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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 88 - Nr. 96 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0353

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Beillelberg er

Nr. 88.

Samſtag, den 2. November 187².

5. Jahri.

Irſſcheint Mittwoch und Samſtag.

Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer A 2 kr. Man abonnirt in der Druckerei, Schiſſga ſſea

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Zuchthäuslerin.
Novelle von J. Krüger.
Fortſetzung.)

„Daſſelbe, was Du geſchrieben, mein Kind,“ ver⸗—
fetzte die Erzieherin. „Dir bleibt nichts Anderes übrig.
Daß ich Dich begleitete, dafür muß meine zärtliche Liebe
zu Dir mir zur Eutſchuldigung dienen. Darum beru-
hige Dich, Herr von Handorf liebt Dich, wie ein Vater
ſeine eigene Tochter. Von ihm wirſt Du ſchwerlich
harte Worte hören, den Zorn der gnädigen Frau mußt
Du mit Reſignation ertragen.“ ö
„O, ich würde mich auch nicht ſo erſchrecklich fürch-
ten, wenn nicht er — der junge Baron zu unſerer Ver-
folgnng ausgeritteu wäre. Mein Herz ſagt mir, daß
er mich tödtlicher haßt und den Zorn ſeiner Mutter auf-
ſtacheln wird.“
„Komme, was da wolle, mein Kind. Mit Gewalt
kann Dich Niemand im Schloſſe zurückhalten. Man wird
Dich mit Vorwürfen überhäufen, man wird Dich ſchel-
ten. Aber wenn Du auf Deinem Vorſatze beharrſt,
Dich am Ende doch ziehen laſſen. Für mich ſorge nicht.

Man wird mir gern den Abſchied geben, da ich im

Schloſſe unnütz bin, wenn Du einmal fort biſt.“
Das waren tröſtliche Worte, aber ſie vermochten
das beklemmte Herz des jungen Mädchens nur in ſo
weit zu beruhigen, daß ſie wieder die Hoffnung faßte,
man würde nicht allzuhart mit ihr verfahren. Da der
Kutſcher zu eilen angetrieben wurde, ging die Rückfahrt
möglichſt ſchnell vor ſich, doch ſtand die Sonne ſchon
ziemlich hoch, als der Wagen in den Schloßbof hinein-
fuhr. Während der Fahrt aber hatte ſich die Beglei⸗—
tung um eine Perſon vermindert! Friedrich war näm-
lich ſeitab und der kleinen Stadt zugeritten, die von Han-
dorf zwei Stunden weit entfernt lag. Die Erzieherin
führte Marie, die bleich wie der Tod war und ſo zit-
terte, daß die mütterliche Freundin ſie ſtützen mußte,
in das Schloß und die Treppe hinauf bis in das Zim-
mer, das ſie vier Jahre bewohnt hatte. Der Bediente

nahm die Koffer vom Wagen nud trug ſie ihnen nach.
Dann ſetzte er ſich in Gegenwart der Frauen auf einen

Stuhl und ſagte:

WMir iſt befohlen worden, Sie nicht aus den Augen

zu laſſen, bis die gnädige Herrſchaft und noch Jemand
kommt, nach dem ſie, geſchickt hat.“ ů
Die Gouvernante drückte das von Angſt erfüllte

Mädchen auf das kleine Sopha nieder und ſetzte ſich
zu ihr, ihren Kopf an ihre Bruſt legend. So ſaßen
ſie wohl eine ganze Stunde, ohne ein Wort zu ſprechen,
dem Augenblick unruhig entgegenſehend, wo Herr von
Handorf und ſeine Gattin in's Zimmer treten würden.
Endlich kam es dazu. Die Thür öffnete ſich. Frau
von Handorf ſchritt zuerſt über die Schwelle und zwar
mit dem Ausdrucke der furchtbarſten Strenge in ihren
Zügen, dann fotgte der greiſe Freiherr und dieſem wie⸗—
der ein Mann, der ſeiner Kleidung nach eine Art ſub⸗—
alterner Gerichtsperſon war. Wie Marie die Gnädige
und den von ihr ſo heißgeliebten Pflegevater ſah, erhob
ſie ſich und warf ſich mit gefalteten Händen und thrä-

nenvollen Blicken vor ihnen nieder.

„Vergebung!“ flehte ſie, „Vergebung! Aber ich
konnte nicht anders. O, wenn Sie wüßten, wie ſchwer
mir die Flucht wurde, was ich gelitten. Sie würden
Mitleid mit mir fühlen und mich nicht undankbar, nicht
ſchlecht nennen.“ ö
Herr von Handorf wurde gerührt von dem Anblicke
der Fliehenden. Es war ihm bis dahin nicht möglich,
an das zu glauben, weſſen Beate ſie beſchuldigt hatte.
Er wollte Marie aufheben. Aber ſeine Gemahlin trat
ſchnell dazwiſchen. ö ö
„Berühre dieſe — dieſe Perſon nicht eher, bis Du
Dich überzeugt haſt, daß ſie keine Diebin iſt,“ ſagte ſie.
Dann wandte ſie ſich zu der vorerwähnten Gerichts⸗—
perſon, welche Friedrich aus der kleinen Stadt herbei-
geholt hatte. ö ö
„Ich habe Sie hierherrufen laſſen, Herr Amtsdie-
ner, damit ſie die Thatſachen ſogleich gerichtlich feſt-
ſtellen können.“ ö ö
Nun wurde der Erzieherin befohlen, die Koffer zu
öffnen. ö
Fräulein Herbert, feſt überzeugt, daß ſich Nichts
darin finden würde, was die entſetzliche Beſchuldigung,
mit der die Baronin Marie belaſtet, beſtätigen könnte,
nahm ſchnell die Schlüſſel und öffnete beide Koffer. Un-
ter ihren Kleidern und andern Sachen war Nichts, was
der gnädigen Frau angehörte. Nicht ſo in dem kleinen

Koffer, den ſie Marie geliehen. Die Baronin, die ihn
mit eigenen Händen unterſuchte, fand auf dem Voden
desſelben, in ein Nachthäubchen eingewickelt, den von

ihr vermißten Juwelenſchmuck, der mindeſtens fünftau-
ſend Thaler werth war. Sie befreite ihn von ſeiner
Umhüllung, trat auf das noch immer knieende Mädchen
zu und hielt ihr denſelben vor die Augen. Mit einer
Geberde des heftigſten Zorns rief ſie:
 
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