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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 35 - Nr. 43 (1. Mai - 29. Mai)
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bel folgt und zerſchlägt im Hauſe Alles. — Krank liegt
der älteſte Sohn Louis, ſein Liebling, darnieder. Ihn zu
verbergen, aus den Klauen dieſer wilden Beſtien zu ret-
ten, ſtrengt der unglückliche Vater die letzte Kraft an. —
Umſonſt. — Louis Lager wird aufgeriſſen. — Unter un-
ſäglicher Angſt ſtürzt der Vater auf ſeine Kniee und bit-
tet um Schonung, um Erbarmen für den einzigen Sohn,
„Du magſt leben, jedoch die junge Brut ſoll ausgerottet
werden!“ brüllen die Mörder und ſchlrppen den unſchul-
digen Louis hin zur Glac ére!“
„Aber um Gotteswillen, war denn hier keine Hülfe?“
fragte ich, von Schaͤuder und Entſetzen ergriffen, den Arzt.
— „Es war keine Hülfe!“ ſprach er traurig. „Alle gut
geſinnten Einwohner der Stadt, die Freunde Ihres On-
kels, hatten ſich geflüchtet oder in das Innere der Häuſer
verborgen, weil Jeder für ſein Leben zitterte. Mich über-
fielen den Tag vorher, ehe der Tumult ausbrach, ver-
mummte Männer auf meinem Zimmer, verbanden mir die
Augen und entführten mich anf ein entferntes, unbekann-
tes Landgut. Im ſtrengſten Gewahrſam gehalten, von
ſtummen Dienern reichlich bedient, das Ungeheure freilich
nicht ahnend, blieb mir die Urſache dieſer Gewaltthat un-
begreiflich. Ein bedeutender Anhänger der wüthenden Par-
thei, dem ich einſt einen Dienſt geleiſtet hatte, rettete hier-
durch mein Leben, welches auch bereits auf der Todten-
liſte ſtand. Dieß entdeckte ich erſt lange Zeit nachher. —
Als mir endlich die Freiheit ward, brachte man mich in
einem Wagen wieder mit verbundenen Augen bis Avig-
non.
ſung zu kommen und eile über den Wall. Da ſitzt ein
Mann, ſeltſam ſchwarz gekleidet. Wild fliegt ſein aufge-
löstes Haar im Winde. Bald breitet er beide Arme ge-
gen den Thurm aus, bald ſchlägt er ſich wüthend vor die
Stirn. Ich trete näher — heiliger Gott! — es iſt mein
Freund, der Kapitän! Er kennt mich nicht. Der Un-
glückliche hat den Verſtand verloren. — Völlig unbekannt
mit der Urſache ſeines Zuſtandes, vor Schreck ganz außer
mir, ergreife ich des Wahnſinnigen Hand und führe ihn
nach meiner Wohnung. Er ſpricht kein Wort, folgt mir
geduldig wie ein Lamm. Kein Menſch begegnet uns, die
Straße iſt wie ausgeſtorben. Dominik öffnet auf mein
Anklopfen die verſchloſſene Thür meines Hauſes. Jetzt
erfahre ich die gräßlichen Auftritte, die während meiner
Gefangenſchaft in Avignon vorgefallen ſind. Ein junger
Menſch in des Kapitäns Dienſten iſt Augenzeuge gewe-
ſen, wie man die Söhne ſeines Herrn mordete, ſie hin zur
Glactêre ſchleppte. Von Todesfurcht übermannt entflieht
er und rettet ſich zu meinem Dominik. Mit der Jugend
Feuer ſchilderte er mir die entſetzliche That, unter ſtrömen-
den Thränen ſinkt er hin zu den Füßen ſeines Gebieters,
der ihn nicht mehr kennt, dem alle Menſchen fremd ge-
worden ſind, der Alles auf dieſer Welt verloren hat. Sein
ganzes Vermögen iſt geraubt, wichtige Papiere, die ihm
ausgeliehene Gelder ſichern, vernichtet. — Ich behielt mei-
nen beklagenswerthen Freund bei mir und gab ihm das
Wenige, was er zu ſeinem Unterhalte bedurfte.“
„Wofür ich jetzt Ihr großer Schuldner bin, edler
Mann“, unterbrach ich den Arzt. „Sie werden mir erlau-
ben, zu erſetzen“ —

Ich wähle den nächſten Weg, nach meiner Behau-

„Nicht alſo, mein Herr,“ erwiederte er ſchnell. „Frei-
willig händigte mir nach einiger Zeit ein großmüthiger
Schuldner des Kapitäns eine ſo bedeutende Summe ein,
daß er nicht allein bis an ſeinen Tod davon leben, ſon-
dern daß auch ſein Leichenbegängniß davon beſtritten wer-
den konnte. — Ach, der Unglückliche genoß wenig; den
ſchwarzen Rock, in welchem ich ihn zuerſt erblickte, und
den er Gott weiß woher bekommen hat, wollte er nie wie-
der ablegen. Wir waren genöthigt, ihm einen ähnlichen
zu verſchaffen, als der erſte völlig unbrauchbar wurde;
durchaus konnte man ihn nicht dahin bringen, ſich anders
zu kleiden. Mit den ſchwarzen Flören machte ihm Domi-
nik eine große Freude, er hat ſie ſelbſt ſorgfältig an ſein
Kleid befeſtigt. Ich ließ ihn oft in die freie Luft führen
und ſonderbar, er wählte jedesmal dan Weg nach dem
Thurme, wo die Gebeine ſeiner Söhne ruhen. — Da ſaß
er auf dem Walle kalt und ſtumm — Stunden lang.
Alle Verſuche, ihn zu heilen, blieben fruchtlos. — Ruhe
ſeiner Aſche!“ ö

Vor meiner Abreiſe aus Avignon wünſchte ich noch das
Grab meiner gemordeten Verwandten zu ſehen. Der Arzt
widerrieth es durchaus und war nicht zu bewegen, mich zu
begleiten. Durch Beſtechung brachte ich es bei dem alten
Dominik ſo weit, daß er mich eines Morgens dahin führte.
— Witr traten in ein ſinſteres Gewölbe. In einem Win-
kel deſſelben war ein unförmliches Loch, groß genug, um
einen Menſchen aufzunehmen, in welches wir, uns an den
hervorragenden Steinen feſthaltend, hinabſtiegen und ſo
ſeitswärts auf den Grund dieſes ſchrecklichen Thurms ge-
langten. Mit Schaudern ſtand ich nun hier auf der To-
desſtätte der Unglücklichen, umgeben von Schutt und Stei-
nen, aus denen hie und da ein ausgetrocknetes Menſchen-
gebein hervorragte. Grauenvolles Grab meiner bejam-
mernswerthen Vettern! — hier modern ſie unbeerdigt —
ſo jung, ſo voller Lebenkraft, plötzlich der Welt durch Mör-
derhand entriſſen! — Vielleicht halb lebend noch hinabge-
ſtürzt, zerſchmettert die edlen Glieder. — Vom höchſten
Schmerz, von gräßlicher Verzweiflung gefoltert, hauchten
ſie in dieſen kalten, dumpfen Kerkermauern ihren letzten
Seufzer aus. — Dieſer erſchütternde Gedanke ließ meine
Seele in eine ſchwarze Melancholie verſinken. Ich ver-
mochte nicht den grauſen Anblick länger zu ertragen. Un-
ſtät irrte mein thränenfeuchtes Auge umher. — Da ge-
wahrte ich in der Höhe die Oeffnungen, durch welche man
die Opfer herabgeſtürzt hatte. — Im Fall an der Mauer
und an dem Gebälk zerſchlagen, iſt beides mit ihrem Blut
gefärbt worden, das daran heruntergelaufen. Mein Füh-
rer zeigte mir dieſe Streifen von Blut und andere Strei-
fen, die mit Kalk beſchüttet waren, den die Mörder da-
mals längs der Mauer auf das Blut und die Leichname
herabgegoſſen hatten, um ſchnell jede Spur ihrer Gräuel-
that zu vertilgen. Ich ſah zwar zu meiner Beruhigung
das Blut nicht, gewahrte aber die langen Kalkſtreifen bis
zu mir herab. Vor Entſetzen taumelte ich zurück und ver-
hüllte mein Geſicht. — Da zertrat mein Fuß einen mor-
ſchen Schädel — und eilends — als würde ich von den
 
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