ausgeſprungene Diener bei dem geöffneten Kutſchenſchlage,“
ihr bie hülfreiche Hand beim Einſteigen reichend. In dem-
ſelben Augenblick aber, als Natalie mit einem Fuß den
Wagentritt berührt, fühlt ſie ſich von einem kräftigen Arm
ergriffen und eine nur zu wohl bekaͤnnte Stimme macht
ſie freudig erſchrecken. „Mein Fräulein,“ — ſpricht Kork
ſanft, doch entſchieden, — „vertrauen Sie ſich nicht die-
ſem Elenden an, den Brieux's Gold zu Ihrem Verderben
gewonnen hat. Nicht zu Ihrem Onkel — in des Wol-
lüſtlings Gewalt ſoll Sie dieſer Wagen bringen, welcher
nicht der Ihrige iſt.“
Erſchrocken reißt ſich Natalie von dem verdutzten Die-
ner los, welcher ſofort verſchwindet.
„Wünſchen Sie in das Concert oder nach Hauſe zu-
rückzukehren?“ fragte Kork weiter.
Wie bewegte dieſe trauernde Stimme Nataliens Herz!
Kaum vermochte ſie in ihrer Rührung zu antworten, daß
ſiet von Schreck befangen, für's Concert nicht mehr tauge,
ſondern ſofort nach Haufe zu eilen wünſche.
Stumm reichte ihr Kork den Arm, in welchen ſie un-
ter ſtreitenden Gefühlen den ihrigen legte. Beide fühlten
ein gegenſeitiges Beben; Beiden hielt die Macht des ge-
genwärtigen Augenblicks die Lippen geſchloſſen. An einer
etwas dunkeln menſchenlerren Stelle einer Straße ange-
langt, ſahen ſie drei Männer, den verrätheriſchen Diener
an der Spitze, auf ſich zuſchreiten. „Das ſind ſie! das
ſind ſie!“ ziſchelte Jener. ö
In dem Augenblicke, als die Helfershelfer Brieux's
die furchterfüllte Natallie gewaltſam von Kork's Seite rei-
ßen wollten, ſahen ſie dieſe von fünf Männern überwäl-
tigt, welche unbemerkt dem einſamen Paare nachgewan-
delt, jetzt aus dem Schatten der Häuſer hervorgetreten wa-
ren und ſich zu Rettungsengeln aufwarfen.
Ungehindert erreichte Kork mit ſeiner ſchönen Beglei-
terin das heimathliche Haus, an deſſen Schwelle Natalie
mit ſich ſelbſt ſtritt. Wie ſollte ſie ihrem abermaligen
Retter danken, welche Worte wählen, um die innere Be-
wegung nicht zu verrathen, um keine täuſchende Hoffnung
in dem armen Jüngling zu erwecken?
Kork's Beſcheidenheit entriß ſie ihrer Angſt. Als auf
ſein wiederholtes Klingeln Babet mit Licht in der Thüre
erſchien, hatte er ſich unbemerkt davongeſchlichen.
Spät kam Loſſum nach Hauſe. Er fand ſeinen Freund
bereits eingeſchlafen und nm ihn nicht zu ſtören, be-
gab er ſich auf den Umgang vor der Sternwarte, dort
ein Liebesglück dem Monde und den Sternen laut zu
preiſen. Seinen Rauſch unterbrach ein leiſes Klopfen an
der Fallthüre. Ein froher Schreck durchzuckte ihn. Sollte
Engenie vielleicht — doch nein — dieſer Gedanke war zu
unwürdig, um weiter verfolgt zu werden. Raſch ging er
zu öffnen. Der Obertheil eines Mannes ward ſichtbar,
und als das volle Mondeslicht ihn beſchien, erkannte Loſ-
ſum mit Befremden in dem ſpäten Beſuch — den Schwe-
den Möllarſtröm, nunmehr Chaſſeloup genannt. Ehe er
ihm noch ſeine Ueberraſchung zu erkennen geben konnte,
kam ihm Jener mit den haſtig geſprochenen Worten zu-
vor: „Retten Sie mich, ich beſchwöre Sie, vor der Rache
des elenden Brieux! Könnte ich eine kurze Zeit bei Ih-
nen verborgen bleiben, bis ich meine Verfolger getäuſcht
82
und die Vorbereitungen zu einer ſicheren Flucht getroffen
hätte, würde ich Ihnen mein Leben ſchulden!“
„Mein Herr!“ — entgegnete der betroffene Loſſum —
„ich weiß gar nicht“ — ö
„Verſchließen Sie,“ — fiel ihm Chaſſeloup in die
Rede — „die Thüre ſo feſt als möglich und laſſen Sie
uns in's Zimmer gehen, damit kein Verräther unſere Worte
belauſche oder unſere Geſtalten im Mondlicht erkenne. Ich
fühle wohl, daß ich Ihnen erſt völligen Aufſchluß zu er-
theilen habe.“
Als Loſſum des Flüchtlings Willen erfüllt hatte, hob
dieſer etwas gefaßter an: „Wie ich bereits Ihrem Freunde,
Hrn. Kork, mitgetheilt habe, war ich durch ein glückliches
Ohngefähr der Haft entronnen, welche meine etwas un-
beſonnene Aufrichtigkeit im Poſtwagen, der ich übrigens
Ihre werthe Bekanntſchaft verdanke, mir zugezogen hatte.
Für meine Freihett beſorgt, machte ich Gebraͤuch von ei-
nem Empfehlungsſchreiben, unſeres Kronprinzen an den
General Brieux, in deſſen Beſitz ich mich befand und wel-
ches auf den Kapitän Chaſſeloup geſtellt war, um mich
allen weiteren Verfolgungen zu entziehen. Dies ward mir
um ſo leichter, als ich mich mehrere Jahre in Frankreich
aufgehalten, in deſſen Heere gedient und die Sitten und
Sprache der Franzoſen vollkommen inne habe. Wider Er-
warten fand meine offene Geradheit bei dem General eine
günſtige Aufnahme und ich benutzte den mir dadurch ge-
ſtatteten Einfluß dazu, manche Härte, Unbilligkeit und
Willkür zu mildern, auszugleichen und zu beſeitigen. An
einer Untugend des Generals jedoch ſcheiterte mein redli-
ches Bemühen. Es war dies eine Leidenſchaft, welche der
wüſte Brieux für die ſchüchterne Nichte des Geheimeraths
— Natalie iſt mir ihr Name genannt worden — gefaßt
hat und aͤuf eine ſchändliche Weiſe zu befriedigen ſtrebt.
Als meine ſanfteren Vorſtellungen nichts dagegen fruchte-
ten, erlaubte ich mir, höchſt freimüthig ihm das Unedle
und Unritterliche ſeiner Abſicht zu Gemüth zu führen.
Allein weit entfernt, ſich zu ändern, äußerte er wegen der
von meiner Seite ausgeſprochenen Mißbilligung ſeiner
Haͤndlungsweiſe ganz unverhohlen ſeinen Haß. Jeder
Schritt des unſchuldigen Mädchens wurde von ſeinen Agen-
ten belauert. Die von Ihrem Freunde verhinderte Ent-
führung auf dem Gute des Barons war ein Werk des
ſauberen Brieur. Ein zweiter Verſuch mißglückte heute
wieder durch Hrn. Kork's Dazwiſchenkunft, was den Ge-
neral in die übelſte Laune verſetzte. Er maß mir gera-
dezu die Schuld bei, daß ich der abſichtliche Hinderer ſei-
nes Unternehmens geweſen ſei, welcher Herrn Kork davon
in Kenntniß geſetzt habe. Ein heftiges Wort erzeugte das
andere — der General zückte den Degen gegen mich —
ich warf den Elenden gegen die Wand, ſchloß den nach
Wache Rufenden in ſein Zſmmer ein und entſprang. Doch
wohin mich wenden in der Racht, wohin fliehen in einem
von Franzoſen angefüllten Lande? Mein guter Genius
lenkte meine eiligen Schritte Ihrem Hauſe zu, im Mond-
ſchein erblickte ich oben auf der Sternwarte eine befreun-
dete Geſtalt, noch war die Hausthür unverſchloſſen —
und ſo wage ich denn nochmals um Ihren Schutz zu
bitten.“ ö
„Ich werde denſelben Ihnen nicht verſagen,“ — ent-
ihr bie hülfreiche Hand beim Einſteigen reichend. In dem-
ſelben Augenblick aber, als Natalie mit einem Fuß den
Wagentritt berührt, fühlt ſie ſich von einem kräftigen Arm
ergriffen und eine nur zu wohl bekaͤnnte Stimme macht
ſie freudig erſchrecken. „Mein Fräulein,“ — ſpricht Kork
ſanft, doch entſchieden, — „vertrauen Sie ſich nicht die-
ſem Elenden an, den Brieux's Gold zu Ihrem Verderben
gewonnen hat. Nicht zu Ihrem Onkel — in des Wol-
lüſtlings Gewalt ſoll Sie dieſer Wagen bringen, welcher
nicht der Ihrige iſt.“
Erſchrocken reißt ſich Natalie von dem verdutzten Die-
ner los, welcher ſofort verſchwindet.
„Wünſchen Sie in das Concert oder nach Hauſe zu-
rückzukehren?“ fragte Kork weiter.
Wie bewegte dieſe trauernde Stimme Nataliens Herz!
Kaum vermochte ſie in ihrer Rührung zu antworten, daß
ſiet von Schreck befangen, für's Concert nicht mehr tauge,
ſondern ſofort nach Haufe zu eilen wünſche.
Stumm reichte ihr Kork den Arm, in welchen ſie un-
ter ſtreitenden Gefühlen den ihrigen legte. Beide fühlten
ein gegenſeitiges Beben; Beiden hielt die Macht des ge-
genwärtigen Augenblicks die Lippen geſchloſſen. An einer
etwas dunkeln menſchenlerren Stelle einer Straße ange-
langt, ſahen ſie drei Männer, den verrätheriſchen Diener
an der Spitze, auf ſich zuſchreiten. „Das ſind ſie! das
ſind ſie!“ ziſchelte Jener. ö
In dem Augenblicke, als die Helfershelfer Brieux's
die furchterfüllte Natallie gewaltſam von Kork's Seite rei-
ßen wollten, ſahen ſie dieſe von fünf Männern überwäl-
tigt, welche unbemerkt dem einſamen Paare nachgewan-
delt, jetzt aus dem Schatten der Häuſer hervorgetreten wa-
ren und ſich zu Rettungsengeln aufwarfen.
Ungehindert erreichte Kork mit ſeiner ſchönen Beglei-
terin das heimathliche Haus, an deſſen Schwelle Natalie
mit ſich ſelbſt ſtritt. Wie ſollte ſie ihrem abermaligen
Retter danken, welche Worte wählen, um die innere Be-
wegung nicht zu verrathen, um keine täuſchende Hoffnung
in dem armen Jüngling zu erwecken?
Kork's Beſcheidenheit entriß ſie ihrer Angſt. Als auf
ſein wiederholtes Klingeln Babet mit Licht in der Thüre
erſchien, hatte er ſich unbemerkt davongeſchlichen.
Spät kam Loſſum nach Hauſe. Er fand ſeinen Freund
bereits eingeſchlafen und nm ihn nicht zu ſtören, be-
gab er ſich auf den Umgang vor der Sternwarte, dort
ein Liebesglück dem Monde und den Sternen laut zu
preiſen. Seinen Rauſch unterbrach ein leiſes Klopfen an
der Fallthüre. Ein froher Schreck durchzuckte ihn. Sollte
Engenie vielleicht — doch nein — dieſer Gedanke war zu
unwürdig, um weiter verfolgt zu werden. Raſch ging er
zu öffnen. Der Obertheil eines Mannes ward ſichtbar,
und als das volle Mondeslicht ihn beſchien, erkannte Loſ-
ſum mit Befremden in dem ſpäten Beſuch — den Schwe-
den Möllarſtröm, nunmehr Chaſſeloup genannt. Ehe er
ihm noch ſeine Ueberraſchung zu erkennen geben konnte,
kam ihm Jener mit den haſtig geſprochenen Worten zu-
vor: „Retten Sie mich, ich beſchwöre Sie, vor der Rache
des elenden Brieux! Könnte ich eine kurze Zeit bei Ih-
nen verborgen bleiben, bis ich meine Verfolger getäuſcht
82
und die Vorbereitungen zu einer ſicheren Flucht getroffen
hätte, würde ich Ihnen mein Leben ſchulden!“
„Mein Herr!“ — entgegnete der betroffene Loſſum —
„ich weiß gar nicht“ — ö
„Verſchließen Sie,“ — fiel ihm Chaſſeloup in die
Rede — „die Thüre ſo feſt als möglich und laſſen Sie
uns in's Zimmer gehen, damit kein Verräther unſere Worte
belauſche oder unſere Geſtalten im Mondlicht erkenne. Ich
fühle wohl, daß ich Ihnen erſt völligen Aufſchluß zu er-
theilen habe.“
Als Loſſum des Flüchtlings Willen erfüllt hatte, hob
dieſer etwas gefaßter an: „Wie ich bereits Ihrem Freunde,
Hrn. Kork, mitgetheilt habe, war ich durch ein glückliches
Ohngefähr der Haft entronnen, welche meine etwas un-
beſonnene Aufrichtigkeit im Poſtwagen, der ich übrigens
Ihre werthe Bekanntſchaft verdanke, mir zugezogen hatte.
Für meine Freihett beſorgt, machte ich Gebraͤuch von ei-
nem Empfehlungsſchreiben, unſeres Kronprinzen an den
General Brieux, in deſſen Beſitz ich mich befand und wel-
ches auf den Kapitän Chaſſeloup geſtellt war, um mich
allen weiteren Verfolgungen zu entziehen. Dies ward mir
um ſo leichter, als ich mich mehrere Jahre in Frankreich
aufgehalten, in deſſen Heere gedient und die Sitten und
Sprache der Franzoſen vollkommen inne habe. Wider Er-
warten fand meine offene Geradheit bei dem General eine
günſtige Aufnahme und ich benutzte den mir dadurch ge-
ſtatteten Einfluß dazu, manche Härte, Unbilligkeit und
Willkür zu mildern, auszugleichen und zu beſeitigen. An
einer Untugend des Generals jedoch ſcheiterte mein redli-
ches Bemühen. Es war dies eine Leidenſchaft, welche der
wüſte Brieux für die ſchüchterne Nichte des Geheimeraths
— Natalie iſt mir ihr Name genannt worden — gefaßt
hat und aͤuf eine ſchändliche Weiſe zu befriedigen ſtrebt.
Als meine ſanfteren Vorſtellungen nichts dagegen fruchte-
ten, erlaubte ich mir, höchſt freimüthig ihm das Unedle
und Unritterliche ſeiner Abſicht zu Gemüth zu führen.
Allein weit entfernt, ſich zu ändern, äußerte er wegen der
von meiner Seite ausgeſprochenen Mißbilligung ſeiner
Haͤndlungsweiſe ganz unverhohlen ſeinen Haß. Jeder
Schritt des unſchuldigen Mädchens wurde von ſeinen Agen-
ten belauert. Die von Ihrem Freunde verhinderte Ent-
führung auf dem Gute des Barons war ein Werk des
ſauberen Brieur. Ein zweiter Verſuch mißglückte heute
wieder durch Hrn. Kork's Dazwiſchenkunft, was den Ge-
neral in die übelſte Laune verſetzte. Er maß mir gera-
dezu die Schuld bei, daß ich der abſichtliche Hinderer ſei-
nes Unternehmens geweſen ſei, welcher Herrn Kork davon
in Kenntniß geſetzt habe. Ein heftiges Wort erzeugte das
andere — der General zückte den Degen gegen mich —
ich warf den Elenden gegen die Wand, ſchloß den nach
Wache Rufenden in ſein Zſmmer ein und entſprang. Doch
wohin mich wenden in der Racht, wohin fliehen in einem
von Franzoſen angefüllten Lande? Mein guter Genius
lenkte meine eiligen Schritte Ihrem Hauſe zu, im Mond-
ſchein erblickte ich oben auf der Sternwarte eine befreun-
dete Geſtalt, noch war die Hausthür unverſchloſſen —
und ſo wage ich denn nochmals um Ihren Schutz zu
bitten.“ ö
„Ich werde denſelben Ihnen nicht verſagen,“ — ent-