der City-Miſſionäre und derſelbe brachte dieſes Weib,
Marian, in deren Geſchichte die ſpäte Lectüre der Bi-
bel einen entſcheidenden Einfluß ausgeübt hatte, und
die mit einem wahren Fanatismus ſich an das Buch
der Bücher anklammerte und es mit dem Muthe eines
Apoſtels zu verkündigen ſuchte.
Marian erklärte der Bibelgeſellſchaft, welche bis
dahin Tauſende von Exemplaren der Bibel unentgelt-
lich vertheilt hatte, daß ſie ihre Miſſion nur dann er-
füllt zu haben glauben würde, wenn die armen Leute
ſich die Pfennige abſparen ſollten, um die Bibel zu
kaufen, weil ſie nur dann dem Buche einen Werth bei-
legen können. Der Preis wurde ſo niedrig geſtellt,
daß nicht einmal der Werth des Papiers dadurch ge-
deckt wurde; aber ſelbſt dieſer geringe Betrag erfor-
derte ein gußerordentliches Opfer von Denjenigen, die
im größten Mangel lebten. Das Erſtaunen der Hei-
den, welche faſt nie von der Bibel gehört hatten, und
von denen Tauſende, obſchon ſie in London lebten,
dort nie den Namen Jeſus Chriſtus vernommen hat-
ten, und denen nun das „Buch Gottes“ angeboten-
wurde, war über alle Maßen groß. In mehreren der
Höfe wurde nicht nur die fromme Verkäuferin verhöhnt
und verſpottet, ſondern auch mißhandelt. Einmal wurde
ein großes Gefäß mit Unrath von einer höheren Etage
auf ſie hinuntergegoſſen. Ein Weib nahm ſie hierauf
in ihr Zimmer, reinigte ihre Kleider und wuſch ihr
Geſicht und im Allgemeinen war die Anzahl Derjeni-
gen, welche ihr mit einiger Sympathie entgegentraten,
größer, als die Zahl Derjenigen, die ihr mit Feindſelig-
keiten entgegenkamen. Einmal war ſie eben im Be—⸗
griffe in eine der ſcheußlichen Wohnungen zu treten,
in denen ſie das Licht der Religion zu verbreiten ſuchte,
als ein City-Miſſionär vorüberging und ihr zurief:
„Gehe nicht in dieſes Haus; das Weib, das in dem-
ſelben wohnt, iſt nicht ein menſchliches Weſen, ſondern
ein Teufel. Wenn ſie betrunken iſt, können nur vier
Männer Sie überwältigen.“ — „Gerade zu Weibern
ihrer Art begebe ich mich, um die Bibel zu verkaufen.“
— Als ſie vor dem Zimmer dieſes Weibes anlangte,
hörte ſie die Stimme einer Furie; ſie öffnete die Thür
und ſah eine rieſige weibliche Geſtalt vor ſich, die ſie
mit Verwunderung anſtaunte, weil keine der Nachbar-
innen es je gewagt hatte, ihre Schwelle zu überſchrei-
ten. Ein Knabe, neun Jahre alt, ſtand in einer Ecke
nackt, ſeine Mutter hatte ihn eben geſchlagen und ſeine
Kleider in Stücke zerriſſen, um ein Geldſtück zu fin-
den, das ſie ihn beſchuldigt hatte, zu derheimlichen.
„Schlage ihn nicht mehr,“ ſagte Marian mit gro-
ßer Sanftmuth, „er wird gewiß der Züchtigung ſich
erinnern und ſich beſſer aufführen,“ unde ſich an den
Knaben wendend, fügte ſie hinzu: „Eine Dame gab
mir dieſen Morgen ein paar Kleidungsſtücke für einen
Knaben, der ſeiner Mutter gehorchen ſollte. Willſt
Du verſprechen, Deine liebe Mutter künftig mehr zu
achten?“ ö
Die milden Worte, wie ſie früher nie in dieſem
Zimmer gehört worden waren, verfehlten nicht ihre
Wirkung; das Kind begann zu weinen und ſelbſt die
Mutter war gerührt. Als Marian anfing, von der
Bibel zu ſprechen, wurde jedoch das Weib wüthend
und warf ſie zur Thür hinaus.
Marian ließ ſich nicht abſchrecken und kam aber-
mals zurück, obſchon die Furie ihr drohte, ſie in Stücke
zu zerſchneiden, falls ſie ſich je wieder ſehen ließe.
Dieſes entſetzliche Weib wurde nach einigen Wochen
die Schützerin Marian's gegen jede Umbilde, ſie ſub-
ſcribirte für eine Bibel und bezahlte jede Woche einen
Penny. — *
Auf ähnliche Weiſe zähmte Marian manche wilde,
thieriſche Natur, die ihr gewaltſam entgegentrat. Je-
den Tag ſtattete ſie einer reichen frommen Dame, welche
auf Wunſch der Bibelgeſellſchaft ihre Thätigkeit regelte,
ihren Bericht ab und dieſe Berichte öffnen einen Blick
in eine Welt des Grauens, der Barbarei und der Roh-
heit, wie kein anderes Document der Neuzeit.
Man glaubt ein Märchen zu leſen, das von einem
Kinde erzählt, welches ſich in die Höhlen von Men-
ſchenfreſſern und Rieſen unerſchrocken ſchleicht und von
denſelben nicht getödtet wird, wenn man die rührende
Ausdauer und das kindlich fromme Gemüth Marian's
beobachtet. ö
Durch die eben erwähnte reiche Dame in den Stand
geſetzt, kleine Geldopfer zu bringen, lud Marian ihre
Bibelkunden abwechſelnd zu ſich, um ihnen die anzie-
hendſten Capitel derſelben vorzuleſen, nachdem ſie ſie
auf beſcheidene Weiſe bewirthet hatte.
Das war nicht die einzige Gelegenheit welche Maͤ—
Trian beſaß, durch ihr Geſpräch die verwilderten Ge-
müther dieſer Weiber zu beſänftigen. Da ſie die Be-
zahlung der Bibel durch wöchentliche kleine Beiträge
leiſten ließ, ſo konnte ſie regelmäßig ihre Beſuche er-
neuern, um die, fällig gewordenen Pfennige zu holen,
und da ſie in ihren Geſprächen ſtets rührende Bibel-
ſprüche citirte und erklärte, ſo weckte ſie die Begierde
nach der genauen Kenntniß derſelben. Diejenigen,
welche uicht leſen konnten, ließen ſich Abſchnitte vorle-
ſen, und da zwiſchen den armen Familien eine große
Solidarität herrſcht und jede Familie eine Geräthſchaft
beſitzt, die ſie ihren Nachbarinnen leiht und von denſel-
ben wieder andere Haushaltdinge entlehnt, ſo fand ſich
ſtets eine Perſon, von der es ſich herausſtellte, daß ſie
leſen konnte. Marian verband den Verkauf vieler an⸗—
derer Dinge mit ihren Bibeln, und mehr als ein Weib
ſubſcribirte auf Bibeln, weil es dadurch gleichzeitig auf
Leinwand, Betten, auch Thee und Zucker u. ſ. w. ſub-
ſcribiren konnte. ö
Das Beiſpiel Marian's wirkte belebend auf andere
Weiber, die ſich derſelben Miſſion unterzogen, und es
gibt jetzt eine große Anzahl derſelben, aber keine der
Bibelweiber hat den Muth und die-Ueberzeugung be-
währt, wie Marian.
Marian, in deren Geſchichte die ſpäte Lectüre der Bi-
bel einen entſcheidenden Einfluß ausgeübt hatte, und
die mit einem wahren Fanatismus ſich an das Buch
der Bücher anklammerte und es mit dem Muthe eines
Apoſtels zu verkündigen ſuchte.
Marian erklärte der Bibelgeſellſchaft, welche bis
dahin Tauſende von Exemplaren der Bibel unentgelt-
lich vertheilt hatte, daß ſie ihre Miſſion nur dann er-
füllt zu haben glauben würde, wenn die armen Leute
ſich die Pfennige abſparen ſollten, um die Bibel zu
kaufen, weil ſie nur dann dem Buche einen Werth bei-
legen können. Der Preis wurde ſo niedrig geſtellt,
daß nicht einmal der Werth des Papiers dadurch ge-
deckt wurde; aber ſelbſt dieſer geringe Betrag erfor-
derte ein gußerordentliches Opfer von Denjenigen, die
im größten Mangel lebten. Das Erſtaunen der Hei-
den, welche faſt nie von der Bibel gehört hatten, und
von denen Tauſende, obſchon ſie in London lebten,
dort nie den Namen Jeſus Chriſtus vernommen hat-
ten, und denen nun das „Buch Gottes“ angeboten-
wurde, war über alle Maßen groß. In mehreren der
Höfe wurde nicht nur die fromme Verkäuferin verhöhnt
und verſpottet, ſondern auch mißhandelt. Einmal wurde
ein großes Gefäß mit Unrath von einer höheren Etage
auf ſie hinuntergegoſſen. Ein Weib nahm ſie hierauf
in ihr Zimmer, reinigte ihre Kleider und wuſch ihr
Geſicht und im Allgemeinen war die Anzahl Derjeni-
gen, welche ihr mit einiger Sympathie entgegentraten,
größer, als die Zahl Derjenigen, die ihr mit Feindſelig-
keiten entgegenkamen. Einmal war ſie eben im Be—⸗
griffe in eine der ſcheußlichen Wohnungen zu treten,
in denen ſie das Licht der Religion zu verbreiten ſuchte,
als ein City-Miſſionär vorüberging und ihr zurief:
„Gehe nicht in dieſes Haus; das Weib, das in dem-
ſelben wohnt, iſt nicht ein menſchliches Weſen, ſondern
ein Teufel. Wenn ſie betrunken iſt, können nur vier
Männer Sie überwältigen.“ — „Gerade zu Weibern
ihrer Art begebe ich mich, um die Bibel zu verkaufen.“
— Als ſie vor dem Zimmer dieſes Weibes anlangte,
hörte ſie die Stimme einer Furie; ſie öffnete die Thür
und ſah eine rieſige weibliche Geſtalt vor ſich, die ſie
mit Verwunderung anſtaunte, weil keine der Nachbar-
innen es je gewagt hatte, ihre Schwelle zu überſchrei-
ten. Ein Knabe, neun Jahre alt, ſtand in einer Ecke
nackt, ſeine Mutter hatte ihn eben geſchlagen und ſeine
Kleider in Stücke zerriſſen, um ein Geldſtück zu fin-
den, das ſie ihn beſchuldigt hatte, zu derheimlichen.
„Schlage ihn nicht mehr,“ ſagte Marian mit gro-
ßer Sanftmuth, „er wird gewiß der Züchtigung ſich
erinnern und ſich beſſer aufführen,“ unde ſich an den
Knaben wendend, fügte ſie hinzu: „Eine Dame gab
mir dieſen Morgen ein paar Kleidungsſtücke für einen
Knaben, der ſeiner Mutter gehorchen ſollte. Willſt
Du verſprechen, Deine liebe Mutter künftig mehr zu
achten?“ ö
Die milden Worte, wie ſie früher nie in dieſem
Zimmer gehört worden waren, verfehlten nicht ihre
Wirkung; das Kind begann zu weinen und ſelbſt die
Mutter war gerührt. Als Marian anfing, von der
Bibel zu ſprechen, wurde jedoch das Weib wüthend
und warf ſie zur Thür hinaus.
Marian ließ ſich nicht abſchrecken und kam aber-
mals zurück, obſchon die Furie ihr drohte, ſie in Stücke
zu zerſchneiden, falls ſie ſich je wieder ſehen ließe.
Dieſes entſetzliche Weib wurde nach einigen Wochen
die Schützerin Marian's gegen jede Umbilde, ſie ſub-
ſcribirte für eine Bibel und bezahlte jede Woche einen
Penny. — *
Auf ähnliche Weiſe zähmte Marian manche wilde,
thieriſche Natur, die ihr gewaltſam entgegentrat. Je-
den Tag ſtattete ſie einer reichen frommen Dame, welche
auf Wunſch der Bibelgeſellſchaft ihre Thätigkeit regelte,
ihren Bericht ab und dieſe Berichte öffnen einen Blick
in eine Welt des Grauens, der Barbarei und der Roh-
heit, wie kein anderes Document der Neuzeit.
Man glaubt ein Märchen zu leſen, das von einem
Kinde erzählt, welches ſich in die Höhlen von Men-
ſchenfreſſern und Rieſen unerſchrocken ſchleicht und von
denſelben nicht getödtet wird, wenn man die rührende
Ausdauer und das kindlich fromme Gemüth Marian's
beobachtet. ö
Durch die eben erwähnte reiche Dame in den Stand
geſetzt, kleine Geldopfer zu bringen, lud Marian ihre
Bibelkunden abwechſelnd zu ſich, um ihnen die anzie-
hendſten Capitel derſelben vorzuleſen, nachdem ſie ſie
auf beſcheidene Weiſe bewirthet hatte.
Das war nicht die einzige Gelegenheit welche Maͤ—
Trian beſaß, durch ihr Geſpräch die verwilderten Ge-
müther dieſer Weiber zu beſänftigen. Da ſie die Be-
zahlung der Bibel durch wöchentliche kleine Beiträge
leiſten ließ, ſo konnte ſie regelmäßig ihre Beſuche er-
neuern, um die, fällig gewordenen Pfennige zu holen,
und da ſie in ihren Geſprächen ſtets rührende Bibel-
ſprüche citirte und erklärte, ſo weckte ſie die Begierde
nach der genauen Kenntniß derſelben. Diejenigen,
welche uicht leſen konnten, ließen ſich Abſchnitte vorle-
ſen, und da zwiſchen den armen Familien eine große
Solidarität herrſcht und jede Familie eine Geräthſchaft
beſitzt, die ſie ihren Nachbarinnen leiht und von denſel-
ben wieder andere Haushaltdinge entlehnt, ſo fand ſich
ſtets eine Perſon, von der es ſich herausſtellte, daß ſie
leſen konnte. Marian verband den Verkauf vieler an⸗—
derer Dinge mit ihren Bibeln, und mehr als ein Weib
ſubſcribirte auf Bibeln, weil es dadurch gleichzeitig auf
Leinwand, Betten, auch Thee und Zucker u. ſ. w. ſub-
ſcribiren konnte. ö
Das Beiſpiel Marian's wirkte belebend auf andere
Weiber, die ſich derſelben Miſſion unterzogen, und es
gibt jetzt eine große Anzahl derſelben, aber keine der
Bibelweiber hat den Muth und die-Ueberzeugung be-
währt, wie Marian.