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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 27. April)
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nigung ſchon wegen ſeinem eigenen Sohne wünſchenswerth

ſein mußte, war es gelungen, ſeinen Neffen und Mündel
Heinrich dafür zu ſtimmen und zu veranlaſſen, mit Ma-
rien einen Briefwechſel anzuknüpfen, aus dem gar bald
die gegenſeitige Neigung zu entnehmen war. ö
Karl ließ, als er die Unentſchloſſenheit ſeines Freun-
des bemerkte, demſelben ſeinen Willen, weil er fürchtete,

ihn durch ein längeres Entgegnen nur hartnäckiger zu

machen.
Der Nachmittag war bald herangerückt, die. Freunde
eilten in einem Miethwagen nach dem Prater, wohin Hein-
rich in einem heimlich zugeſtellten Billet die Tante ohne alle
Begleitung beſchieden hatte. „Sie werden mir die kleine
Sonderbarkeit ſchon vergeben, daß mein Bewillkommungs-
kompliment ein ſchriftliches und die Einladung zu einem
Stelldichein iſt,“ ſo ſchloß der Brief. „Allein Sie wer-
den finden, daß ich Recht habe, wenn ich meiner Braut
eine Ueberraſchung erſparen will, die Alles bei ihr ver-
derben könnte.“ War die gute Frau mit ſeltenen Er-
wartungen der Einladung ihres Neffen gefolgt, ſo war ſie
nicht wenig überraſcht, als ſie dieſen von Angeſicht zu An-
geſicht erblickte. Sie hatte ſich den guten Couſin ganz an-
ders gedacht, als er ſich jetzt in Perſon präſentirte und
vergebens bemühte ſie ſich, einen Zug von allen den Lie-
benswürdigkeiten an ihm herauszufinden, mit welchen ihn
ihre Güte, in der Rückerinnerung an ſtine Kindheit, ſo
reichlich ausgeſtattet hatte. Doch die Ueberraſchung ver-
lor ſich, je mehr Heinrich durch ſein Benehmen zu glän-
zen vermochte, je mehr ſeine joviale Laune für ihn ein-
nahm und immer gleichgültiger wurde ihr, je mehr ſie ihn
kennen lernte, die Enttäuſchung. Heinrichs plötzliche Frage:
„Nicht war, liebe Tante, ſo häßlich haben Sie ſich Ihren
Neffen nicht vorgeſtellt?“ ſetzte ſie in neue Verlegenheit.
Doch der Gutmüthige rettete ſie bald aus derſelben, indem
er ſcherzend hinzufügte: „Das Schickſal hat es ſchon recht
gemacht, daß es meinem Uebermuthe einen kleinen Zügel
anlegte, denn ware ich bei meinem Reichthume ſo hübſch
als mein Freund Karl, da gäbe es Unheil an allen En-
den.“ Immer heiterer wurde das Geſpräch, immer mehr
wurde die Tante dem jungen Manne gewogen, der mit
den Vorzügen ſeines Geiſtes die Mängel des Aeußern ver-
deckte und allmählig brachte Heinrich auch das Geſpräch
auf ſeine Braut. Zwar ſtellte ihm die Tante das Unnö-
thige ſeiner Bedenklichkeit vor, da ſie es für eine Unmög-
lichkeit hielt, daß Marie den Erkornen nach einigen Stun-
den freundlicher Zwieſprache nicht eben ſo angenehm fin-
den ſollte. Allein Heinrich wußte mit ſo vielen Gründen
ſeinen Entſchluß zu rechtfertigen, daß die Gutherzige end-
lich nachgab. „Morgen Abend iſt großes Blumenfeſt bei
der „„Birn““ auf der Landſtraße, dort ſollen Sie Ihre
Braut ſehen,“ beſtimmte ſie und Heinrich nahm mit Ver-
gnügen den Vorſchlag an, denn an einem öffentlichen Orte
konnte er ſich unerkannt dem Mädchen nähern und den
Eindruck beobachten, den er auf ſie machen würde. „Ich
will mich recht herausputzen,“ ſagte er „und mich zuſam-
mennehmen. Sie ſollen ſehen, daß ich auch graziös ſein
kann. Darf man maskirt erſcheinen?“ Die Tante ver-
neinte. — „Das iſt Schade“, fuhr Heinrich fort. „Ich
bin zwar in meinem Leben kein Freund von Mummereien

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geweſen, doch dießmal wäre eine Maskerade ganz am
Platze geweſen, mit der Larve dürfte es mir vielleicht eher
gelingen, mich bei ihr einzuſchmeicheln, als mit dieſem Ge-
ſichte, das mir die Natur als ein Ideal der Pockennarben
verliehen zu haben ſcheint.“
Unter Lachen und Scherzen ſchieden ſie endlich, Jedes
von andern Gefühlen erfüllt; Heinrich voll Spannung,

Karl verdrüßlich über die vielen Umſtändlichkeiten, die ſein

Freund machte und Tante Seebald etwas verlegen, wenn
ſie Mariens Geſchmack in Berückſichtigung zog. Denn das
mußte ſie ſich geſtehen, daß der gute Neffe ſeiner Perſön-
lichkeit nach eben nicht geeignet war, den Eindruck zu recht-
fertigen, den er durch ſeine Briefe auf ihre Tochter ge-
macht hatte, und dennoch war er für das Mädchen eine
Parthte, die nicht beſſer ſein konnte. Sein Vermögen ge-
währte ihr die keſte Verſorgung, ſo wie ſeine Gutmüthig-
keit und das Anſprechende in ſeinem Benehmen ihr eine
angenehme Zukunft ſicherte.

Der fußbegeiſternde Strauß, der den tanzluſtigen
Wienern ſchon ſo manches Sträußlein ſeiner dreiviertel-
taktigen Muſe geboten, beflügelte bereits in dem hellerleuch-
teten Saale „zur Birn“ ſo manches Mädchenherz zu ſchnel-
leren Schlägen. Der weite Garten glich einem Feenhaine,
denn buntfarbige Lampen ergoſſen ihren magiſchen Schim-
mer über die dunkeln Baumparthieen und gewährten, zum
Bogengange gereiht, beſonders in der Hauptallee einen ma-
leriſchen Anblick. Ueberall drängte ſich die feſtlich ge-
ſchmückte Menge, hier eine künſtlich nachgebildete Eiſen.
bahn bewundernd, dort am Baſſin einen von Lampen um-
gebenen Schleifer belauſchend, der ſeine Arbeit ſo poſſier-
lich, ja faſt ſatyriſch verrichtete; und mitten durch die
Fröhlichen, die an den Tiſchen ringsum ſich gütlich thaten,
durch Speiſe und Trank, flogen die Kellner, als hätte man
ſie von Armbrüſten geſchoſſen und rechneten ſo parforcirt,
daß kein Menſch klug daraus werden konnte. Umſichtige
Mütter und vorſichtige Väter, denen der Himmel ein paar
mannfähige Töchter beſcheert, hatten ſich mit den ſehnen-
den Hoffnungsblüthen der Hauptpaſſage nahe placirt, um
die Reize der Heirathsluſtigen in das gechte Licht zu ſetzen.
Manches Mädchen, das bereits den Kuͤkminationspunkt der
Jugend überſchritten, wanderte an dem Arme einer alten
Duenna, die für gute Worte und ein noch beſſeres Abend-
eſſen dieſes Amt übernommen, unter den auf ritterlichen
Irrfahrten begriffenen Männern und manövrirte künſtlich
mit Lorgnette und Fächer, um den erſehnten Erlöſer her-
beizuzaubern und die jungen Helden mit ſchnurr- und
zwickelbärtlicher Ritterlichkeit rauſchten auf und rauſchten
nieder, und beäugelten die Mädchenflora, die wie ein Tul-
penbeet in der Sonne mit tauſend Farben prangte und
nach dem Himmelsthaue des erſten Brautkuſſes lechzte.
Aeltliche Herren und Ballanſtandsperſonen, denen über-
haupt nichts anſtand, und die an Allem Anſtand nahmen,
kokettirten mit den Flaſchen auf ihrem Tiſche, und dreh-
ten gemüthliche Daumenmühlen, oder kommandirten Kar-
liſten und Chriſtinos, als hätten ſie 20 Jahre im Bureau
der Schickſalsgöttin Adreſſen kopirt; junge Rezenſenten, die
ihre kritiſchen Anſichten mit den Reſten ihrer Gratistafel
 
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