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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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Ich zuckte verächtlich die Achſeln und der arme Junge
ſchlug beſchämt die Augen nieder; eine dicke Thräne rollte
ü e Wange. ö
üve un, nun l6 ſagte der Kapitän, dem Kleinen durch
die Haare fahrend, „es iſt ja nicht ſeine Schuld; der arme
Junge! Er hatte zwei Maurer⸗Geſellen getroffen, die
ihm Branntwein gegeben und abgerichtet hatten, mit dem
Piſtol auf mich zu ſchießen. Das hat er gethan und war
dabei ſo luſtig, als ob er einen Murmel auf dem Pfla-
r geſchoben.“
ſe See Kleine weinte heftiger und zitterte am ganzen
Körper. Ich ſah jetzt mit Theilnahme auf ihn; es war
wirklich ein hübſcher Junge.
Der Grenadier erwiederte: „Ei! es war ja auch nur
ein Murmel, mit dem das Piſtol geladen war;“ dabei
zeigte er mir einen Murmel von Agat, ſo groß wie eine
ſtarke Piſtolenkugel, die dem Kapitän bei der Amputation
aus dem Schenkel gezogen worden war.
Ich ſchwieg nachdenkend. Es verletzte mich viel zu
ſehr, daß ein Mann, deſſen Bruſt durch zwanzig Cham-
pagnen geſtählt, den zehn Bleſſuren ichmückten, der die
Sonnenhitze Aegytens empfunden und das Eis der Bere-
ſina geſehen, den Bajonett und Lanze verſchont, von einem
Pariſer Straßenjungen und noch dazu mit einem Agat-
Murmel verwundet und ſterben ſollte.
Kapitän Renaud mochte meine Gedanken errathen, er
legte den Kopf auf die Seite, drückte meine Hand und ſagte:

„Er hat nicht mehr und nicht wenitzer gethan, als ich

bei Rheims. War ich nicht auch mehr Mörder als Sol-
dat, als ich den kleinen ruſſiſchen Fähnrich ͤödete? Im
ſpaniſchen Kriege glaubten die Guerillas, welche unſere
Schildwachen im Dunkel niederſtießen, gewiß nicht, daß
ſie Mörder wären, denn ſie waren im Kriege. Und aus
wie vielen einzelnen Mordthaten beſteht nicht eine große
Schlacht? Der Krieg iſt es, der die Schuld trägt, nicht
wir. Ich verſichere Ihnen, daß der Junge ganz artig und
vernünftig iſt, ja er kann ſogar recht gut ſchreiben.“
Das Sprechen ſtrengte ihn ſichtbar an; er machte mir
ein Zeichen, daß er mir etwas in's Ohr ſagen wolle und
drückte mir bei der Gelegenheit ein Stück Papier in die
Hand, welches ſein Teſtament enthielt. Er beſtimmte ein
kleines Gut in der Provence ſeiner Wirthin, die ihn ſo
gaſtfreundlich aufgenommen und gepflegt, unter der Be-
dingung, daß ſie den Knaben erziehe und niemals Soldat
werden laſſe. Die Summe für ſein Remplacement ſetzte
er ebenfalls gleich aus und die vier Grenadiere ſollten bis
an ihren Tod eine Freiſtatt und Unterhalt auf dieſem
Gute finden. Das Spaniſche Rohr vermachte er mir.
Er wurde ſichtlich ſchwächer, das Auge war geſchloſ-
ſen und mit der Hand zupfte er an der Bettdecke, ein
ſicheres Zeichen des herannahenden Todes. Wenn er die
Augen aufſchlug, heftete er ſie jedesmal auf den Knaben,
betrachtete ihn ſtier und murmelte dann:
„Sonderbar! er gleicht doch dem kleinen Ruſſen — er
war auch vierzehn Jahre — und blond. Wer weiß, ob
nicht — eine gerechte Wiedervergeltung. — Ich habe rech-
ten Durſt.“ ö
Ich gab ihm einige Löffel Limonade. Er wurde ru-
hig; dann ſagte er plötzlich mit feſtem, männlichem Tone:

„Ich ſterbe ruhig, denn ich habe ſtets meine Pflicht

gethan!“ dann fügte er noch hinzu: „wenn Frankreich nur

glücklich wird, nach dem, was es gethan, aber Sie werden
ſehen“ — —
Jetzt wurde er ganz ſtill. Ich blieb noch kurze Zeit.
Der Ehirurgus kam und wir gingen einige Minuten in
den Garten hinter dem Haus, um uns zu beſprechen. Die
Sonne ſchien ſo freundlich und hell. Da hörten wir einen
lauten Schrei. Wir eilten hinein, aber ein Laken lag
über dem Geſicht des Kapitäns. Er hatte geendet.

Lo ſe Blätter.
Ein Prieſter zu Padua, im Anfang des 16.
Jahrhunderts, entgegnete auf eine Verordnung des Stadt-
raths: er werde thun, was ihm der heilige Geiſt eingebe.
Allein der Rath erwiederte mit gleicher Berufung: „Der
heilige Geiſt habe dem Rath der Zehn eingegeben, jeden
Widerſetzlichen aufhängen zu laſſen.“ Da gehorchte der
Geiſtliche, ohne jede ihm beſonders zugehende Eingebung

abzuwarten. .

Lord Sandwich wünſchte einmal einen deutlichen

Begriff von den Wörtern Orthodoxie und Hete ro-

doxie zu erhalten und wandte ſich deßhalb an den Bi-
ſchof Warburton. „Nichts leichter“, entgegnete derſelbe
offenherzig. „Orthodoxie iſt meine doxy, Heterodoxie iſt
die doxy eines Jeden, der nicht denkt und glaubt wie ich.“

Ein Pasquill, das auf den Kardinal Mazarin
gedruckt wurde, brachte den Kardinal anſcheinend ſehr in
Zorn. Allein er ſtellte ſich nur ſo an, ließ eifrig allen
Exemplaren nachſpüren, und that, als ob ſie verbrannt
werden ſollten. Wie er ſie aber ſämmtlich hatte, ließ er
ſie heimlich, als wenn er nichts davon wüßte, verkaufen
und zog zehntauſend Thaler daraus. Baſta, ſagte er:
„Die Franzoſen ſind arkige Leute, ich laſſe ſie ſingen und
ſchreiben, ſo laſſen ſie mich machen, was ich will.“

Lebensweisheit. Die alten Griechen haben uns
folgenden Spruch praktiſcher Lebensweisheit hinterlaſſen:
„Gutes an ſchlechten Geſellen zu thun iſt thörichte Wohlthat,
Eben, als wenn Du des Meeres dunkles Gewäſſer beſäſt,
Säſt Du im Meere, ſo ernteſt Du nie die erfreuliche Saat ein;
Nichts empfängſt Du zurück, thuſt Du dem Feiglinge wohl.“
Ein eclatantes Beiſpiel von der Härte der ruſ-
ſiſchen Gerichte bei Vergehen gegen den orthodoxen Glauben
erzählt die „K. H. Z.“: Ein Bienenzüchter bemerkte, daß
ſeine Bienen weniger und weniger Honig lieferten; ein gu-
ter Freund rieth ihm, eine geweihte Abendwahlsoblate,
mit Honig gemiſcht den Bienen zur Nahrung vorzuſetzen;
ſie würden dann beſſeren Ertrag geben. In den Beſttz einer
geweihten Hoſtie zu kommen, war jedoch nicht anders mög-
lich, als durch Nichtverſchlucken und Verwahren beim Abend-
mahle. Unglücklicher Weiſe aber fiel dem abergläul rhen
Thoren das Himmelsmanna aus dem Mund, man entbeckte
es und brachte ihn zum Geſtändniß ſeiner Abſicht. Das

Lubliner Geſchworenengericht erklärte ihn für ſchuldig und

der Gerichtshof verurtheilte ihn — zu lebenslänglicher

Zwangsarbeit in den Bergwerken Sibiriens.
 
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