 1891). Vgl auch den vielfeitigen Ab-
fcßnitt „Signum Vitae“ in Jul. Baum, „Gotifche Bildwerke Schwabens“, Augsburg 1921, S. 61 ff,
2 3wei Bäume zu feiten des Kreuzes, die mit diefem auf gemeinfamer Baps ßeben; zeigt eine
Miniatur eines Pfalters im Londoner Briftol-Mufeum, ca. 1060, Arundel M. S. 60, f. 52 b (1t. Abb. in
„Reproductions from Illuminated Manuscripts“, Series II, London 1910). Es kann pd) hier kaum
um etwas anderes handeln als die zwei Paradiesbäume, des Lebens und der Erkenntnis. Die Dar-
ßellung ift offenbar fehr feiten.
8 Daß es pd) bei der Madonna aus der Korbgaffe um einen Rebenzweig handelt und nicht
wie J)alm (a. a. O.) angibt, um einen Rofenzweig, teilte mir Prof. Neeb, Mainz, auf meine An-
frage frdl. mit. Außer 3weifel iß aber, daß das Motiv der Rofe trotzdem bei den Mainzer
Stücken eine Rolle fpielt; es ift, wie I)a\m fcßon bemerkt, in der Krone vorhanden und könnte
[ehr wohl auch einft bei der Breslauer Figur an gleicher Stelle dagewefen fein. Die 3aßl der
Symbole wäre damit um ein weiteres vermehrt.
4 tüiefe, Schief. Plapik. Abb. in Schief. Vorzeit II, S. 8 (Knoblid)).
5 Vgl. u. a. die auf S. 535, Fußnote 3 angeführte Gefd)id)te von St. Dorothea (Reifd)). Die 3eug-
nipe über das Ordensleben pnd überaus zahlreich.

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