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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 18 - Nr. 26 (2. März - 30. März)
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eben erwähnten Geſpräches erlauſcht, wenn dies bei der
Gedämpftheit der Stimmen möglich geweſen wäre. Nur
aus dem Tone derſelben vermochte er auf die ihm gün-
ſtige oder abgeneigte Stimmung der Sprechenden zu ſchlie-
ßen — eine Folgerung, welche ſich als ſehr richtig er-
wies. ö
Chaſſeloups Empfang am Morgen von Seiten Korks
war froſtig, wo nicht abſtoßend zu nennen. Auch war
es des Letzteren erſtes Geſchäft, ſeine Sachen ſorgfältig zu
verſchließen und die Schlüſſel dazu an ſich zu nehmen.
Noch hatte des Capitäns Gegenwart die Folge, daß Kork
von nun an äußerſt wenig daheim war.

Die Züchtigung.
Zwei Tage vergingen, ohne daß Chaſſeloup Anſtalten
zur Flucht machte. Zwar waͤgte er des Abends mehr-
mals Ausflüge in die Stadt, kam aber ſtets wieder. Als
dies am Abende des zweiten Tages auch der Fall war,
fand zwiſchen den beiden Freunden während Chaſſeloups
Wegſein eine ernſte Beſprechung ſtatt. Auch der Diener,
Namens Drobus, ward dazu gezogen.
„Nun erzähle,“ ſprach Hugo zu Letzterem, „was Du

geſehen und gehört haſt — treu und ohne Uebertreibung.“-

„Gnädiger Herr Gr — Flaſch! einer meiner Herren
Gevatter iſt Aufwärter in Fietta's Kaffehauſe — ich weiß
nicht, ob Sie ſchon einmal dort geweſen ſind oder nicht!
Man ruft ihn gewöhnlich Jean, obſchon er eigentlich
Gottfried heißt. Der Jean oder Gottfried putzte geſtern
Abend, es konnte ungefähr halb neun Uhr ſein, das Sil-
berzeug in einem kleinen Stübchen, aus welchem ein Fen-
ſterchen in das letzte Zimmer des Kaffeehauſes geht. Da
ich gerade nichts zu thun hatte, ſo ſah ich meinem Gevat-
ter in aller Ruhe bei ſeiner Arbeit zu. Ohne Arges zu
denken, würde ich bald wieder fortgegangen ſein, hätte ich
nicht auf einmal drinnen Ihren und Herrn Korks Namen
nennen hören. Erſt dachte ich wirklich, Sie beide ließen
ſich etwa ein Glas Punſch oder etwas Anderes gut ſchmecken,
und ſchon wollte ich Ihnen einen ſchönen guten Abend
hinein wünſchen, als ich juſt noch zur rechten Zeit erkannte,
daß es der Herr Capitän Chaſſelonp und ein Fremder
waren, welche ganz allein auf dem Sopha beiſammen ſa-
ßen. Ihre Namen habe ich verſtanden, aber weiter nichts,
denn die Spitzbuben ſprachen franzmänniſch. Neugierde
iſt ſonſt meine Sache nicht, allein diesmal hatte ich einen
ſonderbaren Animum, daß ich meinen Herrn Gevatter, der
ein halber Franzoſe iſt, bat, mir doch zu ſagen, was die
beiden Galgenvögel drinn von Ihnen ſprächen. Da mußte
ich denn Wunderdinge hören. Erſt machten ſich bie Kerle
darüber luſtig, daß ſie Ihnen im Poſtwagen eine tüchtige
Naſe gedreht hätten. Dann ſchimpften ſie auf Herrn Kork,
daß er ſie um die verheißene Belohnung des Generals
Brieux gebracht habe, indem er Fräulein Nataliens Ent-
führung zweimal gehindert habe. Zuletzt rühmte ſich Chaſ-
ſeloup, daß er Sie, Herr Flaſch, gleich durchſchaut und
in die Falle gelockt hätte und daß Sie ein ſeichter Flach-
pf wären, dem er beliebig den Garaus machen könne.
Hierauf kam Herr Kork an die Reihe, der ihm weit grö-
ßere Noth verurſache, indem er ein verteufelt pfiffiger und

verſtekter Kerl ſei, der auf der richtigen Fährte gehe. Al-

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lein er habe gleich in der erſten Nacht hier bei Ihnen
eine Entdeckung gemacht, die Herrn Kork den Hals bre-
chen werde. Dies Alles iſt buchſtäblich wahr und nicht
erlogen, weder von meinem Gevatter, noch von mir.“
„Ich wiederhole Dir,“ ſprach Kork, „daß ich am Mor-
gen nach Chaſſeloups Ankunft ein Papier, welches ich ganz
gewiß in dem innerſten Schubkaſten meines Schrankes
verwahrt hatte, unter Letzterem wiederfand.“
Nach langer Berathung wurde Drobus in den Klei-
derſchrank eingeſchloſſen, welcher Chaſſeloups Lagerſtelle
gegenüberſtand. Dieß geſchah, nachdem man erſt einige
Gucklöcher hineingebohrt hatte, welche man durch gefärbte,
Lounte Korkſtöpſel nach Belieben öffnen und verſchließen
onnte.
„Sollte der Franzoſe in Deinen Verſteck dringen“ —
ordnete Kork an — „und Dich entdecken, ſo machſt Du
Lärm und wir ſitzen dann auf der That zu Gericht. Au⸗—
ßerdem verhältſt Du Dich ruhig, verlierſt aber den Ca-
pitän nicht aus dem Geſicht.“ ö
„Sorgen Sie nicht,“ verſicherte Drobus, „ich will die
Augen offen behalten wie ein Wieſel.“
Chaſſeloup ſchien eben nicht ſehr ängſtlich um ſeine
Sicherheit mehr beſorgt zu ſein. Ohne Entdeckung zu be-
fürchten, folgte er am andern Morgen Loſſums Einladung,
den Kaffee außen vor der Sternwarte zu trinken. Wäh-
rend dieß auf einer, abſichtlich dem Eingange entgegen ge-
wählter Seite geſchah, befreite Kork den eingeſperrten Dro-
bus aus ſeiner Haft, welcher bald darauf mit herbeige-
holter Butterwaare, als komme er eben erſt an, zum Kaf-
feetiſche trat. Nach genoſſenem Frühſtücke ſchützten die
beiden Freunde dringende Geſchäfte vor und entfernten
ſich, gefolgt von dem Aufwärter, aus ihrer Behauſung.
Letzterer kehrte nach Verlauf einer Stunde zurück.
„Herr Capitän,“ ſprach er zu Chaſſeloup, „Fräulein Na-
talie unten läßt Sie ſchön bitten, auf einen Augenblick zu
ihr zu kommen. Sie hat in Erfahrung gebracht, daß Sie
ihretwegen verfolgt werden und will Ihnen deßhalb ihren
Dank abſtatten.“
Die Verſuchung war zu reizend, als daß Chaſſeloup
ihr hätte widerſtehen können.
„Damit Sie von Niemand Fremdem auf der Treppe
geſehen werden mögen,“ fuhr Drobus fort, „auch das
Hinabſteigen erſparen, habe ich den Schwan für Sie pa-
rat gemacht.“
Sofort nahm der Geſchmeichelte in jenem Platz. Das
Fahrzeug glitt hinab, doch nur wenige Ellen — da
ſtockte plötzlich der Mechanismus. Chaſſeloup ſchwebte in
freier Luft. * — ö
„Kerl!“ rief er unwillig zum Aufwärter hinauf —
„was heißt das? Wirſt Du gleich die Maſchine in Gang
bringen?“ ö
„Gedulde der Herr ſich nur einen Augenblick,“ ant-
wortete Drobus oben. ö
Der Augenblick wurde jedoch zu mehreren Minuten,
dem Kapitän aber zur Ewigkeit. Alle Flüche der fran-
zöſiſchen Sprache quollen ihm über die giftigen Lippen.
Endlich kam Drobus die Treppe langſam herabgeſtiegen.
Der ſchimpfende Franzoſe erkannte mit großer Verwunde-
rung in des Aufwärters Rechten eine Ofengabel, in der
 
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