Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

DOI issue:
Heft 14
DOI article:
Raynal, Maurice: Renoirs Nachlaß
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0625

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Renoirs Nachlaß

Von MAURICE RAYNAL / Mit
fünf Abbildungen auf drei Tafeln

Im Früßjaßr diefes Jaßres zeigte die Galerie Barbazanges in Paris den künftlerifcßen
Nacßlaß von Renoir, der bis daßin das Ätelier des Meifters nocß nießt verlaffen
ßatte, und der Öffentlichkeit völlig unbekannt war. Diefe Bilder zäßlen zu dem
Beften, was Renoir gefcßaffen. Liebßaber und Sammler ßaben fie oftmals begeßrt,
aber Renoir, der nießt die Abpcßt ßatte, fie zu verkaufen, und der mancßes aueß
zerftörte, wies die Befucßer ab. Man erzäßlt fieß den feltfamen Fall von einem Händler,
der pcß verkleidete, um fo nochmals wiederzukommen. Der Künftler aber entlarvte ißn,
lacßte und geleitete ißn ßöflicßft zur Dür.
Em Ende feiner Cage fagte Renoir gern (er ftarb beinaße 80 Jaßre alt), daß er nur
nocß einige Jaßre braucße, um wirkließ als Maler zu beginnen. Jedenfalls beweifen die
lebten Werke des Künftlers, daß es pcß da nießt um eine bloße Redensart geßandelt
ßat. Aber dennoeß ift es bei den Scßriftftellern, die begreifen, daß es läcßerlicß wäre,
Renoir ßeute nocß abzuleßnen, Mode geworden, unter den Arbeiten des Künftlers die-
jenigen zu bevorzugen, die einem mittleren Ideal entfpreeßen. Das gilt zumal für ge-
wiffe Porträts, Landfcßaften und Akte, die wie auf Porzellan gemalt find. Dagegen
fpreeßen fie den lebten Werken Renoirs alle Kraft ab, indem fie von Mängeln der
Altersfcßwäcße reden und in ißnen nur den Ausdruck küßler Berecßnung feßen wollen.
Renoir ßat im Gegenteil folcße Dinge aus der reinen fjeiterkeit feines künftlerifcßen
Gewiffens gefeßaffen und fieß immer meßr von dem vergänglicßen Scßein feiner Sujets
entfernt, um fie zu plaftifcßer, malerifcßfter und künftlerifcßfter Formung auszurunden.
Die fießtbare Form feiner Körper ift nur Vorwand, die fieß der Fülle feiner künftleri-
feßen Scßöpferkraft unterordnet. Er umfängt fie, verkleinert fie oder gibt ißnen jene
Fülle, jene Gefcßmeidigkeit und jene Grazie, die er in vollkommener Überlegenßeit und
fjeiterkeit am ftärkften in den lebten Cagen feines Lebens offenbart ßat. Man füßlt in
diefen lebten Landfcßaften und Akten, die Renoir — fo feßeint es faft — nocß im 3u~
ftand des Entwurfs ßinterlaffen ßat, den Kampf feiner Willenskraft, feines aueß pßyfifcß
lebendig und gefund gebliebenen Geiftes, um die Bewältigung diefer wunderbar reießen
Materie, die feinen verdorrten fjänden fieß zu entwinden verfueßte. Es feßeint, daß er
bis zum Code gegen den 3ufammenbrucß feiner geiftigen Kräfte gekämpft ßat, der für
ißn das wirkließe Ende bedeutet. Und desßalb ßat er immer verfueßt, der Farbe die
nocß nießt erfcßloffenen Geßeimniffe zu entreißen, deren Wunder er dumpf in der
finnlicßen Leucßtkraft empfand. Wäßrend feiner künftlerifcßen Laufbaßn ßat ißn fein
lebßafter Verftand und die ißm angeborene Kultur immer wieder zu konftruktiven Ver-
ließen verfüßrt, die feinem ausfcßließlicß malerifcßen Cemperament wenig lagen. Er
zog Velasquez dem Greco vor, aber gegen Ende feines Lebens erreießt er eine Art
von Myftizismus in feiner Farbe, für den ißm die Sujets feiner Bilder lediglicß als
Vorwand dienten. Und felbft dann, wenn diefe meßr waren als Motive, waren pe
von einer Art übernatürlicher oder übernaturaliftifcßer Grazie, deren freie, ungebundene
und volle Bewegung an pompejanifeße Fresken, an Giorgione und felbft an Raffael denken
läßt, in der 3ei<ßnung im einzelnen oft von einer Küßnßeit, die — rein akademifcß —
beinaße feßlerßaft anfprießt. Er gab feinen Modellen oft unerßört dicke Scßenkel, wie
pe Raffael dem ßeiligen Micßael gegeben ßatte. Aber wenn er dies tat, fo offenbarte
fein feßöpferifeßes Genie jenes Geßeimnis der feltenften Rßytßmifierung, die jemals feine
fjand lebendig gemaeßt, und es find in feinem Werke die Gemälde mit rein konftruk-
tivem Geßalt von einer Qualität, die man nur zu oft überfeßen ßat. Um das zu er-
klären, müßte man vor diefen lebten Arbeiten eines Renoir ganz unbefangen aus-
einanderfeben, was die Kunftgefcßicßte dureß pe gewinnen könnte. So feßr der Meifter
aueß verftandesmäßigen Überlegungen ausgefebt gewefen ift, die ißm fein angeborenes
603
 
Annotationen