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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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wachſenen Teufelchen iſt ein ſelten gelungenes Kunſtſtück“,
ſchmunzelte der alte Medikus; „unſere Kleine iſt eine Hel-

din, aber von welch' einer Mutter hat. ſie auch das erſte

Blut, das pabulum vitae empfangen. Die Erbſünde iſt
nicht wegzuläugnen, doch eben ſo wenig die Erbtugend,
wenn auch unſere Weltweiſen das Wort, als Widerſpruch
des Begriffs, nicht ſtatuiren möchten.“ —

Sie waren an ein wildes und verworren gepflanztes-

Dickicht von Nadelholz getreten, in welches nur ein enger
Pfad zu führen ſchien, da trat die Gräfin ihnen entgegen,
einen offenen Brief in der Hand, welchen ſie dem Ob-
riſt mit verſtörtem und verdüſtertem Geſichte entgegen
ielt.
„Lies, Richard!“ ſagte ſie. Es giebt ein Gericht auch.
ſchon auf Erden, und nicht weniger furchtbar als jenes
unbekannte, vor dem der verſchonte, heimliche Sünder er-
ittert.“ — ö
Der Obriſt las laut. Der Brief war von einer barm⸗—
herzigen Schweſter an die Gräfin von Schauenſtein ge-
richtet. Er beſchrieb die gränzenloſen Leiden einer Kran-
ken, die von allen Nethwendigkeiten ſentblößt, fremder
Pietät verfallen, unter der Pflege der Hoſpitaliterinnen
einem langſamen, qualvollen, unausweichbaren Tode ent-
gegen ſah. Die graue Schweſter ſchrieb, daß die Kranke
ſich ihr als eine Verwandte der Gräfin kund gegeben und
bat um eine Wohlthat für die Verlorene.
„Du wirſt glühende Kohlen auf dem Haupte der Fein-
din ſammeln?“ fragte der Obriſt. ö
„Sende ihr Geld, ſo viel Du will
erſchütterte Frau, ſich an ihn ſchmieger
mild und verſöhnend. Sie wollte Unheih

Pein und Strafe erwuchs Glückſeligkeit aus der giftigen

Saat.“
„Möge der Unglückſeligen ſolch' eine ſtille, freundl
Ruheſtätte werden, wenn ſie auch den Frieden haßte
ſelbſt dem Nächſten nicht gönnte, welches nach dem Un-
danke von allen Untugenden die häßlichſte bleibt,“ ſagte
der Hofrath, indem ſeine Hand nach einem kleinen Hügel
mitten in dem Tannengeſtrüpp deutete, auf dem die Ver-
wunderten einen Marmorwürfel erblickten, dem aus blan-
kem Metall der Name: Staroſt, eingegoſſen worben. —
„Das arme Thier mußte auch um ihretwillen davon und
nicht eben auf eine bequeme Weiſe,“ ſprach der alte Herr
fort, halb im Humor, halb mit Wehmuth. „Möge ſie
nicht länger leiden als der arme Freund da, der unſer
Aller Erretter recht eigentlich geweſen. Nicht finſter
ſchauen, liebe Erlauchte Frau! Es drängte mich, jenem
ſchwarzen Tage ein warnendes Andenken zu ſetzen. Nie-
mand weiß darum, und nach Jahrhunderten mögen die
ſpäteren Antiquare und im Staube wühlenden Hiſtorie-
graphen ſich abmühen, um auszuforſchen, welch' ein nor-
diſcher Kriegsmann im Schauenſteiner Park den Heldentod
und die Lorbeerkrone gefunden!! — —

Loſe Blätter.

Marquis Poſa und Czar Nikolaus. Wir
nehmen Veranlaſſung, aus dem liebenswürdigen Buche:

55

„Aus meinem Bühnenleben. Erinnerungen
an Karoline Bauer. Herausgegeben von Arn old
Wellmer —“ einzelne Charakterzüge mitzutheilen. Die
folgende Anekdote zeigt, daß die anmuthige Künſtlerin,
wenn es galt, ebenſo tapfer wie liebenswürdig zu ſein ver-
ſtand. Im Jahre 1834 gaſtirte ſie in St. Petersburg
und war vom Publikum, wie vom Hofe, bis dahin mit
Gunſtbezeugungen überſchüttet worden. Sie erzählt: „Ab er
trotz der nie wankenden Gunſt des Publikums und trotz
der herzlichſten Aufnahme in den liebenswürdigſten Fami-
lienkreiſe dachten wir doch längſt an's Scheiden. Die
Mutter konnte das Klima nicht ertragen und fing an zu
kränkeln. Auch ich ſpürte die Wirkung der entnervenden
Sommer — der anſtrengenden Winter.
Fürſt Gagerin legte zu Aller Bedauern die Intendanz
nieder, Herr von Gedeonoff wurde ſein Nachfolger. Wie
derſelbe ſeine Aufgabe auffaßte und zu löſen ſuchte — da-
von hier nur ein Beiſpiel.
Während des Don Carlos — ich gab die Eboli —
und während der großen herrlichen Scene zwiſchen König
Philipp und Marquis Poſa, aber noch vor den Worten:
„Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ trat Herr von Ge-
deoneoff auf den Regiſſeue Barlow zu und befahl ihm,
den König und Poſa ſogleich abtreten zu laſſen, inde i
das Geſchwätz den Hof lbangweile.
Der ehrlicht Barlow ſtand wie eine Salzſäule da und
wußte ſich keinen Rath, wie er ohne großen Eclat die bei-
den unliebſamen Schiller'ſchen „Schwätzer“ von der Scene
verſchwinden laſſen könne.
Da ſprühte mein gutes deutſches Schillerherz über:
„Nun, Herr Barlow, ſo treten Sie doch als Regiſſeur
vor und machen dem Publikum eine Verbeugung und ſa-

gen: „Allons, König Philipp, allons, Marquis Poſa mit

dem demokratiſchen Kopfe und dem Herzen voll ſtolzer
Weltbeglückungsträume — marſch von der Bühne, Se.
ruſſiſche Majeſtät langweilt Euer Geſchwätz — langweilt
die Gedankenfreiheit ...
Der Intendant ſah mich giftig an und trat dann faſt
aus den Couliſſen heraus und ſchrie dem verdutzten Kö-
nig Philipp und Marquis Poſa zu: „Sogleich abtreten,
oder ich laſſe Euch durch Soldaten von der Bühne ho-
len ...“
Und ſie traten ab.
Mein geflügeltes Wort war aber nicht zwiſchen den
Couliſſen verklungen. Bei meiner Abſchiedsrolle blieb al-
lein die kaiſerliche Loge — leer!“ ö

Ein ganzes Lager voll Ehrlichkeit. „Endlich
einmal ein ehrlicher Mann im Amte,“ rief eine Wiene-
rin, als ſie die Ernennung eines hohen Staatsbeamten in
der „Preſſe“ las.
„Ja wohl, ein ehrlicher Mann,“ entgegnete tief aufſeuf-
zend ihr Gatte. „Seine Ehrlichkeit iſt ſo groß, daß er
an alle herrſchenden Parteien ein Stück davon verkaufen
konnte und für die kommende Miniſterkriſis immer noch
eine reſpektable Portion übrig behält.“
 
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