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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 79 - Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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Nr. 79.

Mittwoch, den 2. Oktober 1872.

5. Jahrg.

»richeint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schiſgaſſel
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
(Fortſetzung.)

Herr von Handorf, der noch von dem Abſchiede
ſeines Lieblings Emilie wehmüthig geſtimmt war, wurde
von einer banger bangen Ahnung
war Tags vorher bei Reiner geweſen und hatte ihn,
der ſchon einen ganzen Monat die Leitung ſeiner Schule
aufgegeben, kränker als jemals gefunden.
Er befand fich noch im Wohnzimmer ſeiner Gattin,
als der Diener ihm den Arzt meldete, und begab ſich
unverzüglich in ſein Wohngemach, in das der Diener
den Arzt ſchon hatte eintreten laſſen.
Derſelbe trat ihm mit ernſter Miene entgegen.
„Es thut mir leid, Herr Baron,“ ſagte er, „daß ich
in dies Haus, in dem heute ein Freudenfeſt begangen
wurde, eine Trauerbotſchaft tragen muß. Ich komme
von dem armen Reiner, um Ihnen ſeine letzten Grüße
zu bringen, begleitet von der Bitte, ſeine hülfloſe Waiſe
nicht zu verlaſſen.
Der Freiherr drückte dem Arzt die Hand.
„Er ruhe im Frieden,“ verſetzte er. „Was uns
tröſten muß, lieber Doktor, iſt der Gedanke, daß wir
unſere Pflicht gegen den braven Mann gethan. Sie
haben ihm die letzten Stunden weniger ſchmerzvoll ge-
macht, und ich das Geſpenſt des Mangels von ihm und
ſeinem Kinde ferngehalten. Aber es brauchte der letz-
ten Bitte des nun Verblichenzn nicht. Ich habe heute
die zweite Tochter mein lẽiits verloren, denn von
der Stunde an, wo der r Schrift in's Leben
tritt: Das Weib ſoll Vatéß iüd Mutter verlaſſen und
dem Manne anhangen, MRiſterliſcht die Liebe zu den
Eltern zur größeren Hälftz EE Bruſt des Weibes,
ſo will es Gott, ſo will r. Dafür will ich
mir jetzt eine andere Tocht ien. Sie ſoll das
Kind meiner Herzensliebe; len Sie, Doktor,
gehen wir auf der Stelle!“ armen Marie,
wetten Baten Water, bittez , in mir einen
iten Vater zu geben. “ bfriſche Grabhügel
den Geſtorbenen deckt, füh leine an wmer
Hand in dies Haus. Sie Pflegekind und ich
will ihr ein treuer zärtlich ſein.“ —

ergriffen, denn er-

Drittes Kapitel.
Des armen Kindes Roſenzeit.

Drei Tage ſpäter fand der von ſeinen Leiden er-
löſ'te Reiner ſeine ſtille, ewige Ruheſtätte auf dem
Platze, wo ſeine vorangegangenen Lieben eingeſargt
waren. ö
Nebſt den Landleuten, die den wackeren Lehrer auf-
richtig geſchätzt und ihrer Kinder, die ihn wahrhaft ge-
liebt hatten, folgten dem einfachen, jedoch reich mit
Kränzen geſchmückten Sarge Herr von Handorf und die
von Thränen überſtrömte Marie.
Das vom Tiſchler gezimmerte Haus des Todten
wurde in die Erde geſenkt. Dann dröhnten die letzten
Schollen Erde auf demſelben und der Todtengräber
ſchaufelte mit gleichgültigem Geſichte die Oeffnung zu.
Marie hauchte die Heftigkeit ihres Schmerzes um
den geliebten Vater an der Bruſt des Freiherrn aus,
der ſie in ſeinen Armen hielt.
Wiederholt flüſterte ihr Herr von Handorf die
Worte zu: ö ö
„wWeine Dich in Gottes Namen aus, mein Kind.
Dein Vater hat Dein Thränenopfer verdient, aber
denke auch daran, daß Dir ein zweiter Vater zur-
Seite ſteht, der Dich nicht minder lieben wird, als der
erſte.“ ö
Endlich gelang es ihm, fie in ſo weit zuͤ beruhigen,

daß ſie ſich von ihm vom Kirchhofe hinwegführen Ließ.

Der Greis und das Kind gingen in's Schloß.
Alfred war ſchon früh ausgeritten. Frau von Han-
dorf befand ſich allein auf ihrem Zimmer, als ihr
Gatte, Marie an der Hand, vor ſie hintrat und ihr
ruhig, aber mit feſter Stimme ſeinen Entſchluß, den
er früher noch nicht in ihrer Gegenwart ausgeſprochen,
mittheilte, daß er der Verwaiſ'ten eine Freiſtatt in
Wolle⸗ Hauſe gewähren und für ihre Erziehung ſorgen
wolle. ö
Die gnädige Frau ſah die Kleine mit geringſchätzen-
der Miene an, hatte aber gegen den Willen ihres Gat-
ten nichts einzuwenden. —
„Hm! das kleine Ding ſieht recht gut aus,“ ſagte
ſie, „und ihre Miene verräth, trotz der verweinten Au-
gen, eine gewiſſe Intelligenz. Wenn ſie einige Jahre
mehr zählt, ſich gut aufführt und Beate, meine jetzige
Kammerzofe, ſich einmal verheirathet, ſo kann ſie ihren
Platz einnehmen.“
Marie, obwohl der harte Ton und das ſtrenge Ge-
 
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