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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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— 10

ſpaziert ſein, wenn Deinem Gedächtniß nichts davon ge-
blieben. Gefeiert wie ein Gott, geherzt wie ein Endymion
ſah ich meinen Pylades mit Freude, doch nicht ohne Neid,

aber — “
(Fortſ etzungfolgt.

Zwei — zehn.

Miß Burdett Coutts iſt bekanntlich eine der reichſten
Grundbeſitzerinnen des brittiſchen Reiches, was in dieſem

Lande des angeſeſſenen Erbaͤdels nicht wenig ſagen will,
und die fabelhafte Höhe ihrer Jahreseinkünfte wäre ſchon
hinreichend, ſie zu einer der angeſehenſten und gefeiert-
ſten Frauen Londons zu machen, ſelbſt wenn der Gebrauch,
den ſie von ihrem Reichthum macht, ihr nicht wirkliche
und gerechte Anſprüche auf die Dankbarkeit und Vereh-
rung ihrer Landsleute gäbe. Miß Burdett Coutts ent-
faltet eine an die Thaten eines Peadbody erinnernde
Wohlthätigkeit, ganz beſonders hat ſie aber die Einrich-
tung praktiſcher und geſunder Arbeiterwohnungen zum Ge-
genſtande ihrer Aufmerkſamkeit gemacht und darin Vor-
zügliches geleiſtet. In Anerkennung aller dieſer Verdienſte
hat die Königin Viktoria die Dame unter dem Titel Ba-
ronin von Burdett Coutts in die Peerage erhoben und der
Adel Englands hat ſich hoch geehrt gefühlt, ſie in ſeine
Reihen aufnehmen zu dürfen. In London giebt es we-
nige Menſchen, denen die nunmehrige Lady Burdett Coutts
nicht bekannt wäre, in jedem Magazin, das ſie betritt,
wird ſie mit Auszeichnung empfangen, dagegen ſollte ſie
bet einem Beſuche, den ſie kurz vor dem Kriege der dama-
ligen Hauptſtadt des franzöſiſchen Kaiſerreichs abſtattete,
die Erfahrung machen, daß der Heller doch immer da am
meiſten gilt, wo er geſchlagen iſt und daß der Beſitz gro-
ßer Reichthümer nicht überall Schutz vor unliebſamen Vor-
ausſetzungen gewährt.
Kurz nach ihrer Ankunft in Paris erhielt Miß Coutts
die Nachricht von dem Ableben eines Verwandten, ſie
fühlte ſich veranlaßt, Trauer anzulegen und fuhr nach ei-
nem großen Trauermagazin, um die dazu nöthigen Toi-
lettengegenſtände einzukaufen. Zunächſt wünſchte ſie ſchwarze
Kleiderſtoffe zu ſehen. Ein Commis führte ſie nach der
betreffenden Abtheilung und übergab ſie ſeinem dort ſer-
virenden Kollegen mit den Worten: „Zeigen Sie der
Dame ſchwaeze Stoffe; zwei zehn.“ ö
Miß Coutts traf ihre Auswahl und wünſchte hierauf
Trauerkragen; artig ward ſie nach einer andern Abthei-
lung geleitet und daſelbſt dem Abtheilungschef mit der
Aufforderung übergeben: „Zeigen Sie der Dame Trauer-
kragen; zwei zehn.“ Ganz dieſelbe Scene wiederholte ſich
bei jedem andern Artikel, den ſie kaufte. Der Commis
der einen Abtheilung führte ſie ſtets nach der andern hin-
über und übergab ſie ſeinem Collegen mit der myſtertöſen
Empfehlung: zwei zehn, ſo daß es der Dame ſchließlich
auffiel und ſie beim Verlaſſen des Magazins, ehe ſie an
der Kaſſe ihre Adreſſe abgab und beſtimmte, wohin man
ihr die Waaren bringen ſolle, den ſie bekomplimentiren-
den Beſitzer des Geſchäftes nach der Bedeutung des ſo oft

gehörten zwei zehn fragte. Dieſer war ſichtlich betroffen
und antwortete ausweichend, es ſei das eine Art Loſungs-
wort, daß ſeine Leute unter einander auszutauſchen pfleg-
ten, habe aber durchaus keine Bedeutung weiter.
Weit entfernt, ſich mit dieſer Erklärung zufrieden zu
geben, beſchloß Miß Coutts, deren Neugierde einmal er-
regt war, der Sache auf den Grund zu kommen; als da-
her der Laufdurſche des Geſchäftes ihr die gekauften Waa-
ren brachte, ſagte ſie, nachdem ſie die Rechnung bezahlt
und ihm das übliche Trinkgeld eingehändigt hatte: „Möch-
ten Sie nun noch fünf Franks verdienen, mein Sohn?“
Der junge Menſch war natürlich nicht abgeneigt und
Miß Coutts forderte ihn auf, ihr zu ſagen, was es be-
deute, wenn man in ſeinem Geſchäfte „zwei zehn“ ſage.
„Das wiſſen Sie nicht?“ rief ſichtlich überraſcht ob
ſolcher Unwiſſenhett der Burſche; „das heißt, ihr zwei
Augen paßt auf, daß dieſe zehn Finger nichts mitge hen
heißen.“
Das Räthſel war gelöſt, ſämmtliche Commis in dem
Magazin hatten die reichſte Grundbeſitzerin Englands für
eine Ladendiebin gehalten und dieſe fand die Geſchichte ſo
hochkomiſch, daß ſie dieſelbe, nach London zurückgekehrt, al-
len ihren Freunden erzählte als eine neue Illuſtration des
Sprichwortes: Trau, ſchau, wem!

Muttergedanken.
Von C. F. Liebetreu.

Die Kinder, ſie ſchlummern in ſüßer Ruh,
Sie ſchloſſen die müden Aeugelein zu,
Und ich ſchaue ſie an in's liebe Geſicht
Bei der Abendſonne roſigem Licht.

Und ich ſinne und denke und faſſe es kaum;
Mir ſcheint das ganze Leben ein Traum,
Mir ſcheint das Herz ein gar wunderlich Ding:
Iſt es ſtark? Iſt es ſchwach? Iſt es gut? Iſt's gering?

Einſt als ich in's Aug' des Geliebten geſchaut
Und ich Treu ihm geſchworen als ſeine Braut,
Da ſagt' ich beim Abenddämmerſchein:
„Nur Dich, nur Dich, lieb' ich ganz allein!“

Und jetzt? Ich lieb' ihn wie dazumal,
Trotz manches Kummers, trotz mancher Qual;
Doch allein? O gewiß nicht! Ihr Kinderchen da,
Euch gehör' ich mit innigſter Seele ja!

Für Euch vergieß ich mein Herzensblut,
Ihr mein Alles, mein Leben, wie bin ich Euch gut! — —
Mir ſcheint das Herz ein gar wunderlich Ding:
Iſt es ſtark? Iſt es ſchwach? Iſt es gut? Iſt's gering?
 
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