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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 20
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Einstein, Carl: M. Kisling
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0853

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felber den Krieg überdauert Ratten. Klir dürfen, ohne zu übertreiben, fagen, daß die
Maler unferer Generation unmittelbar nach dem Krieg ißr tüerk fortfetjten und die Er-
gebniffe erheblich zu verbeffern wußten. Kisling beginnt das Jahr 1918 mit einem Selbft-
portrait; ein Ernfter, faft Verzweifelter mit zufammengekniffenen Lippen; faft mit Augen,
die nichts mehr feßen wollen. Das Bild ift in eckigen, faft feierlichen Flächen gefügt.
Man ift ernft, traurig; aber die Malerei ift gerettet. Nun beginnt Kisling die Armen zu
malen; Kinder, die er fo feßr liebt. Kisling gibt präzife Form, aber fie trägt Empfindung.
Das Oiema ift nicht Vorwand zur Sentimentalität; wohl aber wird Raumkonzentrierung
gegeben und gleichzeitig Erfdjütterndes, jedoch gegliedert, beherrfcht. Kisling fährt fort
große Figur zu verwirklichen; hier und da wird daneben gehauen; dazwifchen und oft,
erarbeitetes Glück, beifpielhaft Gelungenes. 1919 malt er die Bildniffe der Anna 3‘üo_
rowska und Madame Jane Salmon; das erfte Porträt fährt in fchweren, breiten Farben
einher, das zweite ift in filbriggelöftes Grau gefenkt; Bildniffe glückhafter Entfcheidung.
Daneben entftehen ein bedeutender Akt „le tub“ und Stilleben.
1920 finden wir den Künftler in der Provence; in Marfaille, Cafis und Sanary, wo
auch Derain malt. Vorher hat Kisling in Paris fein Bild „Die Küche“ gemalt. Im Süden,
dem Mannöverfeld der modernen Malerei, erobert er fleh endgültig die Landfchaft. Dort
malt er oft den PJafen von Caffis mit den ausruhenden Seglern, Sanary, umftanden von
alten fächrigen Pinien, beherrfcht von feiner friedfamen Kirche, die Derain auf einem
befonders fchönen Bild malte. Kisling gibt kräftige Farben, er ftudiert die reichen,
kurvigen Plane der füdlichen Landfchaft; er gibt das Licht nicht als primäres
Element, fondern als eingeordnete Eigenfdjaft der Gegenftände; es gelingt ihm, den
unverminderten Reichtum landfchaftlicher Bildung zufammenzuballen; er zeigt, welche
Fülle gegebener Natur er zu ordnen verfteht. Natur und Menfchen verarmen nicht auf
feinen Leinwänden, fie verfeftigen fleh- Die el ften Landfdjaften, Strandbilder mit Schiffern,
find nod) flächig zufammengefeßt; aber fchnell, in der Bandollandfchaft, den Pinien,
dem ßafenbild meiftert Kisling das faft Barocke diefer Gegend. Doch Kisling vergißt
nie feine Liebe zur menfcßlichen Geftalt; 1920 malt er die beiden Frauen im Sommer-
garten. Die Provencehifee biegt die eine fcßläfrig zum Cifch, die andere lieft aufmerk-
fam, etwas kühl. Man hat die ülirkung gleicher Landfchaft und gleichen Lichtes auf
zwei verfchieden geftimmte Frauen. 1921 malt er den Jungen mit dem Fjund; Menfcß
und Landfchaft werden nicht durch literarifche Sentimentalität kombiniert, wachfen in
ruhiger Form und reicher Farbe zufammen und ftehen forgfältig abgewogen. Im Nach-
mittag dominieren Jahreszeit, Licht und die langfame Fjiße; beim Spaziergang die Figur.
Diefe Arbeit leitet zu den bedeutenden Figurenbildern des Jahres 1921 über, unter
denen ich das ftarke Bildnis des fixenden Mädchens, die Straßenfängerin und den
großen liegenden Akt hervorhebe. Der Künftler blieb fich gleich; doch ftetig wachfend
weiß er Natur und Darftellung zu formulieren und zu klären. Kisling hat immer nur
eines gefud)t: die Konfolidierung der Malerei. Vielleicht ift folche Bemühung, die Natur
zu ordnen ohne fie zu verringern, das Schwerfte; vor allem ift diefe Bemühung heutiger
Malerei notwendig; die ftrengen Ordner der bildmäßigen Mittel laffen die Malerei
Experimente und Verfucher ertragen; jene geben eben ihrer 3eit Kontinuität und Feftig-
keit. Es bedarf vieler Klugheit und angeftrengter Skepfis, die wertvolle Erfchütterung
der heutigen Malerei, die koftbaren Problemftellungen und Verfudje intenfiv zu erleben,
um dann zu einer fchwierigen, verhaltenen Ordnung fich zu zwingen und entfd)loffen
auf das Intereffante zu verzichten, um ftatt geiftreid) vernünftig zu fein und durch
Regel und Maß mitzuzwingen. 1921 malte Kisling fid) noch einmal; ein Gefleht voller
3weifel; denn es ift fchwierig und voll Verzicht, klar zu fein; aber auch ein Geficht
voller Güte, das Dinge und Leute um fich wägt, kennt und trotjdem noch liebt. Es
ift feßr einfach, den Bluff zu bewundern oder Probleme, die man nicht erfaßte, zu
befcßwäljen; feßwer aber, den ungemeinen üüert einer ftarken Begabung zu erfaffen,
die ohne Crug normativ und wie belebendes Gefet} wirkt.

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