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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. .

Mittwoch den 3. Januar 1872.

5. Jahrg

cheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.

und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckeret, Schi cgaſſe ea

Die Gräfinnen von Schauenſtein
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.

Geſchrei, Angſtgekreiſch, Wehgeheul füllte den Schloß-
hof. Ein wirres Gedränge-von Menſchen aller Stände
und jedes Alters bildeten einen faſt undurchdringlichen
Knäuel auf dem weiten Platze; Schloßbediente, Städ-
ter, Landleute, Reiſende, welche die Neugier, das all-
gemeine Erbtheil der Adamskinder, aus der nächſten
Gegend und von der Landſtraße herbeigelockt hatte.
Man kam und 07 man ſtieß ſich fort und riß ch
herum; man rief, man ſchalt, man ſchrie; doch Alles
zeigte bleiche Geſichter, auf denen Schreck und Entſetzen
ihr Siegel geprägt. Zwei Weiber mit ihren Kindern
in die Kniee geſunken, heulten und beteten wechſelnd
wie in Sinnesverwirrung und eine Alte mit in Ver-
zweiflung aufgelöſtem Silberhaar lag am Rande eines
großen Brunnens, und ſchien in den Armen einiger
Mitleidigen, mit einer Ohnmacht oder dem Tode, dem
düſtern Bruder derſelben, zu ringen, und in der Mitte

des Getümmels ſah man eine anſehnliche Dame, in

dunkler, doch feiner Hauskleidung, der trotz des Gewir-
res Alles reſpektvoll Raum gab, und die nicht ohne
Heftigkeit einem Manne in ihrer Nähe Vorwürfe machte
und ihn zu raſcher Hülfe aufrief, Vorwürfe, deren Härte
ſie trotz der Angſt, und des Zordes doch zu mildern
verſuchte, weil ihr großes leuchtendes Auge auf ein
marmorweißes Geſicht traf und Rathloſigkeit aus allen
Mienen des Geſcholtenen ſprach.
Tobende Stimmen aus dem Volke unterbrachen die
Worte der Herrin. „Zu dem Amte mit ihm! In den
Thurm mit ihm!“ ſo ſchrieen die Schmutzigſten aus der
Menge. „Zwei Wittwen und ſieben Waiſen hat er ge-
macht; die fallen anjetzt der Gemeinde zur Laſt, und
die ſechzigjährige Margareth dazu, die ohne den Sohn
kein Brod in's Haus bekommt. — Wenn er's nicht
verſteht, ſollte er ſeine ſuperkluge Stutznaſe davon ge-
laſſen haben. — Schlagt auf ihn los, auf den Wind-
beutel, auf den ſchändlichen Mörder. 1•. —
Die Dame vom Schloſſe erbob ihre edle Geſtalt,
und ſah mit ſtolzen, doch verdüſterten Blicken rundum,
und die Schreier, wenn auch nicht verſtummt, dämpf-
ten doch auf einige Minuten ihre rauhen Kehlen. „Er-
laucht,“ ſtammelte der Angefochtene und Zerknirſchte,

„es iſt eine Schicung von Gott. Mögen die tollen
Menſchen immerhin an meinem Leibe das Unglück rä⸗—
chen, das mich unverſchuldet getroffen. Die Mauer des
Brunnens ſchien oberhalb unbeſchädigt und ſtark. Das
Gerüſt, welches wir hineingeſetzt, war friſch und ſicher.
Die ausbeſſernden Arbeiter müſſen ſelbſt unten durch
vorſichtsloſes Einſchlagen ihr Verderben auf ſich gezo-
gen haben. Ein Theil der Randmauer ſchoß ein, zer-
trümmerte das Holzwerk und drei Menſchen liegen in
der Tiefe gewiß zerſchmettert und jedenfalls ohne Ret-
tung, denn wer wird ſich hinab wagen, da der zer-
brochene Steinkranz auch jeden Augenblick nachzuſtürzen
drohet?“

„Er ſelber muß hinein, wer Anders!“ fprach ein

ſtämmiger Holzfäller, indem er ſeine ſchwere Fauſt aufe

die Schulter des zitternden Maurermeiſters drückte.
„Schickt ihn ohne Gnade hinunter, gnädige Herrſchaft
Kommt er nicht wieder, ſo liegt Schuld und Unſchuld

zuſammen von Rechtswegen.“ —

Die Dame ſtand beſtürzt und Verlegenhett bedeckte
ſichtlich ihr junges, freies Antlitz, da Half ein fremdes
Erſcheinen ihr über den böſen Moment. Einige Rei-
ter- wurden ſichtbar auf dem Heerwege am offenen
Schloßthor. Sie fragten, ſchwangen ſich aus den Sät-
teln und zwei von ihnen eilten héran, durch ihr her-
riſches Benehmen und die militäriſche Reiſetracht leicht
Bahn findend zwiſchen der Menge. Ohne die Dame
zu beachten, trat der ältere und größte von Beiden,
ein ſtattlicher Mann mit gehräuntem Geſicht und ſchar-
fen, dunkeln Augen, dicht zu dem Rande des Brunnens
und mit dem ſichern Tone der Einſicht und einer ſchal-
lenden Stimme, welche des Befehlens gewohnt ſchien,
rief er die Arbeiter und die zunächſt Stehenden, von
denen ſich Keiner bisher dem Unglücksplatze zu nähern
gewagt, zu ſich her und forſchte und ordnete mit auf-
fallendem Eifer.“
„Wer iſt der kühne Mann?“ fragte die Dame den
andern Fremden, der in ihrer Nähe dem Treiben ſei-
nes Freundes mit Wohlgefallen zuſah. „Ich fürchte,
er verkennt die Gefahr und wird das Unglück mehren,
ja ſich ſelbſt gefährden.“
„Seien Sie ohne Sorge, Madame!“ verſetzte der
Fremde mit faſt leichtfertigem Tone. „Obriſt Offeny
iſt der beſte Ingenieur in des Königs Armee und ſeine
Pulverminen haben manche Compagnie unſerer Vunde
zu unerwarteten Luftſprüngen gezwungen. Erj kennt
die Gefahr, wenn er ſie auch niemals zu ſcheuen⸗ ge-
wöhnt.“ — ö
 
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