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„Das wird uns gar gewaltig lieb ſein,“ ſagte der
Aelteſte und ſchüttelte dem Gaſt die Hand über den
Tiſch, daß demſelben Hören und Sehen beinahe verging.
„Nun, ſo hört zu,“ begann der Fremde. „Vor Allem
muß ich Euch ſagen, daß das Selbſtkuriren das Un-
vernünftigſte iſt, was der Menſch thun kann! Der
Arzt muß immer derjenige ſein, der bei Krankheiten
um Rath gefragt wird. Damit meine ich aber nicht,
daß Ihr gleich zum Arzt ſchicken ſollt, wenn ein klei-
nes Unwohlſein vorkommt; Ihr mögt zuerſt, wenn es
nicht bedenklich ausſieht, Hausmittel anwenden und
ſehen, ob das Uebel vorübergehend iſt.
„Wenn ich Euch alſo rathen ſoll, ſo ſchafft Euch
Hausmittel an, Brauſepulver, Senfſpiritus, Corella“⸗
ſches Bruſtpulver, verſchiedene Theeſorten u. f. w., und
wenn Euer Arzt wieder in's Dorf kommt, laßt Euch
von ihm erklären, was Ihr braucht und wozu Ihr's
brauchen ſollt; thut Ihr dann, was er ſagt, ſo werden
Euch manche Angſt, manche Sorge erſpart.“
„Mir haben die Hausmittel viel gute Dienſte ge-
than und ich will Euch erzählen, wie es mir ergangen
iſt. Ich bin Euer Landsmann. Vor zehn Jahren ſtarb
mein Vater, der nicht weit von hier Küſter war; mor-
gen, am Sonntag, hoffe ich endlich, mein Heimathsdorf
wiederzuſehen. Als mein Vater geſtorben, war ich arm
wie Hiob; gelernt hatte ich wohl etwas, hatte auch
manches gute Buch geleſen und ſo war mir nichts ſchreck-
licher wie der Gedanke, als Tagelöhner mein Leben
friſten zu müſſen. Hätte das ſchließlich wohl noch über-
wunden, aber eins gab es noch, was mir vollends den
Muth raubte. Ich liebte die Schulzentochter, ſie liebte
mich auch, doch der Vater wies dem armen Küſterſohn
die Thür. Da packte mich die Verzweiflung; ich wan-
derte nach Hamburg, verdingte mich auf einem Segel⸗—
ſchiff und kam nach langen, furchtbaren Tagen in New-
York an. Niemand kannte mich da. Mühſam ſchleppte
ich meinen ſiechen Körper weiter in's Land; endlich,
eines Abends, kam ich auf eine deutſche Farm und bat
um Nachtlager. Freundlich ward es mir von dem Ei-
genthümer gewährt, ja, ich durfte bleiben, durfte das
bei ihm werden, deſſen ich mich in der Heimath geſchämt
hatte: Tagelöhner! Ich gewann das Vertrauen des
alten Herrn, und als er mich eines Tages zur nächſten,
freilch weit abgelegenen Stadt zu Einkäufen ſchickte,
ging's mir plötzlich durch den Kopf: Wenn nun Jemand
krank wird auf unſerer, wohl fünf Stunden von jeder
menſchlichen Wohnung abgelegenen Farm, wer hilft?
Deßhalb kaufte ich eine Hausapotheke: Mittel, wie ich
ſie Euch genannt. Nicht lange nachher hatten wir Ge-
legenheit, dieſelben zu erproben: die einzige Tochter
meines Herrn, der ein Wittwer war, erkrante; wir
gaben ihr von den Mitteln nach beſtem Gewiſſen. Als
endlich der Arzt kam, hatte ich die Freude, aus ſeinem
Munde zu hören, daß ohne die Anwendung derſelben
ſein Kommen zu ſpät geweſen wäre. Die Tochter ge-
naß; die Freude des Vaters könnt Ihr Euch denken!
Nun, damit ichs kurz mache: die Tochter verheirathete
ſich reich und der Alte, der mich fortan wie ſeinen
Sohn behandelte, hinterließ mir, mit Zuſtimmung der
Tochter, als er im vorigen Jahre ſtarb, die Farm.
Jetzt hielt es mich nicht länger da draußen; ich mußte
heim, heim zum lieben, theuren Grabe der Eltern,
heim nach Bergeleben, und, treffe ich meine Marie
Klinger noch ledig — heute wird ſie mir der Alte
wohl nicht abſchlagen!“
„Marie Klinger?“ fragte einer der Zuhörer ge-
dehnt und die Anderen müymelten und tuſchelten leiſe
untereinander.
„Kennt Ihr die Marie?“ fragte der Fremde haſtig.
„Wir haben ſie gekannt,“ antwortete der Aelteſte
mit trübem Geſicht. —
„Todt?“ rief der Gaſt mit barſcher Stimme und
ſprang auf von ſeinem Sitze.
„Todt! Doch beſſer ſo, als hätten Sie die Marie
lebend gefunden. Ihr Vater zwang ſie zur Heirath
mit dem Sohn des reichen Käſtner. Sie grämte ſich,
der Mann behandelte ſie ſchlecht. Sie wurde bleicher
und bleicher. Sie gebar ein Kind und wie ſie noch
im Wochenbette lag da haben ſie eines Morgens ihren
Mann im Bache gefunden; er war betrunken über den
Steg gefallen und wurde nicht wieder lebendig.“
„O Gott!“ ſtöhnte der Fremde. ö
„Vier Wochen darauf iſt ſie auch hinausgetragen,
und das Kind —“ ö
„Das Kind! Das Kind? Sagt, wo iſt ihr Kind?“
rief der Gaſt leidenſchaftlich und faßte krampfhaft den
Arm des Erzählers.
„Das Kind iſt hier im Dorfe in Pflege gegeben
bei Mutter Stegemann; Sie kennen es ja; es iſt der
kleine Georg.“ ö
„Georg? Nach mir hat Marie ihr Kind genannt?
Georg! Du ſollſt mein Kind ſein, Du ſollſt mit mir
zur neuen Heimath! Georg! Ich will Dich liebeu, ſo
treu, wie ich Deine Mutter geliebt! Nicht wahr —
Ihr gebt mir das Kind? O, gebt es, gebt es mir
doch!“ *
„Ich ſage Ja!“ meinte der. Aelteſte und ſchüttelte
thränenden Auges dem Gaſte die Hand. „Morgen nach
der Kirche werde ich die Andern zuſammenrufen von
Rechts wegen und die werden auch Ja ſagen. Doch
für heute genug; es iſt ſchon ſpät, der Wächter pfeift
Zehn — gute Nacht!“ ö
„Gute Nacht!“ fagten auch die Andern, ſchüttelten
dem Gaſte treuherzig die Hand und gingen ſtill von
dannen, ſo ſtill und ernſt, als kämen ſie aus der Kirche.
Der Gaſt eilte auf ſein Zimmer. Er blickte hinaus
in die ſtille, vom Mondſchein ſilberhell beleuchtete Land-
ſchaft und in die Thräne des Schmerzes miſchte ſich
der ſchöne Traum an die glückliche Zukunft des blon-
den Knaben, des Sohnes ſei uer wahren, einzigen Liebe!
Die Buchdruckerei von G. Geisendörfer
in Heidelberg (Schifgaſſ 40—
empfiehlt sich in allen in dieses Geschärt einschlagenden
Arbeiten, namentlich im Pruck von Visiten-, Verlobungs- und
Adress-Karten, Rechnungen, Circularen etc. etc.
„Das wird uns gar gewaltig lieb ſein,“ ſagte der
Aelteſte und ſchüttelte dem Gaſt die Hand über den
Tiſch, daß demſelben Hören und Sehen beinahe verging.
„Nun, ſo hört zu,“ begann der Fremde. „Vor Allem
muß ich Euch ſagen, daß das Selbſtkuriren das Un-
vernünftigſte iſt, was der Menſch thun kann! Der
Arzt muß immer derjenige ſein, der bei Krankheiten
um Rath gefragt wird. Damit meine ich aber nicht,
daß Ihr gleich zum Arzt ſchicken ſollt, wenn ein klei-
nes Unwohlſein vorkommt; Ihr mögt zuerſt, wenn es
nicht bedenklich ausſieht, Hausmittel anwenden und
ſehen, ob das Uebel vorübergehend iſt.
„Wenn ich Euch alſo rathen ſoll, ſo ſchafft Euch
Hausmittel an, Brauſepulver, Senfſpiritus, Corella“⸗
ſches Bruſtpulver, verſchiedene Theeſorten u. f. w., und
wenn Euer Arzt wieder in's Dorf kommt, laßt Euch
von ihm erklären, was Ihr braucht und wozu Ihr's
brauchen ſollt; thut Ihr dann, was er ſagt, ſo werden
Euch manche Angſt, manche Sorge erſpart.“
„Mir haben die Hausmittel viel gute Dienſte ge-
than und ich will Euch erzählen, wie es mir ergangen
iſt. Ich bin Euer Landsmann. Vor zehn Jahren ſtarb
mein Vater, der nicht weit von hier Küſter war; mor-
gen, am Sonntag, hoffe ich endlich, mein Heimathsdorf
wiederzuſehen. Als mein Vater geſtorben, war ich arm
wie Hiob; gelernt hatte ich wohl etwas, hatte auch
manches gute Buch geleſen und ſo war mir nichts ſchreck-
licher wie der Gedanke, als Tagelöhner mein Leben
friſten zu müſſen. Hätte das ſchließlich wohl noch über-
wunden, aber eins gab es noch, was mir vollends den
Muth raubte. Ich liebte die Schulzentochter, ſie liebte
mich auch, doch der Vater wies dem armen Küſterſohn
die Thür. Da packte mich die Verzweiflung; ich wan-
derte nach Hamburg, verdingte mich auf einem Segel⸗—
ſchiff und kam nach langen, furchtbaren Tagen in New-
York an. Niemand kannte mich da. Mühſam ſchleppte
ich meinen ſiechen Körper weiter in's Land; endlich,
eines Abends, kam ich auf eine deutſche Farm und bat
um Nachtlager. Freundlich ward es mir von dem Ei-
genthümer gewährt, ja, ich durfte bleiben, durfte das
bei ihm werden, deſſen ich mich in der Heimath geſchämt
hatte: Tagelöhner! Ich gewann das Vertrauen des
alten Herrn, und als er mich eines Tages zur nächſten,
freilch weit abgelegenen Stadt zu Einkäufen ſchickte,
ging's mir plötzlich durch den Kopf: Wenn nun Jemand
krank wird auf unſerer, wohl fünf Stunden von jeder
menſchlichen Wohnung abgelegenen Farm, wer hilft?
Deßhalb kaufte ich eine Hausapotheke: Mittel, wie ich
ſie Euch genannt. Nicht lange nachher hatten wir Ge-
legenheit, dieſelben zu erproben: die einzige Tochter
meines Herrn, der ein Wittwer war, erkrante; wir
gaben ihr von den Mitteln nach beſtem Gewiſſen. Als
endlich der Arzt kam, hatte ich die Freude, aus ſeinem
Munde zu hören, daß ohne die Anwendung derſelben
ſein Kommen zu ſpät geweſen wäre. Die Tochter ge-
naß; die Freude des Vaters könnt Ihr Euch denken!
Nun, damit ichs kurz mache: die Tochter verheirathete
ſich reich und der Alte, der mich fortan wie ſeinen
Sohn behandelte, hinterließ mir, mit Zuſtimmung der
Tochter, als er im vorigen Jahre ſtarb, die Farm.
Jetzt hielt es mich nicht länger da draußen; ich mußte
heim, heim zum lieben, theuren Grabe der Eltern,
heim nach Bergeleben, und, treffe ich meine Marie
Klinger noch ledig — heute wird ſie mir der Alte
wohl nicht abſchlagen!“
„Marie Klinger?“ fragte einer der Zuhörer ge-
dehnt und die Anderen müymelten und tuſchelten leiſe
untereinander.
„Kennt Ihr die Marie?“ fragte der Fremde haſtig.
„Wir haben ſie gekannt,“ antwortete der Aelteſte
mit trübem Geſicht. —
„Todt?“ rief der Gaſt mit barſcher Stimme und
ſprang auf von ſeinem Sitze.
„Todt! Doch beſſer ſo, als hätten Sie die Marie
lebend gefunden. Ihr Vater zwang ſie zur Heirath
mit dem Sohn des reichen Käſtner. Sie grämte ſich,
der Mann behandelte ſie ſchlecht. Sie wurde bleicher
und bleicher. Sie gebar ein Kind und wie ſie noch
im Wochenbette lag da haben ſie eines Morgens ihren
Mann im Bache gefunden; er war betrunken über den
Steg gefallen und wurde nicht wieder lebendig.“
„O Gott!“ ſtöhnte der Fremde. ö
„Vier Wochen darauf iſt ſie auch hinausgetragen,
und das Kind —“ ö
„Das Kind! Das Kind? Sagt, wo iſt ihr Kind?“
rief der Gaſt leidenſchaftlich und faßte krampfhaft den
Arm des Erzählers.
„Das Kind iſt hier im Dorfe in Pflege gegeben
bei Mutter Stegemann; Sie kennen es ja; es iſt der
kleine Georg.“ ö
„Georg? Nach mir hat Marie ihr Kind genannt?
Georg! Du ſollſt mein Kind ſein, Du ſollſt mit mir
zur neuen Heimath! Georg! Ich will Dich liebeu, ſo
treu, wie ich Deine Mutter geliebt! Nicht wahr —
Ihr gebt mir das Kind? O, gebt es, gebt es mir
doch!“ *
„Ich ſage Ja!“ meinte der. Aelteſte und ſchüttelte
thränenden Auges dem Gaſte die Hand. „Morgen nach
der Kirche werde ich die Andern zuſammenrufen von
Rechts wegen und die werden auch Ja ſagen. Doch
für heute genug; es iſt ſchon ſpät, der Wächter pfeift
Zehn — gute Nacht!“ ö
„Gute Nacht!“ fagten auch die Andern, ſchüttelten
dem Gaſte treuherzig die Hand und gingen ſtill von
dannen, ſo ſtill und ernſt, als kämen ſie aus der Kirche.
Der Gaſt eilte auf ſein Zimmer. Er blickte hinaus
in die ſtille, vom Mondſchein ſilberhell beleuchtete Land-
ſchaft und in die Thräne des Schmerzes miſchte ſich
der ſchöne Traum an die glückliche Zukunft des blon-
den Knaben, des Sohnes ſei uer wahren, einzigen Liebe!
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