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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0074

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der an, „daß Sie ſohne Führer und ohne Catalog ſind.

Schließen Sie ſich an uns an. Natalie wird uns den Text
vorleſen und Sie Künſtler ſollen uns durch Ihre Bemer-
kungen würzen.“ ö
Wie gern gehorchte Kork! Gierig ſog er die Worte
von den holden, ſchüchternen Lippen der anmuthigen Vor-
leſerin. Aber er wußte nicht blos zu nehmen, ſondern
auch zu geben. Seine beſcheiden geäußerten Anſichten zeug-
en von vieler Gründlichkeit und erhebender Begeiſterung.
Natalie lauſchte eben ſo gern ſeinen Worten als er den
ihreu. Jeder Blick aus ſeinen ſprechenden, dunklen Au-
gen drang bis in Inneres. Doch hütete ſie ihrer ſmit
ängſtlicher Sorgfalt, damit nichts dieſe Bewegung verra-
the. In der angenehmſten Unterhaltung waren faſt zwei
Stunden verſtrichen. Der Geheimerath flüchtete endlich er-
müdet nach einem naͤheſtehenden Sopha; Natalie aber,
durch die Entfernung ihres Onkels eine größere Annähe-
rung des gefährlichen Malers beſorgend, wollte Jenem
nachfolgen. Da ſtieß ſte bei einem raſchen Umbiegen auf
einen Mann, deſſen düſter glühender Blick ihren Schritt
lähmte und ihr einen leiſen Schreckensruf entriß.
Beſorgt ſprang Hugo ihr zur Seite und ſprach zu der
Erblaßten: „Was iſt Ihnen, mein Fräulein?“

Seine Dazwiſchenkunft veranlaßte den Ruheſtörer Na-

taliens zum ſchnellen Abwenden. Korks Sinne waren le-
diglich dem erſchrockenen Mädchen zugewendet, daher über-
ſah er aller Andere. „Was iſt Ihnen?“ wiederholte er.
Seine Hand ſuchte eifrig nach dem Riechfläſchen in der
Taſche.
„O ich bitte!“ — ſprach die Liebliche und verſuchte zu
lächeln. „Ich bin ein Kind, in der That ein Kind, das
ſich vor einem unſchuldigen Schreckbilde entſetzt. Dies iſt
mir jener Mann, deſſen unheimliches Geſicht mir ſchon ei-
nigemale in den Weg gekommen iſt. Doch was kann der
Arme dafür, daß ſein Blick mich erſchreckt?!“
„Glauben Sie nicht an Ahnungen, gnädige Comteſſe?“
fragte Hugo ernſt. Sollten Sie nicht geleſen haben, daß
der Anblick des berüchtigten Sauterre's die unglückliche Kö-
nigin Antoinette jedesmal einer Ohnmacht nahe brachte,
obgleich der Blutmenſch damals nur noch ein gewöhnlicher
Bierbrauer und Beſucher des königlichen Gartens war.
Ihr Abſcheu vor dem Menſchen wurde dann gerechtfertigt,
als der Brauer bei ihrer und ihres Gatten Hinrichtung
den Oberbefehl führte.“
„Tempi passati!“ ſprach Eugenie. „Dieſe traurigen
Zeiten ſind vorbei und da meine liebe Couſine keine Kö-
nigin iſt, ſo wird auch ihre Ahnung ſich nicht erfüllen.
Doch, wer mag nur der Schreckensmann ſein??
„Sprichſt Du von dem bleichen Geſichte mit dem dun-
keln Backenbarte,“ hob der Geheimerath, die Frage ſeiner
Nichte auffaſſend an, — „das dort längs der Bilderwand
hinſchleicht? Irre ich mich nicht, iſt es der Kapitän Chaſ-
ſeloup, eine Art Attaché des franzöſiſchen Generals
Brieux.“ ö
Mit Hülfe des Guckers erkannte Hugo in dem Be-
zeichneten jenen Schweden aus dem Poſtwagen, der ſich
jetzt in einen Franzoſen umgewandelt haben ſollte. Un-
erklärbares Ereigniß, wenn man es mit dem im Poſtwa-
gen Vorgefallenen verglich.

Natalien war die Luſt vergangen, länger die Gemälde
zu beſchauen. Mit großer Vereitwilligkeit kam der Ge-
heimerath ihrem leiſe hingeworfenen Wunſche, nach Hauſe
zurückzukehren, entgegen. Sie verließen die Gallexie. Die
Schicklichkeit gebot Hugo'n zurückzubleiben. Er benutzte
die Gelegenheit, den Schweden aufzuſuchen, um ſeines wah-
ren. Charakters wegen in's Reine zu kommen.
Dieſer trat dem raſch auf ihn zutretenden Reiſegefähr-
ten mit den Worten entgegen: „Ich errathe, was Sie zu
mir führt. Allerdings bin ich vor der Hand nicht mehr
der Schwede Möllarſtröm, ſondern der Kapitän Chaſſe-
loup. Doch iſt und bleibt jener mein wahrer Name.
Meine voreilige Offenheit im Poſtwagen hatte mir die
Gefangenſchaft zugezogen. Ich entging ihr glücklich wie-
der, bevor ich noch an die franzöſiſche Behörde ausgelie-
fert wurde. Doch mußte ich mir ſelbſt ſagen, daß von
nun an meine Freiheit gefährdet ſei. Sie mir zu erhal-
ten, wußte ich kein ſicheres Mittel, als mich geradezu in
die Höhle des Löwen zu begeben, deſſen Untergebene mich
daſelbſt wohl am allerletzten ſuchen. Zwar gehörte viel

Selbſtverlängnung dazu, doch mußte das ſchwere Opfer

gebracht werden. Ich bin überzeugt, daß der edle, junge
Deutſche vor mir den verzweifelten Schritt weder mißbil-
ligen, noch zur Kenntniß der fremden Unterdrücker brin-
gen werde. Ihr Ehrenwort, mein Herr! daß Sie bis
auf Weiteres meinen wahren Charakter verſchweigen
werden.“ ö ö
„Es iſt dies nicht nöthig, mein Herr!“ entgegnete Kork
mit unbeſchreiblicher Hoheit, — „indem ich Ihren wah-
ren Charakter nicht einmal kenne.“ Er veebeugte ſich
kalt und ging. Mit zuſammengekniffenen Lippen ſah ihm
der Doppelgänger nach.

Die Unterbrechung.

Der Geheimerath gab große Fete. Von Kerzenglanz
waren alle Fenſter erhellt. Wagen an Wagen fuhren vor.
Muſik ertönte; die Köche ſchwitzten in der Küche; die Die-
ner liefen auf und ab, indeß die harrenden Kutſcher ihre
maſſiven Späße trieben. Eugenie war die Sonne, welche
mit ihrer Schönheit Alles entflammte; Natalie der Mond,
deſſen ſanftes Licht die Liebenden beſeligt; der Baron aber
ein Komet, der mit großer Gelenkigkeit umherſchwänzelte,
ſeine Gäſte nach Würden zu empfangen und zu unterhal-
ten. Unter ihnen war der General Brieux nicht der Letzte.
Trotz ſeiner vierzig Jahre umflatterte er die reizenden
Nichten des Barons mit unermüdlicher Ausdauer. Wie
Honigſeim floſſen ihm die Schmeichelreden der franzöſiſchen
Sprache von den etwas welken Lippen. Was dem Kör-
per an Jugendfülle und Friſche abging, ſollte der Uniform
Pracht und Stickerei, ſollten die blitzenden Orden, die
Brillanten der Ringe und Buſennadeln erſetzen. Obſchon
er den Ball mit Eugenie, der Königin des Feſtes eröff-
net, ſo ſchien ihn doch die ſcheue, ſchüchterne Natalie in
ihrer Anſpruchsloſigkeit noch mehr anzuziehen. Vielleicht
glaubte er auch, leichteres Spiel mit dem ungewitzigten
Naturkinde haben zu können. Unabläſſig verfolgte er ſie
mit ſeiner widerlichen Unterhaltung.
Endlich gelang es der Gequälten, ihrem Peiniger auf
kurze Zeit zu entſchlüpfen. Als ſie in einem menſchenlee-
 
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