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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 1 - Nr. 9 (3. Januar - 31. Januar)
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Nr. 7.

Mittwoch, den 24. Januar 1872.

5. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schr,eſſea

und bei den Trägern.

Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

4H

Die Gräfinnen von Schauenſtein.
Novells von Wilhelm Blumenhagen.
Shortſetzung.)

Was die Gräfin in dieſen Jahren gelitten, kann kein
Menſch ausſprechen oder nachempfinden. Da wurde Graf
Adalbert von einer Hetzjagd plötzlich ſchwer erkrankt zu-⸗
rückgebracht. Ein Sturz hatte ſein Hüftgelenk verletzt,
und ein langes ſchmerzensreiches Krankenlager folgte und
endete nach neun Monden mit ſeinem Ableben.“
Der weißlockichte Medikus faßte ſeines ſtill horchenden
Zuhörers Hände und preßte beide feſt zwiſchen ſeinen fei-
nen und weichen Fingern. „Ja, mein beſter Mann,“ fuhr
er mit höherer Aufregung fort und ſeine Augen blitzten,
„ja, es giebt noch Boten des Himmels wie in der alten
Wunderzeit, an welche unſere Jugend nicht recht glauben
will; es giebt noch ſolche Boten mit dem flammenden
Zackenſchwert, die auf der Windsbraut reiten und auf-
rütteln und faſſen und treffen, läge der wundkranke Fleck
auch ſehr tief und unſichtbar. Dieſe Boten ſind die Krank-⸗
heiten, und wollten die Aerzte erzählen, was ſie in man-
cher Mitternacht erlebt, und was ſie darin ohne Hemde
und Bettdecke geſehen, und was die ſtille Frau eine Stunde
ſpäter mit dem Lailach eingeſpendelt, es würde von der
Mitwelt und Nachwelt nicht ohne Nutzanwendung geleſen
werden. Doch wir ſtehen als taubſtumme, beeidigte Wacht-
poſten an dem großen ſchwarzen Thore, welches zwei Wel-
ten ſcheidet, und was die Herauswandelnden laſtend mit-
ſchleppen, müſſen wir als ihr unverletzliches Eigenthum
reſpektiren.“ — ö
„Nachdem Graf Adalbert drei Monden das Bett ge-
hütet, ſchien er die ſorgſame Pflegerin zu erkennen und
achteu zu lernen. Sein Teſtament ſprach die gewonnene
Ueberzeugung und die Reue deutlich aus, obgleich ſein
ſtarr gewöhnter Sinn bis zur letzten Stunde verſchmäht
hatte, durch ein Wort der Liebe und Verſöhnung die lange
Verſchuldung gut zu machen. Das Teſtament verſicherte
der Gräfin Florentine den Beſitz und Nießbrauch aller
Güter und Reichthümer des Grafen, ſo lange ſie lebe und
ſelbſt im Falle einer zweiten Verheirathung. Erſt nach
ihrem Ableben ſollte Comteß Viktorie als Univerſalerbin
eintreten, und ſobald ſie das Teſtament angriffe, bis auf
den Pflichttheil enterbt verbleiben. Zugleich übergab der
Graf ſeiner Wittwe die Aufſicht über die Tochter ohne

irgend eine fremde Einmiſchung, und befahl in ſtrengen
Worten der letzteren Gehorſam und Unterwürfigkeit, auch
verbot er, Viktorien vor ihrem zwanzigſten Jahre zu ver-
heirathen, ſetzte ihr aber alsdann eine fürſtliche Mitgift
aus, deren Fond der Erblaſſer aus einigen kleineren Be-
ſitzungen und aus dem Juwelenſchatz ſeiner Mutter zu bil-
den befahl. — Dieſes Teſtament überraſchte die Gräfin
nicht weniger als Alle, die mit dem Schloß Schauenſtein
in irgend einer Berührung geſtanden; doch bald ſegnete
Jedermann die wunderſame Erleuchtung, den Saulus-
Blitzſtrahl, der den Grafen ſo kurz vor ſeiner Scheide-
ſtunde getroffen. Gräfin Florentine wurde der Schutzgeiſt
ihrer Unterthanen, die Wohlthäterin aller Nothleidenden;
was mit dem Grafen oder ihrer Familie bekannt gewe-
ſen, oder irgend durch ein Blutströpflein verwandt geblie-
ben, fand eine gaſtliche Herberge auf Schauenſtein, die
man auch bis zur Unverſchämtheit benutzte, und ſo' fügte
ſich Alles in die unerwartete Neuigkeit.“
„Aber die Tochter, die Comteß Viktorie?“ unterbrach
lebhaft der Obriſt den Athem ſchöpfenden, pauſirenden Er-
zähler. *
„Das blieb der Stachel, dem der ſterbende Graf die
ſelbſt geſchärfte Spitze nicht wieder zu nehmen vermochte,“
verſetzte mit einem Seufzer der Hofrath. „Vergebens ver-
ſuchte die Gräfin durch Liebe, ſelbſt durch Nachgiebigkeit
das Herz der Verlorenen wieder zu gewinnen, durch feine
Fäden nach und nach das verdorbene Kind einzuſpinnen,
und als dieſe Mittel nicht anſchlugen, durch gemäßigte
Strenge mit vernünftiger Belehrung gepaart, zu ſchmelzen
und zu biegen, was verwildert und ſtarr erwachſen. Vik-
torie fügte ſich, weil ſie mußte, doch trotzig und verbiſſen
wie das eingefangene Füllen der Steppe, tückiſch und bos-
haft wie der Pardel im Käfich. Da erſchien die Signora
Blanda auf Schauenſtein, und in ihrem Gefolge Graf
Auguſtin. Die Marquiſe, wie die böſe Fama ſprach, einſt
eine Dido abandonnata des Grafen Adalbert, ſpäter die
Gemahlin eines überrheiniſchen Couſins der Schauenſtei-
ner, wußte verſchmitzt das Vertrauen der Gräfin zu ge-
winnen, entwickelte aber ſpäterhin den verderblichſten Ein-
fluß auf die junge Comteß und Florentinens reine Seele
ahnte trotz der Warnungen ihrer Freunde nichts von den
wohlbedachten Anſchlägen, mit denen man ihren ſa ſpät
und ſo ſchwer gewonnenen Frieden bedrohte. Der Graf
veröffentlichte bald ſeine Abſichten auf die Hand Vikto-
riens und die Mutter, wenn auch nicht beſonders von ſei—⸗
nem Aeußeren und ſeinem Charakter eingenommen, ver-

wies ihn freundlich auf den vierjährigen Teſtamentster-

min, der ihm vollauf Zeit gewähre, das Herz der jungen
 
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