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Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

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ZWM

Ser e 2

Heidelberger Zeitung

Donnerstag, Len 4. Juli 1913

Fernsprecher Nr. 82

Nr. 153

Die Landabgabe in Kurland
wird folgendermaßen geregelt werdern Jeder kur-
ländische Rittergutsbesitzer, dessen GÄmnUgrund-
bcsitz die Grütze von 1M0 LoMellen (gleich 300
Hektar) erreicht, U verpflichtet, an die Landse-
sellsrlMt Kurland als Trägerin des Ansiedlungs-
unternehnrens in Kurland zu Beffödelunsszwecken
ein Drittel seines Gesamtareals, und
-war für Zwecke der Besiedelung geeignetes Land,
im Wege des Kaufvertrages zu «iberlaßen. Der Er-
iverbspreis für die Landgejellfchafb Kurland hat
d^n Friedenspreis des Jahres 1914
zu entsprechen. Die Verpflichtung Mr Landabgabe
ist zunächst in dem Umfange zu erfüllen, daß jedes
beteiligte Gut ein Viertel feiner Fläche an dis
Landgesellschaft Kurland verkauft. Die Auszäh-
lung des Kaufpreises, soweit er nicht durch au-
Mrechnsiide Hypotheken und Lasten belegt wird,
erfolgt mit 8S v. H. in bar. Der Rest in Höhe
von 15 v. H. ist von der LandgesellschM Kurland
als Zahlung des Veräußerers für einen entspre-
chenden Geschäftsanteil von der Land gesell schäft
zu rechnen. Die Lei der Abtretung von 25 p. H.
der Fläche der beteiligten Güter an der Gesamt-
fläche von 33*/s v. H. des kurländischen Grund-
besitzes fehlende Fläche soll nach Möglichkeit frei-
händig zum Friedenspreis des Jahres 1914 durch
die Landgesellschaft Kurland erworben werden.
Dis Landgösellschäft Kurland hat bis Ende 1948
das Recht in alle Kaufverträge, die sich auf länd-
liche Liegenschaften beziehen, als Käuferin einzu-
treten. Gegen alleEntscheidmrgsn desKaufausschußes
können Leide Teile Berufung bei einem Beru-
fungsausschutz einlessn. Di« Verordnung gilt « auch
für dis im Herzogtum Kurland belegenen Fidei-
kommisse. Weiters Artikel regeln dis Fragen der
Beleihung der Pfandentlassung. der vrivatrechtli-
chen Reallasten und Servituten und Nutzunssver-
trssge usw. Die Landgösellschaft Kurland ist für
alle Ließe Geschäfts von der Stempel- und Göbüh-
denpflicht befreit.
Friedensverhandlungen zwischen
Rußland und Finland
Dis Times meldet aus Petersburg: Dis offi-
ziellen FriedensverhaiMungen zwischen Ruh land
und Finland Haben in Petersburg begonnen.
Die bisherigen Vorbesprechungen der Kommissare
Haben allgemeine Richtlinien für die Vevständi-
auwgÄkonferenz medergslegt, die noch inj diesem
Monat beginnen soll
Ruffische Hilferufe nach Deutschland
Dem ukrainischen Pressebüro wird aus Kiew
gemeldet:
Dztennik KUowsky berichtet: Infolge der gspkan-
ten Operation der Entente in Sibirien, Murman
und Archangelsk wird in bolschewistischen Kreisen
erklärt, daß die bolschewistische Regierung nichts
Hageln habe, wenn die Deutschen zu Hilfe kämen,
dm di« früheren Verbündeten rurückzuschlagen.
Dies erinnert an die früheren Stimmen -aus Pe-
iersburg, daß man dort auf die Deutschen als Ret-
te« von der herrschenden Anarchie Hofft, der
Unterschied ist nur, datz jetzt in bolschewistischen
Kreisen dar Ruf Nach den Deutschen laut wer»
HM sqll
Die Lage in Sibirien
Der Daily Erprob meldet, datz die Leiden Mi-
ttfchen Regierungen, von denen die Micke CHar-
d i n und die westliche Omsk als Hauptstadt batte,
Ach ««einigt und Tomsk -als Hauptstadt der
heuen sibirischen Republik proklamiert Laben. Das
durch wurde Sibirien zu einem einzigen großen
Staate unter einer einheitlichen Regierung. Die
Tschecho-Slowaken bilden die wichtigste
Militärische Macht dieser Republik.
, Auf der anderen Seite sollen dis Krtegsge--
rangenen die Löste Hilfe der Bolschewik! sein.
Wie die Neus Korr. aus Chatbin meldet, soll dis
Zahl der vollständig ausgerüsteten deutschen und
WerreichMen Gefangenen 20 OVO Mann betragen.

In Omsk befir-Lm sich 49 000 Mann ösierreich sche
Kriegsgefangene.
Daily Eb-ronicle nreLet aus Stockholm: Deutsch-
land bat nicht nur die Entwaffnung, sondern auch
die Auslieferung der Tschecho-Slowaken gefordert.
Die -BsMswÄi-Remeimwo bat diele Forderung
ang e nom men.
England und Finland
Im Unterhaus fragte der Abg. K i n g an, oü
England oder dis Verbündeten der russischen Sow-
jetregierung maritime und militärische
Unterstützung angeboten haben oder anbieten
werden, um die Häfen der Murmanküste
RutzlanL gegen den finischen und deutschen Ein-
fluß zu erhalten. Lord Robert Cecil antwortete,
falls dis Sowjetregieruns eine Aufforderung zu
maritimem oder militärischem Beistand ergehen
lasse, um russisches Gebiet gegen Deutschland zu
verteidigen, werde sie eine sympathische Er-
wägung finden, aber er sei zur Zeit nicht in der
Lage, weitere Erklärungen äbwgoben.
Diese Anfrage des Abgeordneten King be-
rührte eins der schwebenden Fragendes englischen
Verhältnisses zu Rordrußland und Finland. Wie
die „NorAdsutschs Allgemeine Zeitung" schreibt, ist
an ihr auch das deutzche Interesse stark beteiligt.
Die Antwort Cecils ist nicht geeignet. Klarheit
in die Angelegenheit zu bringen. Man erkennt
aus ihr höchstens, daß die Frage einer groben
Aktion Englands vom nördlichen Eisme'r
aus noch n icht ent s ch i eden ist. In dem Tat-
bestand. den Cecil als im wesentlichen richtig be-
zeichnete. ist „vergessen" morden, zu erwähnen, daß
die russische Sowietregcerun r formell Protest ein-
gelegt hat gegen die Landung und Anwesenheit
englischer Truppen an der Murmanküste.
England Lat sich jedoch um das Prinzip der Un-
versehrtheit russischen Gebiets nicht gekümmert und
würde sich -auch bei weitergshenden Entschlüssen
nicht darum kümmern, wenn diese Vorteile ver-
sprechen. Es ist also wohl kaum richtig, daß Eng-
land nur auf das Signal aus Moskau wartete,
um gegen Finland zu marschieren. Daß ein sol-
ches von der heutigen Regierung in Nordrubland
nicht zu erwarten ist, weiß man wohl in London.
Aber die Dings dort können sich wenden und für
diesen Fall hat sich England die nördliche Ein-
fallspforte offen gehalten. Aber in Finland kennt
man die Gefahr und wird ihr auch mit deutscher
Hilfs zu begegnen wissen.
Der „Bsrl. Lokalanz." meldet, eine hochstehende
finrschs Seite Labe mitgeteilt, daß in Finland der
Beschluß gefaßt werden soll, alle Engländer
aus dem Lands auszuweisen.
Japans wirtschaftliches
Vordringen in China
Die Times berichtet aus Schanghai, daß es den
Japanern endlich gelungen ist, die ungeheuren
Eisen minen in der Nähe von Nanking in
ihrs Händ« zu bringen. Dis bisherigen
chinesischen Regierungen haben zu dem getroffenen
Abkommen stets ihre Zustimmung versagt. Um
den Widerstand der Reformisten zu brechen, wurde
dis Befugnis, von welcher derartige Konzessionen
abhängen, an das Kriegsministerium übertragen,
das den Vertrag mit Japan unverzüglich ratifi-
zierte. Die englische Presse in China bezeichnet
diösen neuen Erwerb Japans als seine größte
Errungenschaft während des Krieges.

Kleine Kriegsnachrichten
* Den Orden Pour le merkte erhielten neuer-
dings Generalleutnant v. Borries. die General-
majors Frbr. v. Dievenbroick-GrütSr und
v. Harthausen, sowie dis Hauptleute Hänicks
und v. Freyhold.
* Butter-Ersatz mit Petroleum,Rückständen in
— England. In der englischen Presse wird dage-
gen protestiert, datz Butter. Margarine und
Speiseöl gegenwärtig 'durch Stoffs ersetze wer-
den. bei deren Erzeugung Petroleumrückständo ver-
wendet werden.

Payer gegen Zcheidemann
Berlin. 3. Juli.
Auf der Tagesordnung steht die dritte Le-
sung des Haushalts in Verbindung mit der
zweiten Lesung des Friedensvertrages
mit Ru-mäni.en.
Nbg. Scheidemsnn (Soz.): Gegen einzelne
Punkte des Friedensvsrtruses Laiben wir Beden-
ken. so gegen die Dabrudfchafrage, die Angelegen-
heit der Frsmdistämmigen und gegen die Regelung
wirtschaftlicher Dinge. Unsere endgültige Stel-
lung behalten wir uns vor. Den Etat löhnen
wir ab. Hinsichtlich des Schutzes offener
Städte Himer der Kampffront hat dis deutsche
Regierung die Initiative ergriffen. Wird die
deutsche Regierung mit ihrer Angvegung van dem
!Feiwde abgswiejsen, so Halten wir wenigstens ei-
nen moralischen Erfolg. Der Krieg mutz für
Deutschland den Charakter eines nationalen
Verteidigungskrieges behalten. Die
Aufastung, dis Staatssekretär von Kuhlmann aus-
gesprochen hat, wird von allen ehemaligen Reichs-
kanzlern, Staatssekretären und Diplomaten ge-
teilt, wenn sie es auch nicht-, sagen. Machen.wir
mit dem ganzen Lüsenkram ein Ende. Wir kön-
nen es. Lassen wir an die Stelle der Friedens-
offensive
eine Offensive der Wahrheit
treten. Der Weltkrieg kann nickt durch das
Schwert entschieden werden. Das ist nur möglich,
durch Umbildung des Geistes, durch die Politik
der Tat. Wir wünschen eine Regierung, dis auf
ihrem Gebiet wie dis Heeresleitung auf dem
ihrigen es versteht, ihre Gegner zu bestgen. Das
Volk ist gegen die Stimmungsmache ab-
gestumpft. Was ich ausspreche, ist tiefster
Ernst. Seien wir uns klar darüber. Es steht
viel auf dem Spiele, es geht um das Leben von
Millionen.
Abg. Ledebour (U. Soz.): Bei uns herrscht noch
immer die Hof- und Militävkaim-arilla. Kein deut-
scher Proletarier darf dis Hand dazu bieten, Waf-
fen zu schmieden, die -der Reaktion in Rußland zum
Siege verhelfen sollen. Ich rufe die deutschen
Proletarier von dieser Stelle zur Revolu-
tion -auf. (Großer Lärm bei der Mehrheit;
Glocke des Präsidenten; Ordnungsruf).
Vizekanzler von Payer:
Der Abgeordnets Scheidemann hat erklärt, datz
dis sozialdemokratische Partei den Etat ablehnen
werde. Etwas ganz Neues ist das nicht für uns,
nur ausnahmsweise hat fa die Sozialdemokratie
einmal für den Etat gestimmt. Wir müssen das
zu ertragen suchen. Es ist im Kriege schwerer zu
ertragen, als im Frieden, wenn eins derartige
Demonstration gemacht wird. Es ist nur eine De-
monstration. die
kerne praktischen Folgen
haben kann. Wenn noch andere Parteien sich auf
denselben Standpunkt stellten, oder wenn heute
oder morgen der Etat abgelehnt würde, glauben
Sie, datz der Sache des Vaterlandes, des Volkes
oder der Freiheit damit einen Dienst getan,
würde? Dis Sozialdemokratie bandelt -aus Tak-
tik. Das mag sie halten, wie sie es für richtig
hält.
Der Abg. Schsidemann ist dann auf die Frie-
densfrage zu sprechen gekommen. Die Formulie-
rung unserer Friedensziele, die er gegeben Hat,
nämlich: ein Schlutz in Ehren und keine Benach-
teiligung Deutschlands bei den Friedensbedin-
gungen, das können wir ohne weiteres unterschrei-
ben. Ich glaube, wir sind über diese Formulie-
rung unsererseits schon hinausgegangen. (Sehr
richtig!) Nach meiner -Meinung wird der Frieden,
so wie die Dings sich fetzt gestaltet haben, in dem
Augenblick kämmen, in dem der
Kriegswille «ich Vernichtungswille unserer Gegner
gebrochen
sein wird, und ich glaube, so> sehr ich das Gegenteil
wünschen möchte, - datz alle Versuche, vorher
zum Frieden, den wir alle ersehnen, zu kommen,
stets ergebnislos bleiben werden. Wir müs-
sen warten, bis der Zeitpunkt gekommen sein
wird, an dem unsere Gegner sich innerlich gewan-
delt haben werden.

Zu Meinem aufrichtigsten Bedauern Hal
Scheidemann dann ein Bild von der Art und
Verhältnis zu der Reichsleitung gegeben, das nach
Weife von der Obersten Heeresleitung und ihrem
meiner Uoberzeugung falsch ist.
Es bekundet ein geringes Matz von Dankbar-
keit gegenüber der Obersten Heeresleitung, wenn
man in dieser Weise über sie urteilt. (Sehr rich-
tig!) Alle Meinungsverschiedenheiten in Ehren.
Auch die Oberste Heeresleitung ist nicht über Kri-
tik erhoben. Aber, wenn man sie kritisieren will,
dann soll man nicht vergessen, was die Oberste
Heeresleitung und das deutsche Heer unter ihre«
Leitung
für Deutschland geleistet
haben. Wenn man das vergißt, dann verletzt-
man die Gefühle sehr großer Teile des deutschen
Volkes, und wenn man das Verhältnis zwischen!
Heeresleitung und Reichsleitung so falsch schildert,
dann rüst man Beunruhigung im Volke hervor.
(Sehr richtig!) Wie kann man von einem militari '
schon Absolutismus reden, von Herrschsucht von
politischer Demagogie! Wir müssen -auch der Ober-
sten Heekesleitung, die uns zum Sieg und Frieden
bringen will, zugestehen, daß sie ihre Meinung
äußert, und zwar so deutlich, wie sie es für richtig
hält. Heeresleitung und Uvil-lsitung dürfen sich
nicht bekämpfen. Es gibt da nur einen
Weg: Sie beide müssen jederzeit bestrebt sein, sich
zu verständigen. (Beifall). Man -mutz inöglickffk
Zusammenhalten und alle Hindernisse beseitigen.
Wie kann man behaupten, datz die zivile Gewalt
vor der Obersten Heeresleitung kapituliert habe?
Wir bestehen -auf nuferer Meinung, soweit es not,
wendig ist, und haben das immer getan. Wir müs-
sen unsere Kraft zusammenraffen, um dis schwie-
rigen Fragen zu läsen und sie zu einem guten Ende
zu führen. Würden Sie vielleicht den Versuch
machen.
über den Kopf der Obersten Heeresleitung
hinweg
die äußere und innere Politik zu machen? Eine
solche Politik würde bald scheitern, eine solche
Probe wäre zum Nachteile des Vaterlandes.
Wir sind in der inneren Politik bemüht, dis
Gegensätze zu mildern, dis Schroffheit der Gegen-
sätze zu verringern. Wir kommen stückweise immer
vorwärts. Wir wollen, wie bisher, unseren Weg
gehen und versuchen, es so zu machen, wie es in»
allgemeinen Interesse nötig ist.
Wir wißen, daß dieser! Weg nicht zu einem« >
militärischen Despotismus und nicht zu einem Er»
oberungsfrieden führt, sondern, datz unsere Ar-
beit dem Verständigungsfrieden dient,
wie ihn. wenn auch nicht alle, so doch die weitaus
überwiegende Mehrheit dos Reichstages und die
Regierung gemeinsam wünschen. Wir bitten um
Ihren Beistand. Wir -werden nicht aufhören zu!
arbeiten, bis wir zum Siege und damit zum Frie-
den gekommen sind. (Beifall).
Abg. Graf Westarp (Kons.): Was uns dem
Frieden näher gebracht Hat, ist nicht die Politik !
der Sozialdemokraten und dis Friedensangebote .
sondern lediglich dis militärischen Erfolge
(Bravo). Die Regierung darf nicht "angesehen
werden als Vollzugsausschuß des Parlaments und
besonders der Sozialdemokratie. Wenn Scheidtz-
manns Reden längst vergessen sein werden, werden
Hindenburgs Taten noch lange im deutschen Volks >
weiterleben.
Abg. Dr, Thoma (Natl.): Unsere Feinds wollen ;
keinen Frieden, aus dem Deutschland mit Ehren
hervorgeht, Was deutsch war, mutz deutsch blei-
ben. Erklärt dies England, dann kommen wir
dem Frieden näher.
Abg. Scheidemann (Soz.): Wer hindert di«,
Auflösung des Abgeordnetenhauses? Wer hält :
-den Belagerungszustand aufrecht? Wer macht den
Schutz der Schutzhäftler illusorisch? Wer hat die -
Wiederkehr der litauischen Abordnung nach Berlin
verboten? Wer hat die Rede Küblmanns zensiert? :
Alles die Oberste Heeresleitung. Zum verständnis-
vollen Zusammenarbeiten mit der Regierung ist
volle Klarheit in der Friedensfrägs notwendig.
Abg. Ledebour (U. Soz.): Wer Lat das Aw
siedlungswerk in Kurland kommandiert? Dis '
Oberste Heeresverwaltung. Das ist ein Eingriff !
in die Selbstverwaltung, Helfen kann allein ein :
allgemeiner Massenstreik..
Damit schließt die allgemeine Aussprache. In
der Einzelerörterung wird der Etat des Reichs- ?
tags ohne Aussprache genehmigt.


Das Meer ist der Raum der Hoffnung
Und der Zufälle launisch Reich.
Schiller.
Gespenster des Glücks
Roman von Alfred Maderno.
(1. Fortsetzung.)
-Mehrere Jahre hindurch pflegte dis Familie
Radomann den April an den oiberitalienischein
Seen oder an einer der Rivieren zu verbringen,
bis der Geheimrat Lurch Zufall einmal auch etwas
anderes kennen lernte, was ihn. den begeisterten
Naturfreund, -gleich vollends gefangen nahm:
Frühling in Baden-Baden.
Das war vor vier Jahren gewesen, gerade als
sich der Geheimrat anschickte, mit seiner Familie
dach Rapallo zu reisen. Da hatte er unmittelbar
vor der Abreise die Nachricht erhalten, datz ein
berühmter Fachgenosse und persönlicher Bekannter
jvon ihm. der zwei Jahre in Australien seinen
Forschungen gelebt hatte, nack Europa zurück-
gekehrt sei und sich in Baden-Baden aufhalte, um
sich verschiedener Folgen der durchgemachten Stra-
pazen zu entledigen.
Da hatte der Geheimrat dem Kollegen und sei-
nem eigenen Interesse zuliebe die Reise in Ba-
den-Baden für zwei Tage unterbrochen und durch
kiesen Zufall den Schwarzwaldfrühling kennen ge-
lernt. der sich gerade in jenem Jahre frühzeitig
den Sieg über den Bergwinter erfochten hatte.
Am liebsten wären sie zu dritt gleich dageblie-
ben. Die Landschaft, die sie früher einmal zu ei-
Uer anderen Jahreszeit und in anderer Beleuch-
tung gesehen Hatten, machte auf sie den Eindruck
einer unbekannten, von der Natur ganz besonders
bevorzugten Gegend, bei deren Anblick un-
flüchtigem Genuß sie dis alljährliche FrüUings-
reise nach dem Süden beinahe als lästige' Ge-
wohnheit empfanden.
Diesmal konnten sie nun nicht mehr anders:
sie mutzten nach Ablauf der Leiden Tose Mrs
Reife fort'btzsn, sprachen sedock unterwegs und
auch in Rapallo noch sehr häufig davon-, es im

nächsten Jähre mit Baden-Baden zu versuchen.
Sie hielten Wort und der Schwarzwaldfrühling
enttäuschte sie nicht.
Nun wollten sie ihm -auch treu bleiben und ge-
standen einander das zweite Mal schon ein, daß
die Freuds, mit der sie den Frühlingswochen in
Baden-Baden entgegensahen, inniger, reiner und
darum beglückender war als die Erwartung des
Tages, an dem sie bisher dis Koffer Wr die Fahrt
nach dem Süden hätten zur Bahn schaffen laßen.
Der Geheimrat vertraute sich einmal ge-
sprächsweise einem Bekannten am der als großer
Reisender, jedoch nur innerhalb der schwarz-weiß-
roten und schwarz-gelben Grenzpfähle, bekannt
war, und von dem man sich erzählte, datz er das
Vorhandensein einer Grenze zwischen Bayern und
Tirol bestritt, wobei er ziemlich grob werden
konnte.
Dieser deutsche Wandersmann zuckte bei des
Geheimrats Worten nur heftig mit den Achseln.
»Das kann man viel einfacher sagen, weil es
ein ganz natürlich Ding ist; für mich wenigstens.
In Italien oder dort herum, bist du -ein Fremder,
ein Gast, und weißt nicht recht, mit welchen Blicken
man dich betrachtet. Hier in Deutschland oder im
deutschsprachigen Oesterreich drüben. List du da-
heim, und das beginnst du eben zu fühlen. Nur
das ist es. Empfindsles ist dabei nicht vonnöten,
brauchen wir Deutschs überhaupt nicht!" Spruchs
und ging nach Hause, wo er sich den Rucksack um-
hing unr wieder in einer anderen Richtung quer
durch sein Vaterland zu wandern.
Der Geheimrat gab ihm reckt, im stillen und
vor anderen. Hier bist du daheim- Ja, das
fühlte er in Baden-Baden nun neuerdings, wäh-
rend er sich anfchickte. daselbst an der Seite seiner
Gattin und Tochter ein paar Wochen des dritten
Frühlings zu genießen.
Dazu war ein Bagrützungsspaziersang in der
Umgebung des Hotels unbedingt -erforderlich.
Schöner konnte man in Baden-Baden kaum,
wohnen, als hier oben auf dem höchsten- Punkts
der von der Lichtentaler Allee behaglich Herauf-
steigenden Fremersbergstratze. Di« hier erbauten
Hotels erfreuten' sich auch der größten Beliebtheit
bei jenen, die um des Frühlings willen nach Ba-
den-Baden kamen und nur an verregneten Nach-

mittagen sich in den Räumen des Kurhauses um-
sähen.
Wenn die Sonne lachte, dann wirbelten dre
Fußgänger den Staub -der Licktentaler Alles auf.
über deren Fahrdamm dis vornehmsten Wagen
dahinrollten, vor denen man die prachtvollsten
Pferde bewundern konnte. Dis Insassen der Kut-
schen geizten aber auch nicht mit Reichtum und
seinem Benehmen, sie wußten, was sie den An-
lagen durch die sie fuhren, schuldig waren, und
was die Fußgänger und behaglichem, Beobachter
auf den zahlreichen Bänken von ihnen zu erwarten
berechtigt waren. Auch im Kurhause Lei Konzer-
ten und Reunionen unterschied sich die Gesellschaft
in zwei Gruppen: in eine, die etwas Lie fn
wollte und mußte, und in die anders, die dafür,
datz sie die teure Kurtars erlegte, etwas zu sehen
beanspruchte. Dies war die billigere Art des Ver-
gnügens, die Lei weitem nicht ko aufreibende. Im
Kurpark und in den Anlagen zu beiden Seiten
der Allee da begann es aber schon und stahl sich
einem, der auf Lis Baden-Baden umlagernden
Höhen emporzusteigen anfing, ans Herz und in die
Hand: der Blütenzäuber des deutschen Frühlings.
Meder und Goldregen bildeten breite Kaska-
den von Duft und bestrickender Farbenmischung
rings um die hohen Mauern des Neuem Schloßes:
junges Grün wies den vielgepriesenen Weg durch
lenzliche Waldpracht hinauf zur Ruine Höhen-
baden; dem Fremersberg zu wanderten dis
blühenden Obstbäume in festlich prangenden Scha-
ren. dis Tiefe des Gunzenbacktals erfüllte ihr
VMengeflimmer, und die Wälder des Merkurs
sahen auf die samftgewölbtsn Blütenkuppeln der
FalkenHalde und -es Rotenbachtales nieder.
Weiter der Blick, je höher man stieg; -andächti-
der sie Stille, je ferner dis Fremde der ewigen
Feststadt; befreiter das Atmen, je höher die Wi-
pfel sich hoben, und am ergreifendsten das wohl
tönende Rauschen der Wälder, wo sich die Blicke
in einsame Schwarzwaldgründs auft-aten.
Die Wege, die an solche Plätze führten, liebte
der Geheimrat ganz besonders Wenn er wollte,
so gingen sie all« von dem Hotel aus. in dem er
wohnte, und das er um dieses Vorzuges willen
ebenso liebte, wie der geradezu häuslichen Behag-
lichkeit wegen, die in seinen Räumen Herrschte.

Der Geheimrat mit Frau und Tochter wären
Stammgäste dieses alten Hauses geworden un-
wohlbekannte Frühlingswandsrer auf den stillen
Waldwegen, die einmal rechts, das andere Mak
links herum über das großartige Panorama de«
„Felsen" nach döm gemeinsamen Lieblingspunkts,
der Murg, führten.
Am späten Nachmittag füllte die Sonne die -
Sprünge im Gestein der „Felsen" mit rotem Gold; f
weit drüben zogen die Llaßblauen Ketten der Vo-
gesen. und mitten auf der RLeinöbene. aus veil-
Henfarbensn Lichtwosen, die sie übevfulteten-
ragte das Straßburger Münster.
Zu Füßen der Murg, die den naben, sich stolz
aufschwingenden waldigen Gipfel krönte, lag
Steinbach, die Heimat des großen geheimnisvol-
len Dombaum-eistsrs.
Waldeinwärts dann die Schwarzwaldberge. dis
Baden-Baden sein eigen nennt, die Hornisgrinde
und Badener Höhe, ob -dieser Name, ob jener,
schweigende Wälder mit auUeucht-enden Matten
dazwischen, ferner Kuckucksruf, hock oben kreisend«
Vögel, den Leib, dis Schwingen badend im roten
S-pätlichte.
Der Geheimrat wurde nicht müde, zu schauen
und zu schauen. Wie hatte er sich Mf dieses Ziel
gefreut, auf diesen ersten Spaziergang in seinem'
ihm unentbehrlich gewordenen Baden-Baden.
Und wenn sein Blick in stummer Mage über
dis Gesichter seiner Gattin und Tochter glitt. Laust
las er dieselbe wunschl-ose Zufriedenheit in ihren
Mienen, so reine Freude, wie sie kick in ihnen irst
fremden Süden niemals widergespiegelt Hatte.
Doch hier waren sie auch daheim
» (Fortsetzung folgt).
Neues aus aller Welt
* Zuchthaus für einen Treibriemendieb. Das
Landgericht in Amberg hat einen Fabrikarbeiter f
wegen Treibriemendieb st ahls zu sechs
Jahren Zuchthaus verurteilt.
* Freie Bahn dem Tüchtigen! Wie aus dem
Dorfe Gottsbüren am ReiEardswald (Caßelk
gemeldet wird, R der dortige langjährige Orts-
diener jetzt zum Bürgermeister der Ge-
meinde gewählt worden. , ,

BASS
 
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