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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 79 - Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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338

Anblick des ſtummflehenden Mädchdens weidend, ſagte er,
ohne ſie zu berühren:
„Steh' auf, Marie, und höre mich ruhig an. Da-
mit Du weißt, woran Du biſt, will ich Dir klar und
unumwunden meinen Willen kundthun und dann Deine
Antwort erwarten.“
Marie erhob ſich langſam. Sie ſank in einen Stuhl,
während er vor ihr ſtehen blieb.
Der Freche erklärte ihr nun, daß keine Macht auf
Erden ihn abhalten würde, ihren Beſitz zu erſtreben,
daß er ſie mit dem größten Prunk des Reichthums über-
ſchütten wolle, falls ſie ihm auf eines der entfernt lie-
genden Güter ſeines Vaters folge, wo er für Beide ein
geheimes köſtlich ausgeſchmücktes Aſyl bereitet habe. Er
fügte hinzu, daß ſie es ohne Gefahr für die Zukunft
thun könne, denn nach dem Ableben ſeiner Eltern werde
er die Geliebte zu ſeiner Gattin erheben.
Er ſchwieg und ſah Marie fragend an. Dieſe hatte
ſich gefaßt. Sie ſtand vom Stuhle auf, legte die rechte
Hand auf die Bruſt und erwiderte:
„Und wenn Sie mich von dieſer Stelle aus mit der
Bewilligung Ihrer Eitern zum Altare führen wollten,
ich würde Ihnen nicht folgen, Herr Baron, denn ich
liebe Sie nicht und werde Sie niemals lieben können.
Ja, ich würde den Tod einer Ehe mit Ihnen vorziehen.
Bei dem Andenken an meinen theuren ſeligen Vater,
bei der Dankbarkeit, die ich gegen Herrn und Frau
von Handorf fühle und die ewig in meinem Herzen le-
ben wird, ſchwöre ich Ihnen, daß mein Entſchluß un-
erſchütterlich iſt!“ ö
Der Wüſtling ſchleuderte ihr erſt einen durchboh-
renden Blick zu, dann ſchlug er eine laute Hohnlache
auf. —
„Thörin, die Du biſt,“ verſetzte er. „Du ſtößeſt
Dein Glück mit Füßen von Dir. Dein Schwur erſcheint
mir lächerlich, und Deinen Entſchluß werde ich zu er-
ſchüttern wiſſen. Du wirſt Dir noch voll Verzweiflung
die Haare ausrauſen, daß Du mich ſo ſchnöde zurück-
gewieſen haſt.“
Er erhob die Rechte zu einer drohenden Bewegung
gegen Marie und ſchritt dann ſtolz aus ihrem Zimmer.
Jetzt konnte Marie das Geheimniß nicht länger in
ihrer Bruſt bewahren, da es ihr klar geworden, daß
Alfred von Handorf zu dem Schrecklichſten fähig ſei.
Sobald Fräulein Herbert wieder zu ihr kam, warf ſie

ſich in ihre Arme und geſtand ihr unter einem Strom

von Thränen, in welche Bedrängniß ſie ohne ihre Schuld
gerathen ſei, und wie ſie ohne ihren Pflegeeltern die
Verworfenheit ihres Sohnes zu offenbaren, keinen Aus-
weg zur Rttung wüßte.
Vigch weiß, Sie lieben mich, wie eine Mutter,“ flehte
ſie. Helfen Sie Ihrem armen Kinde, wenn es nicht vor
Angſt ſterben ſoll.“
Die Erzieherin tröſtete ſie, und ſann dann lange
nach. Endlich ſagte ſie: ö
„Hier gibt es nur noch einen Ausweg. Das iſt die
Flucht. Aber Du ſollſt nicht allein fliehen, mein theures
Kind. Ich begleite Dich. Zwanzig Meilen von hier, in
einer kleinen Stadt am Strande der Oſtſee lebt mir eine

Schweſter, die Wittwe eines Zollkontroleurs. Trotzdem
wir ſchon lange getrennt, hängen wir doch noch zärtlich
aneinander. Zu dieſer will ich Dich führen. In ihrem

Hauſe kannſt Du ſo lange in Verborgenheit weilen, bis

der freche Wüſtling Dich vergeſſen hat, und wie die
Erfahrung lehrt, dauert die ſträfliche Neigung ſolcher
Menſchen nur ſo lange, als deren Gegenſtand unter
ihren Augen lebt. Ich werde mir einen audern Platz
und zwar in der Reſidenz ſuchen, wo ich alte Freunde
beſitze. Wird es Dir nicht vergönnt ſein, nach Handorf
zurückzukehren, ſo hole ich Dich nach einem halben Jahre
von meiuer Schweſter ab und verſchaffe auch Dir eine
für Dich paſſende Stelle in der Refidenz. Für das
Weitere wird dann die Vorſehung ſorgen, die redliche
und fleißige Geſchöpfe nie verderben läßt. Was aber
geſchehen ſoll, muß bald geſchehen. Ich werde Dir einen
meiner Koffer leihen, in den Du die nöthigen Kleider
packen kannſt. Von heute an in drei Tagen ſoll ein
Reiſewagen, den ich in der nächſten Stadt hierherbeſtel-
len werde, uns im Dunkel der Nacht von hier fortfüh-
ren.
Es koſtete Marie einen ſchweren Kampf, das Schloß
Handorf zu verlaſſen. Sie dachte an all' die ſchönen
Stunden, die ſie hier verlebt, an den Schmerz des Grei-
ſes, der ſie ſo väterlich liebte, an den Zorn der gnädi⸗—
gen Frau, die ihr den Vorwurf der größten Undank-
barkeit machen würde. Ach, und es gab ja noch andere

Orte, die unendlich theuer, das Grab ihres Vaters, die

Gruft, worin ihre Jugendfreundin Bertha ſchlief.
Aͤn beiden Stätten hatte ſie oft ein ſtilles Gebet ge-
ſprochen und ſich in die Vergangenheit zurückgeträumt.
Und dieſe Orte ſollte ſie vielleicht erſt nach vielen Jah-
ren, vielleicht niemals wiederſehen. Alles was ihr lieb,
woran ihr ganzes Herz hing, ſollte zurückbleiben. Das
war traurig, ſehr traurig. Aber es blieb ihr keine
Wahl. Die Pflicht das Höchſte in der moraliſchen Welt,
wie die Erzieherin ſie gelehrt, gebot! Die Stunde der
Flucht wurde unwiderruflich feſtgeſetzt.
Wohl den beiden Frauen, wäre Alles, was ſie zu-
ſammen verabredet, verſchwiegen geblieben. Leider war
das nicht der Fall. Beate, die eine Ahnuug davon ha-
ben mochte, daß Marie ein Mittel gefunden, ſich gegen
ihren Verfolger zu ſchützen — ſie glaubte es an dem
ruhigen Weſen zu bemerken, das Marie den Tag nach
dem Geſpräche mit Alfred zeigte — beſchloß dies Mit-
tel, um jeden Preis kennen zu lernen. In einem Au-
genblick, wo Mariens Schlafkammer noch leer war, ſchlich

ſie dort hinein und verbarg ſich unter dem Bette der

Ahnungsloſen. Es war die zehnte Stunde des Abends.
Beate wußte, daß um dieſe Zeit Marie die Ruhe ſuchte
und daß Fräulein Herbert ihre Schülerin bis an ihr
Bett begleitete, dann gewöhnlich noch kurze Zeit ver-
traulich mit ihr plauderte und endlich mit einem Kuſſe
ihr gute Nacht ſagte. ö
„(Fortſetzung folgt.)
 
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