Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

DOI Heft:
Heft 14
DOI Artikel:
Zeh, Ernst: Die Kultur der Gegenwart
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0632

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
prefjionismus nur in einem polaren, keineswegs aber in einem ausfchließlichen Gegenfatj zuein-
ander ftehen. Leider vermißt man an diefer Stelle den Namen: Cezanne; denn er ift der, wenn
aud) nur formale geniale Cransformator des Impreffionismus; er ift der Ängelpunkt, um den pd)
die Malerei in den letjten Jahrzehnten dreht. Kurz, aber mit pcherem Blick fteckt dann Utitj die
einzelnen Etappen der Plaftik ab (FJildebrand, Rodin, Lehmbruck, Barlach, Rrd)ipenko, Belling).
Die Rbfchnitte „Architektur und Kunftgewerbe“ und „Kunfterziehung“ bringen in einer pfiffigen
Sprache — ein großer Vorzug diefes Buches — bereits allgemein bekannte Catfachen. Dagegen
ift der Rbfchnitt „Cüortkunft“ reich an wertvollen Anregungen. Immer wieder weift hier der Ver-
faffer auf analoge Erfcheinungen in der bildenden Kunft hin. Ruch in die Literatur drang die
naturwiffenfchaftliche Methode ein. Der Perfpektive und Rnatomie in der bildenden Kunft ent-
fprecben in der ttlortkunß Phypologie und Pfychologie (Balzac, Flaubert, 3ola). ttlie die impreffio-
niftifchen Maler, welche die bunten Schatten entdeckten, fo arbeiten auch die impreffioniftifchen
Schriftfteller mit einer fein abgeftuften Farbenfkala. Das 3ufammenfpiel der feelifchen Rtome im
Roman und Drama gibt erft „die volle feelifche Rundung“, ttlas für den impreffioniftifchen Maler
Licht und Uletter bedeuten, das pnd für den impreffioniftifchen Schriftfteller Milieu und Vererbung.
Und wie dann der Expreffionismus den fachlichen Eigenwert feiner CUerkftoffe und Ausdrucks-
mittel betont und zwar frei von der Nachahmung irgendwelcher Naturvorbilder, wie er dem Phäno-
men der Formwerte an pd) nachgeht, an die keine Rffektionswerte von draußen herangetragen
werden follen, fo erzeugt pcb auch die expreffioniftifche Dichtung ihren eigenen „CUortleib“. Munch
und van Gogh einerfeits und Strindberg andererfeits, 5. v. Marees und Stefan George werden
als wefensverwandte künßlerifcbe Erfcheinungen gegenübergepellt. Kurz, diefer Rbfchnitt iß reich
an felbßändigen Beobachtungen, die mit Erfolg noch weiter ausgefponnen werden könnten. In
dem Rbfchnitte „tüiffenßhaft“ pnd die Difziplinen der Gefd)icbte und Kunßgefchichte in prägnanter
Form behandelt, ttlie alle geißigen Rkte zur Synthefe drängen, fo werden auch Gefd)id)te und
Kunßgefchichte nach einer Periode fchärffter Sachkritik und 3ergliederung aus ihrer Vereinzelung
herausgehoben: die Gefchichte erweitert pd) zur ödeltkulturgefchid)te —, die Kunßgefchichte zur
philofophifch verankerten fyftematißhen Kunftlehre. Simmel läßt in feinem „Rembrandt“ alle
Hintergründe der Metaphyfik aufraufchen. „Rlle Difziplinen trachten fo in philofophifche Ciefen-
fdjicht vorzußoßen und ruhen nicht eher, bis pe an diefe Gründe rühren.“
Das Buch von Utitj hält pch frei von jeder mit artiftifchen Mitteln in Szene gefegten Rktualität;
es orakelt nicht, fpekuliert nicht auf eine okkultiftifd) rettungslos feßgefahrene Gemeinde, fondern
verfud)t in einer äußerft klaren und edlen Sprache, die pd) freihält von jeder Klugtuerei, in den
Geiß der Gegenwart einzuführen. Möchte das Buch befonders unferer akademifchen Jugend ein
anregender pcberer Führer durch das Labyrinth unferer 3^it werden!


610

Lovis Corintt). Radierung.
 
Annotationen