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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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gegründet und darum weniger zufällig und feſter. Glau-
ben Sie mir, Obriſt, Sie werden keinen fröhlicheren Gaſt
an Ihrer Hochzeitstafel erblicken als mich, und ich hoffe
eine gleiche Fröhlichkeit von dem neuen Vater meiner Vik-
torie, der die triſten Wittwenlaunen ſeiner Gräfin zu be-
zwingen wiſſen und die Ehre erkennen wird, die durch ei-
nen ſolchen Blutsfreund ihm geworden.“
Ruhig ſah der Obriſt ihm in's Geſicht; die Röthe, die
auf ſeinen Wangen entſtanden, verlor ſich und mit gleich-
gültigem Tone, doch innerlich erbittert über die Unver-
ſchämtheit des Zudringers, entgegnete er: „Mein hochgebo-
rener Herr geruht mir Räthſel aufzugeben. Ich weiß nichts
von einer Viktorie, die Graf Auguſtin ſein nennt, eben
ſo wenig von den Wittwenlaunen einer Gräfin, nichts von
einer unerwarteten Ehre, die mir zugefallen. Doch möchte
ich Ihnen, wenn Ihre Geduld nicht ermüdet, eine Geſchichte
erzählen,“
„Eine Geſchichte und welche?“ ſtieß der Graf verdutzt
hervor.

„Es begab ſich in Feindesland,“ begann der Obriſt,

ſich unbefangen auf das Geländer ſtützend. „Ich hatte die
Ehre, in einer kleinen Feſtung zu kommandiren, die blutig
gewonnen und blutig vertheidigt wurde. Sie war ein wich-
tiger Schlüſſel zu einer Provinz und unſere Gegner ſetz-
ten Vieles daran, die beläſtigenden Gäſte daraus zu ver-
treiben. Wir hatten eine wohlgeleitete Belagerung zu be-
ſtehen, man ſchoß Breſche und rüſtete ſich zum Sturme.
Das Vertrauen zu ehren, welches mein Feldherr mir ge-
ſchenkt, traf ich die dienſamſten Vorkehrungen, die ich Ih-
nen als ein Mann von Metier nicht aufzuzählen nöthig
habe, und auf der höchſten Baſtion beachtete ich mit mei-
nem guten Fernrohre den Angriff. Ein braves Voltigeur-
Regiment ſollte ſich den Lorbeer verdienen; an ſeiner Tete
marſchierte ein junger, hochgewachſener Mann und unſere
Kugeln begannen ihr Spiel. Da ſah ich mit Bedauern
den kühnen Führer der zum Opfer erkorenen Leonidasſchaar
ſchon am erſten Laufgraben ſtürzen und verſchwinden, und
widmete ihm einen Moment der Trauer um ſeinen frühen
Heldentod. Ein alter, braver Graukopf nahm ſeinen Platz
ein und führte die jungen Tollkopfe zu der Breſche hin-
auf. Leider wuchs, wie ſo oft im Kriege, für dieſe Ta-
pfern kein Lorbeer. Unſer Minenbau zernichtete den küh-
nen Alten und die Mehrzahl der Seinigen; andere Co-
lonnen hatten ein gleiches Schickſal im Kreuzfeuer meiner
Batterien und der Sturm ward abgeſchlagen. DochKals
ich den Flüchtigen durch mein Fernrohr nachſchaute, ſchrie
ich Mirakel, denn das Bild meines ſchlanken Voltigeurob-
riſten ſtand zu meiner größten Verwunderung im Spiegel
meines Glaſes. Ich bemerkte deutlich und genau ſeine
wunderliche Auferſtehung aus dem Laufgraben; ein Reit-
knecht half ihm auf das Pferd, und er ritt davon wie ein
engliſcher Jokey, friſch und munter und mit unverletzten
Gliedern. Später erfuhr man, der Luftdruck einer ſchwe-
ren Stückkugel ſolle ihn niedergeworfen haben, obgleich wir
nur mit Kartätſchen gefeuert hatten und er wurde zu den
diſponibeln Offizieren der Armee verſetzt.“
„Was ſoll die alberne Geſchichte, was ſoll ſie hier und
jetzt?“ fragte der Graf nicht ohne Verwirrung und mit
erkünſtelter Gleichgültigkeit.

38

„Mein Fernohr hatte die ſchönſten Gläſer,“ verſetzte
der Obriſt gleichmüthig, „ich konnte durch daſſelbe jeden
Geſichtszug unterſcheiden, ſelbſt die Nummer des ſtürmen-
den Regiment erkennen. Es war das dretzehnte und Sig-
nora Blanda, welche der Zufall gerade damals als ge-
zwungenen Gaſt in meine Feſtung geführt, nannte mir den
ihr wohlbekannten Commandeur. Sie kennen, mein Graf,
die Allegorie. Man gebraucht ſolche als Redefigur gern
da, wo die Schicklichkeit das klare, unverblümte Wort
ſchwierig ſcheinen läßt. Nehmen Sie meine Anekdote für
eine ſolche.“
„Das fordert Blut!“ rief der Graf gleich einem Ra-
ſenden.
„Weſſen ?“ fragte der Obriſt kalt. ö
„Das Ihrige! Das Blut des Ehrenſchänders!“ —
„Wenn und wo?“ — „Sogleich! In einer Viertelſtunde!
Oben im Walde, wo der Fluß die Kaskade bildet.“ —
„Möchte ein Luftdruck nicht vielleicht ſchon unten am Saume
der Hölzung Ihre Jägerhand lähmen 2“ — „Lächeln Sie
nicht, Schändlicher!“ knirſchte der Graf; „wir werden ſe-
hen, wer zuletzt lacht.“
Der Obriſt lachte nicht; mit tiefſinnigem Blick und
ſehr ernſt gewordenem Geſichte ſah er gedankenvoll ſeinem
fortſtürzenden Gegner nach und ging dann, um den Haupt-
mann zu ſuchen.

9.

Mehrere Lakaien des Schloſſes durchrannten das Städtr
chen, den Hofrath Silber aufzufangen, den ſein täglicher
Gang durch die Höhlen des Jammers und die Gemächer
des Elends beſchäftigte. Er ward getroffen und ſtand bald
im Zimmer der Gräfin Florentine. Unruhig und aufge-
regt fand er die Gräfin, und bei ihr einen ſchmutzigen,
taubſtummen Knaben, den ſie mitleidig vor vielen Mona-
ten ſchon aufgenommen, und der zu den niedern Dienſten
in der herrſchaftlichen Küche verwendet worden.
„Helfen Sie mir aus einem Dunkle, lieber Hofrath,“
bat ſie, „das mich gar ſehr beängſtigt. Man bringt mir,
wie gewöhnlich, die Chokolade. Gleich darauf drängt ſich
der ſtumme Burſche herein, wirft ſich mir zu Füßen, zerrt
an meinem Kleide, macht mir mit ſchweißbedeckter Stirn
tauſend Zeichen, die ich nicht verſtehe; doch wenn ich meine
Taſſe berühre, ſchreit er mit krächzender, entſetzlicher Stimme
und wenn ich ihm mit Zürnen die Thür weiſe, wirft er

ſich wiederum weinend und zitternd vor meine Füße. Ihr

Mitleid, Ihre Menſchlichkeit haben Sie lange mit dem
Unglücklichen beſchäftigt; vielleicht gelingt es Ihnen, zu
verſtehen, was dieſer ſeltſame Auftritt bedeutet.“ ö
Der Hofrath faßte den ſcheuen Knaben bei der Hand,
ſtreichelte ihm das wirre Haar ſchlicht und tauſchte dann
mit ihm ſeine Zeichenſprache aus; aber immer düſterer
ward des Arztes Geſicht, und immer geſpannter bewachte
die Gräfin ſeine wechſelnden Mienen. Endlich drückte der
Hofrath ſeine ſichtlich bebende Hand feſt auf des Knaben
Scheitel, machte ein Zeichen der Beruhigung und ſchob ihn
obgleich der Knabe nur ungern ſich zu entfernen ſchien,
zur Thür hinaus. ö
„Es iſt unglaublich und doch faſt nicht zu bezweifeln,“
 
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