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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 16
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Wedderkop, Hermann von: Paul Cézanne
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0704

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tragen. Er hielt fiel) an die alten Venezianer, insbefondere an Veroenfe, [ein Craum
war: „Refaire Poussin sur nature“ — Pouffin erneuern an der Fjand der Natur. Er
fpridtjt immer nur von „realiser“ deffen, was er fielet. So oft, daß diefe einfache
Formel ein Wiß wird, der fid) automatifd) einftellt, wenn [eine Freunde den Namen
Cezanne erwähnen. Der deutfcße Kaifer befcßimpft die Impreffioniften: Cezanne gibt
ißm unbedingt recht, denn (indem er Kaifer Wilhelm II. in der Begründung beifpringt):
il faut refaire Poussin sur nature. ünd er geht weiter, indem er Vollard in be-
[timmtem Con anvertraut: Guilleaume est tres fort! Äber über Kaulbad) fällt Guilleaume
aus der traumhaft fcßnellen Erßöl)ung ebenfo fcßnell zurück. Der deutfcße Kaifer fagt
mit Bezug auf Kaulbad): „Äucß wir haben unferen Delarocße.“ Das ift zu viel, denn
Delarocße ift für Cezanne ein Eunucße, ein cßätre.
Er findet Ingres, bougrement fort, aber emm.— er langweilt ißn, deutfd)
milde ausgedrückt. Corot hat ißm nicht genug „temmperamente“. 3u Puvis l)at er
keinerlei Verhältnis, feine Malerei ift „Imitation“. Er haßt van Gogh, feine Malerei ift
eine „Peinture de fou“.
So fpärlid) und naiv diefe Äußerungen find, fie genügen fd)on, um fid) ein Bild zu
machen. Vollard gibt zudem in feinem Buch, das fo intenfiv und lebendig gefd)rieben
ift, die Ätmofpßäre fo unvermittelt, daß man genug erfährt, um zu verfteßen, was in
diefer Kunft überhaupt erklärbar ift.
Realifer ift der rote Faden. Älfo ein ausgefprod)enes Fefthalten an der Natur, aus-
gehen von ihr. Daß er als Ließt „ciel gris clair“ fo maniakalifd) liebt (ift „ciel gris
clair“, gibt es kein galten meßr, dann wird er felbft in der Kirche unruhig) und er
auf der anderen Seite mit einfeitiger Regelmäßigkeit immer wieder „refaire Pouffin
sur nature“ als Ideal bezeichnet, deutet, aud) wenn man feine Bilder nicht kennte, auf
einen Kampf zwifeßen Linie und Ätmofphärifcßem, zwifeßen Feftigkeit und Äuflöfung.
Man braucht nur eine Landfcßaft Renoirs mit einer der dureßfeueßtetften Landfcßaften
Cezannes zu vergleichen: Man fießt fofort, daß ein Problem in dem Cezannefcßen Bild
ift, das die Stimmung, die nod) immer da ift, dureßfäuert, fie auffcßreckt und ein fremdes
Element einfül)rt, das der totalen Harmonie im Sinne etwa Renoirs ein Ende macht.
Crotjdem ift er voller und überzeugter Impreffionift. öder fiel) fo der Natur überläßt,
wer aueß nur wenigftens den angenehmen Vorteil ßat, die Natur bei einem ciel gris
clair gelten zu laffen, wer ewig vom Motiv fprießt, wer um fid) überhaupt die Ätmo-
fpßäre des Gebundenen, Gegebenen, Erdßaften verbreitet, ßat ein Recht darauf, nod)
entfeßieden in eine 3eit ßineingereeßnet zu werden, die durch ißre Größe, troß diefer
näßen Vergangenheit, befonders im Fjinblick auf die abgeftanden-tßeoretifcße Gegen-
wart legendär wird, Wer Landfd)aften malt von folcßer Fülle der Realität wie feine
Parks, Landßäufer mit Waffer davor oder die ßerrlicß vermufcßelte Provencelandfcßaft
(gegen 1885) ift trotj referviertefter dndeutlicßkeit, trot$ Äufgeßen der Einzelheiten in
einer feuchten Gefamtftimmung voll Impreffionift. Die Einwendungen dringen nießt durch,
überhören fid) um fo leichter. Es ift ißm an fid) fo wenig befonders anzureeßnen, wenn
er einer abrollenden 3eit den reifen Äbfcßluß gibt, als es ißm abzureeßnen ift, wenn
in einzelnen feiner Bilder, in denen er ßcßtbar allein vorwärts geht, experimentiert.
Äm deutlicßften und unbeßolfenften fießt man diefe Äbfonderung auf den Skizzen
mit unnüanciert ßellbeleucßteten Männern, die, in ißrem Kiefen durch andeutende ab-
kürzende Umriffe zum Äusdrudc gebracht, oßne Ätmofpßäre dafteßen und nur „auf-
teilen“, unter völliger Selbftaufgabe mit ißren unwirklichen Körpern nur der Form helfen.
Fjöcßft dünne und laßme Verfucße, die oft mit Kunft nichts zu tun haben. Die Wirk-
lichkeit war aufgegeben, oßne daß Kraft und Gewoßnßeit genug vorhanden waren, um
in einer anderen Welt zu leben und darin mit Leichtigkeit zu fcßalten. Cezanne riskierte
nicht, Modelle zu nehmen. Erft fpät entfcßloß er fid) zu angejahrten Frauen. Er fürchtete
die Stadt und nod) meßr vielleicht fid) felbft (jedenfalls lief er vor dem Scßerz eines
Gärtners, der mit zwei jungen Nichten, nach denen er pcß harmlos erkundigt hatte,
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