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Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

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Sei e 2

Heidelberger Zeitung

Montag, oen --2. Full rtziS

Fernsprecher Nr. 82

Nr. Lvd

rrrvagcn und Kslonnec, erfolgre'ch ein. Wir schos-
sen gestern 2t feindliche Flugzeuge und 3
Fesselballone ab. Hauptmann Berthold errang
«inen 39., Oberleutnant Lärzer seinen 28. und
Leutnant Billik seinen 2t. Luftsteg.
In der Champagne entwickelten sich zeitweilig
örtliche Jnfanteriegefechte.
Der Erste Generalquartiermeister:
Ludendorff.
Der deutsche AbendberichL
WTB. Berlin, 21. Juli abends. (Amtlich.)
An der Schlachtfront zwischen Aisne und
Marne find französische Angriffe ge-
scheitert. Am Abend haben sich zwischen Aisne
und Ourcq neue Kämpfe entwickelt.
Der Zweck des Marne-
Uebergangs
Berlin, 2». Juli. Die glänzende Ausführung
des abermaligen Uferwechsels über den breiten
Strom, dtx unbemerkt vom Feinde vor sich sing,
Hellt eine neue hervorragende Leistung
der deutschen Führung und Truppen dar.
Mit dem Vorstoß auf das südliche Marne-Ufer
waren verschiedene Absichten der deut-
schen obersten Führung verbunden, die in vollem
Umfange erreicht wurden. Zunächst galt es,
durch den Userwechsel, der trotz zähester feindlicher
Gegenwehr in glänzendster Weise gelang, eine
Verbreiterung der Angriffsbasis für
den neuen Vorstotz beiderseits Reims »u schaffen
und starke feindliche Kräfte anzuziehen und zu fes-
seln. Die feindliche Führung setzte denn auch so-
fort an dieser Stelle starke Reserve» ein und un-
ternahm bereits am ersten Tage blutige, jedoch er-
gebnislose Gegenangriffe. Während sich hier an
der neuen Marnefront der Feind verblutete, mutzte
er den Deutschen den groben taktischen Er-
folg östlich Reims lassen, wo die beherrschen-
den, in den Cbampagneschlachten der Jahre 1913
und 1917 von den Franzosen wild umstrittenen Hö-
hen südlich der Linie Nauroy—Moronvillers von
uns genommen wurden. Der Borststz auf das süd-
liche Marneufer in seiner ganzen Bedrohlichkeit
kür den Feind löste ferner endlich die lang
erwartete französisch« Gegenoffen-
sive aus. die Fach zwischen der Aisne und nord-
westlich von Chateau-Thierry ansetzte. Sie endete,
trotz zweier Kampftage voller rücksichtslosester
Kraftanstrengungen und blutiger Vergeudung mit
einem Mißerfolg für den Entente-Generalissi-
mus. der den angestrebten Durchbruch ver-
eitelt sah. Damit war die Aufgabe der auf
dem südlichen Marneufer kämpfenden deutschen
Truppen voll gelöst. Ein weiteres Fest-
balten de» dort gewonnenen Linie wurde un-
nötig. Die deutsche Führung konnte nunmehr die
SLergegangenen Truppen wieder auf das Nordufer
zu neuen wichtigeren Aufgaben zurücknehmsn.
Zur französischen
Gegenoffensive
Bo« unserem Kriegsberichterstatter.
Westen, 19. Juli.
Ich war geistern den ganzen Tag im Gefechtsbild
rings uni Reims und sah zuerst vom Norden die
zertrümmerte Stadt in merkwürdig unheimlichem
Schweigen vor mir liegen. Während im Westen
die ArtillerieMacht anscheinend in erneut großer
Heftigkeit entbrannt war. Als ich den linken Flü-
gel unserer Front südwestlich Reims aussuchte, er-
fuhr ich von der losgebrochenen französischen Ge-
genoffensive gegen den Raum Soistons—EHateau-
Thierr,.
In früher Morgenstunde war der Franzose, nach
Mitteilung von Gefangenen, verstärkt von größe-
ren amerikanischen Einheiten, auf einem Abschnitt
von über 40 Kilometer nach kurzer, aber rusam-
HöZKs«OV«««» «SSSSKKSSS-SSSKH
Man hat nur dann ein Herz, — wenn maN
U eS hat für alle. Hebbel w
Gespenster des Glücks
Roman von Alfred Maderno,
(13. Fortsetzung)
..Du hast Gesellschaft gehabt?" Rademann nickte
seiner Tochter zu und begrüßte den Leutnant.
Nova atmete auf. Kein Ton in der Stimme
ihres Vaters verriet, daß es Arm unangenehm
war sie in Lenzbergs Begleitung ««getroffen zu
haben. /
„Einander so nahe den Hotels zu treffen, ist
lein allzu großer Zufall," bemerkte Lenzberg unbe-
fangen.
..Wir wollen nach der Murg," sagte setzt Frau
Rademann.
„Ja. da Mir ich noch nicht. Di« muß ich jetzt
doch auch einmal kennen lernen".
„Können Sie heute noch halben, Herr Leutnant.
Machen Sie kehrt und kommen Sie mit uns", lud
der Geheimrat Lenzberg ein. „Ihren Nachmit-
'agskassee können iSie auch dort oben trinken.
Es gibt leider diese Möglichkeit droben".
Lenzberg ließ sich nicht zweimal auffordern.
„Wie gerne komme ich mit," stand in dem
Mick geschrieben, den er Nora unauffällig Mwarf.
Diesmal wußte er, daß sie ihn nicht übersehen
hatte.
Neuntes Kapitel.
Ohne sich zu verabreden, trafen sich Nora und
der Leutnant nun täglich an der Bank überm
Schirmhof. während Noras Eitern ihre Mittags-
ruhe hielten.
Als die Eltern Nora am ersten und auch am
Meilen Tage nachher in Begleitung desOffiziers
amgetrosfen hatten, hielt es der Geheimrat für
feine Pflicht, seine Gattin auf diese Ersch-einung
aufmerksam zu machen. Im stillen wunderte er
sich darüber, daß nicht bereits sie das Bedürfnis
gefühlt hatte, ihm gegenüber wenigstens eine An-
deutung fallen zu lassen.
Nachdem Radomann während der Abendmahl-

General- und Mmiralftabsberichte

Feindliche Fliegerangriffe auf
süddeutsche Städte
WTB. Karlsruhe,^ 20. Juli. Vergangene
Nacht wurden Mannheim und Ludwigs-
hafen wiederum von feindlichen Fliegern ange-
griffen. Der durch Bombenabwürfe angerichtete
Schaden ist gering. Personen wurden nicht verletzt.
Feindliche Flieger, die heute früh Offenburg
auzugreifen suchten, wurden durch kräftige Abwehr
gehindert, eine gröbere Anzahl Bomben abzuwer-
fen. Die wenigen gefallenen BonlLen haben kei-
nerlei Schaden angerrchtet. Mindestens ein
Flugzeug wurde abgeschossen.
WTB. Karlsruhe, 21. Juli. Gestern vor-
mittag wurde Oberndorf erneut von feind-
lichen Fliegern mit Bomben angegriffen. Zwei
englische Flugzeuge sind durch unsere Ab-
wehrformationen zum Absturz gebracht wor-
den. Durch hie abgeworfeneil Bomben wurden nur
einige Wohngebäude getroffen, doch ist der Scha-
den nicht erheblich. Personen sind dank dem ein-
sichtsvollen Verhalten de« Bevölkerung nicht ver-
letzt worden.
Die Wiener Tagesberichte
Wien, 20. Juli. Amtlich ,vird verlautbart:
An der Tiroler Westfront lebte gestern die
Kampftätigkeit erheblich auf. Im Adamello-
Gebiet wurden mehrere italienische Vorstöße ab,
gewiesen. Auf dem Monte Pavento mutzte
dem Feind ein vorgeschobener Stützpunkt überlassen
werden.
InAlbanien kam es heute früh nördlich von
Beratzu neuen Kämpfen, die noch fortdauern.
Der Chef des Eeneralstabs.
Wien, 21. Juli. Amtlich wird verlautbart:
Auf dem Zugna-Rücken wurden feindliche
Sturmtruppen durch Feuer, teilweise im Handgra-
natenkamvfe, zurückgetrieben.
Bei Asiago scheiterten englische Vorstöße.

Die Kämpfe in Albanien dehnten sich allmäh-
lich auf dem ganzen Abschnitt zwischen dem oberen
Devoli-Tale und dem Meere aus.
Der Chef des Generalstabes.
Der U-VooLskrieg
Itz VOV Tonnen
WTB. Berlin, 20. Juli. (Amtlich.) Im Mit-
telmeer haben unsere U-Boote 3 Dampfer von
rund 14 Ovü BRT. versenkt.
Der Chef des Admiralstabs der Marine.
Ein 13000 Tonnen Dampfer versenkt
Washington, 20. Juli. (Reuter.) Das Schifff-
fahrtsamt teilt uns mit, daß das Schiss „Westcwe",
5000 T. groß, am 11. JE in den europäischen Go-
wässern torpediert worden ist. Es sank. 82 Per-
sonen wurden gereitet, 10 Personen, darunter 2
Offiziere, werden vermißt.
Der Cunard-Dampfsr „Carpathia", 13 703 T.
groß, der nach dem Auslande bestimmt war, ist am
17. Juli im Atlantischen Ozean torpediert
worden. Die „Ccupathia" hatte weder Passagiere
noch Ladung. Fünf Mann der Besatzung wurden
im Maschinenraum durch die Erplosion des Torpe-
dos getötet. Die übrige Mannschaft, etwa 50
Mann, stieg in die Boote und wurde zwei Stunden
später geborgen.
Ferner meldet Reuter: Das englische
Transportschiff „Barigan", mit invali-
den Australiern nach Australien unterwegs, wurde
am 18. Juli torpediert und sank. Am 16.
Juli wurde eine britische Schaluppe torpediert und
versenkt, nur 12 Mann wurden gereitet.
Ei« englisches Kanonenboot versenkt
Berlin, 21. Juli, Am 16. Juli wurde laut dem
L.-A. von einem deutschen U-Boot nach einer Reu-
termeldung ein englisches Kanonenboot
versenk; von der Besatzung wurden 122 Mann ge-
reitet.

Ein großer Mrvehrerfolg
Die Schlacht am 19. Jttli

mengefaßter Artillerievorbereitung, unter Zuhilfe-
nahme eines verschwenderischen Easbeschusses auf
unsere vordersten Jnfanterielinien, unter Einsatz
von Schlachtflicgern und zahlreichen Tanküeschwa-
dcrn zum Angriff vorgeschritten. Er ü°bsrrascht e
uns keineswegs mit dieser wohlvorbereiteten
und weitgedachten Aktion, denn die Teilangrisfe in
den Tagen vorher aus dem Walde von Villers-
Gotterets heraus verrieten bereits seins Absichten.
Schon in den Mittagsstunden konnte man aus den
einlauffenden Meldungen die Gewißheit entnehmen,
daß der gewaltige Stoß in der Hauptsache auffge-
saNgen und zum Stehen gebracht war.
Demgegenüber hat es nicht viel zu besagen, daß
wir einen Streifen von durchweg fünf Kilo-
meter Tiefe verloren. Ich war persönlich
MgeNzougs, wie in langen Zügen von Lastkraft-
wagen unsere bereitstehenden Reserven schleunigst
an das neue Schlachtfeld herangefahren wurden.
Die Stimmung dieser Truppen war die allerbeste.
Ueberall hat sich das Gefühl vertieft, daß die
Kämpfe, die mit dem 15. Juli anhuven, die große
Entscheidung Les Krieges bringen muffen.
Unsere Erfolge haben den Fein d vor eine
neue Aufgabe gestellt. Es ist selbstverständ-
lich, daß er eifrigst bemüht sein mutzte, uns in kür-
zester Zeit gleichfalls vor eine neue Lage Lu stellen.
Wir haben uns durch sie keineswegs verblüffen
lasten. Was wichtiger ist: Mr werden uns durch

sie unter keinen Umständen in unseren getroffenen
Entschlüssen beeinflussen lasten. Unsere Oberste
Heeresleitung weiß sich nach wie vor im vollen
Besitz der militärischen Handlungs-
freiheit. Das ist und bleibt die Hauptsache,
nicht daß wir einige vorgezogene Geschütze und Ge-
fangene im Vorfelde unserer gestaffelten Kräfte
und zum Eingreifen bereitstehenden Reserven ver-
loren. di
Wir haben den gestrigen Tag lediglich als
einen Teil des großen Ringens, himunsymen,
in dem der Gegner wiederum einen guten Teil sei-
ner frischen Reserven verbrauchte. Unsere Heimat
bat es noch immer nicht verlernt, an erfolgreiche
Ereignisse eines Tages sogleich weitausholende Er-
wartungen zu knüpfen und zu prophezeien. Man
hält sich schon bester an die tatsächlichen Verhält-
nisse, die jeden Tag durch andere, neue, abgelöst
werden können.
Alfred Richard Meyer, Kriegsberichterst.
* Der Khedios von Aegypten reiste am Sonn-
tag von Konstantinopel nach Deutschland ab-
* Die ungarische Wahlreform ist am Samstag
vom Abgeordnetenhaus mit großer Mehrheit an-
genommen worden.
* Fliegerleutnant Hans Kirschstein. Inhaber
des Ordens Pour le Merits, der älteste Sohn des
Posener Regierungspräsidenten, ist den Heldentod
gestorben. Er hat 27 feindliche Flugzeuge abge-
schosten. .

Berlin, 20. Juli. Der 19. Juli, der zweite Tag
der verlustreichen Fochschen Gegenoffensive, brachte
den deutschen Truppen wieder einen großen
Abwehr erfolg.
Unter Aufbietung aller Kräfte versuchte der
Feind den ihm am Vortage nach schwersten Blut-
opfern mißlungenen Durchbruch zu erzwingen. Be-
reits um 6 Uhr vormittags kündete heftiges
Trommelfeuer die Wiederholung der feind-
lichen Durchbruchsversuche am. Tieffgegliedert mit
frischen Kräften und mit zahlreichen Tankgeschwa-
dern rannte der Feind gegen unsere Limen zwi-
schen Aisne und nordwestlich Chateau-
Thierry von neuem an. .'Mit einer Verschwen-
dung von Menschenmatcrial. wie seinerzeit Niko-
lai Nikolajewitsch und Brussilow, trieb Foch im-
mer wieder seine Kturmtruppen in das mörde-
rische deutsche Feuer hinein, galt es doch Ur den
Ententegenevalissimus aus innerpolitischen und
perönlichen Prestigegründen, hier unter allen Um-
ständen einen Erfolg großen Stils zu erringen.
Unser zusammengefatztes Artillerieffeuer schlug
verheerend in die Reihen der anstürmenden
Feinde, ost mit ausgezeichneter Flankenwirkung.
Auf allen rückwärtigen Straßen führte Foch
ständig neue Reserven heran. Auch diese
faßte vernichtend unser gut liegendes Fernfeuer.
Unter den feindlichen Truppenanswmmliungem Ve-
reitstellMgen und Kolonnen räumten unsere
Schlachtflieger durch fortgesetzte Bombenabwürfe
entsetzlich auf. Hierbei wurden zahlreiche in
Geschwadern versammelte Tanks außer Gefecht ge-
setzt. Feindliche Märschkolonnnen stoben flucht-
artig auseinander..
Der Morgenansturm des Feindes war um die
Mittagszeit teils im Feuer vor unseren Linien
teils nach heftigem Ringen im Gegenstoß zum
Scheitern gebracht. Vor der ganzen Front lie-
gen zahlreiche zerschossene Tanks müh er.
Im Verlaufe der Nachmittagsstunden folgte ein
von frischen Kräften geführter Angriff, de-r vör
unseren Linien vollständig zusammen-
brach. Um 6.30 Uhr abends lag wiederum.
Trommelfeuer ans unseren südlich der Aisne ge-
haltenen Linien. Der von uns rechtzeitig erkannte
Angriff brach ebenfalls unter schwersten Feindver-
lusten zusammen.
Auch auf der Front weiter südlich bis nord-
westlich Chateau - Thierry setzten sich am
Nachmittag die Anstrengungen des Feindes, unsere
Linien zu durchbrechen, fort. Hier richtete sich
nachhaltigster feindlicher Druck, vor allem gegen
unsere Linien bei Vil-lemontoire. Durch
kraftvollen Gegenangriff wurde der Feind über
leine Ausgangsstellungen zurücksefagt. Auch
südlich des Ourcq, wie' ebenfalls südlich des Llig-
non-Baches, waren alle Angriffsbswegungen des
Feindes umsonst.. Das Ergebnis des gestrigen
Tages, an dem der Feind andauernd von stets
frisch nachgezogenen Kräften geführte Angriffs
auf der etwa 40 Kilometer langen Angriffsfrvnt
zu immer neuen Durchbruchsvevfuchsn ansstzte. wa-
ren für ihn schwerste Verluste «« Me n ¬
schenmaterial. ohne daß er im entferntesten seinen
beabsichtigten Dürchbruchszielen nahekam. Die
Größe des Zieles, das sich Fock gesteckt hatte, geht
-aus der Bereitstellung starker berittener
Kavallerie - Abteilungen hervor.
Der 19. Juli, als einer der blutigsten Tag«
selbst dieses für die Entente so verlustreichen Iah-
res, brachte den Feind um all seine Hoff-
nungen und versagte dem EntentegeneraÄsst-mus
den sehnlichst erwarteten Erfolg.
Feindliche Berichte
Französischer Bericht vom 19. Juli, nachmittags.
Zwischen der Aisne und Marne erzielten dis
französischen Truppen, die den Widerstand del
Deutschen trotz deren neu herangeführten Reser-
ven überwunden haben, gestern am Ende des Ta-
ges merklichen Eeländegewinn, der die Zahl deck
Gefangenen erhöhte. Die Schlacht dauert mit Er-:
bitterung fort. Auf der ganzen Front westlich
von Reims führten die Franzosen gestern leb-
hafte Angriffe aus. Im Laufe dieser Aktion brach-
ten die Franzosen vier Geschütze, 30 Maschinen-

zeit immer einsilbiger geworden war. was sonst
nur zu Anten vorzukommen pflegte, in denen dem
Gelehrten seine Studien regelmäßig aus seinen
Arbeitsräumen nachzuschleichen liebten, wartete
der Geheimrat droben im Hotelzimmer, das er mit
seiner Gemahlin gemeinsam bewohnte, noch eine
kleine Weile, ob seine Frau denn nicht doch noch
auf Nora und Herrn Lenzberg zu sprechen kommen
werde, und begann, als er diese Hoffnung schließ-
lich aufgsben zu muffen glaubte, selbst, seinem
Herzen Erleichterung zu verschaffen.
„Was hältst du von Herrn Lenzberg. Hermine?"
Rademann blickte dabei von seiner Zeitung, die
er vorgenommen hatte, um als die Ruhe selbst zu
erscheinen, nicht auf und konnte daher nicht sehen,
daß seine Frau einen erstaunten Blick auff ihn ge-
richtet hielt. _
Frau Hermine hatte ihren Mann mißver-
standen.
Wenn der Geheimrat der Meinung war. daß
seine Gattin sich darüber noch keine Gedanken ge-
macht habe, Nora dreimal hintereinander mit
Herrn Lenzberg anzutreffen, so befand er sich in ei-
nem gewaltigen Irrtum. In dMem Falle wäre
sie wohl eine Mutter von höchst zweifelhafter Ge-
wissenhaftigkeit gewesen.
Was sich Frau Radsmann gedacht, und warum
sie bisher geschwiegen hatte, das erfuhr der Ge-
heimrat alsbald aus den Worten seiner Gattin,
dis sie ihrem erstaunten Blick folgen ließ. Dabei
war es kaum ihre Schuld, daß sie von ihrem Miß-
verständnis ausging, das in der Meinung bestand,
Radsmann beobachtete Lenzbergs Interests für
Nora mit heimlicher wohlwollender Aufmerksam-
keit.
„Was ich von Herrn Lenzberg halte. Richard?
Ich habe den Herrn Leutnant nur von jene« Sei-
ten kennen gelernt, dis den besten Eindruck auff
mich machen konnten".
„Gut. darin gehe ick mit dir einig. Doch, was
sagst du dazu, daß unser Mädel an Herrn Lenz-
bergs Gesellschaft großen Gefallen zu finden
scheint?" Der Geheimrat faltete dis Zeitung mit
übertriebener Genauigkeit zusammen, blickte aber,
während er sie ans der Hand leäte, noch immer
nicht auf.
„Was ich dazu sag«?" kragte Frau Hermine.

„Ich warte seit gestern, zum mindesten seit heute,
wo wir die beiden zum dritten Male beisammen
trafen, darMf, zu hören, wie du über unsere Wahr-
nehmung denkst. Daß du daran nickt vorbeigesehen
hast, geht daraus hervor, daß du jetzt davon zu
sprechen anfinsst".
Rademann hatte seine Brille abgenommen und
scheuerte seine Gläser mit Ausdauer und schein-
barer Gelastenheit.
„Ja, meine Liebe, schließlich mußte doch eins
davon anfangen. Ich wartete nämlich auch. Nur
scheine ich nicht über so viel Geduld zu verfügen
wie Äu."
„Da irrst du dich, bester Richard. Es war nur
deine Pflicht, zuerst davon zu sprechen".
Da mutzte der Geheimrat aber doch zu seiner
Frau aufblicken. Er tat dies mit einem Ruck, der
die llebsrraschung. die aus seiner Erwiderung
klang, noch besonders veranschaulichte.
„Meine Pflicht, Hermine?"
„Gewitz, Mein Bester." sprach Frau Rademann
sehr ruhig.
„Verzech, daß ich mich vergaß und zu laut
wurde," bat ihr Gatte. „Da tritt nämlich etwas
Neues an mich heran, und das vermag so ein al-
ter Mann wie ich wohl nickt im Augenblick zu
durchschauen. Wenn da wirklich eine Pflicht vor-
liegt. eine, die auf mich entfällt, so mutzt du mir
Zeit lasten, mich an den Gedanken zu gewöhnen,
daß jetzt neue Pflichten unserem Kinde gegenüber
an uns herantreten. Da vermag ich in erster
Stunde, Noch nicht mit unbedingter sSickerheit fest-
zustellen, was deine und was meine Pflicht ist.
Meine Pflicht also, sagst du, war es. davon anzu-
fangen? Erkläre mir das bitte! Denn einmal an-
geleitet — und dazu ist eine Frau wohl vonnöten
— werde ich mich in meine neue Aufgabe voraus-
sichtlich bald hineinfinden".
„Das hoffe ich auch und um so mehr, als der
Fall kein Unikum darstellt, und auch keine Ver-
wicklungen auftveist, Du hast uns Herrn Lenz-
berg gebracht. Du hietzest ihn, an unseren Spazier-
gängen teilnehmen; auch dann noch, als wir Nora
allein in seiner Gesellschaft ««getroffen hatten.
Folglich war ich nicht ga^ im Unrecht zu glauben,
daß die Herr Lenzberg so gut gefällt —
„Uni ihn mir zum Schwiegersohn zu erziehen?"

fiel der Geheimrat seiner Frau ins Mort. „Unk
von dieser Absicht hätte ich dir. Noras Mütter,
keine Silbe gesagt?".
„Lieber Richard, du sagtest eben, daß neu«
Pfflickten, neue Ausgaben an uns herantreten.
Latz bitte auch mir dasselbe Recht, das du für dich
in Anspruch nimmst, und laß auch mich einmal
sicheren Boden gewinnen. Wir sind ia bereits um
ein gutes Stück vorwärts gekommen und werde»
uns bald vollkommen verstehen. Wir wollen dabei
keine lange Reden Halten, sondern sogleich den
Kern zu fassen trachten. Herr Lenzberg wäre dil
als Schwiegersohn also nicht willkommen?"
Der Geheimrat riß die Augen aus und poltertk
sich im stillen ein paar anerkennens Worte voll
der ,eele herunter, Wie kam feine Frau dazu, seit
Gepisten gleich mit einer Negation zu berenneni
Aber recht hatte sie. mitten ins Schwarze getrof-
fen. Doch nur keine langen Reden. Rademamk
bekannte diese Wahrheit denn auch ganz sachlich
und kurz. Die kleine Pause, die er hatte ein-
treten lasten, schrieb seine Frau gewitz seinei,
Pflicht gut, sich den Fall zu überlegen.
„Nein, Hermine, so sehr ich den Offizier
schätze, als Bewerber um ünser Kind ff'nde er bek
mir verschlossene Türen".
„Und aus welchem Grunde?"
„Erlaube, ehe ich darauf antworte, die Frage-
ob du in Herrn Lenzberg den Mann siehst, den d<
dir als Gatten für dein einziges Kind wünschst!
Der dir die unbedingte Sicherheit für den dauern-
den Bestand des Lebensslücks unserer Tochter dar
stellt?"
„Nein, Richard. Und ich spreche dieses Nein uN
so fester, als ich bewundere, wie richtig du deini
Worte soeben zu wählen wutztest".
„Das geschah ohne Absicht. Ich glaube vielmehr,
Latz wir beide, aus ein und demselben Grunde ge-
gen eine Verbindung Noras mit Herrn Lenzberg
wären, und also meine Worte gerade deshalb ei-
nen tieferen Eindruck auf dick machen konnten.
Und darum: so Hoch ich diesen Beruf, dem nur
ganze Männer angehören können, auch achte, mein
Kind könnte ein Seemann nickt zur Frau bekom-
men. Was ist das für eine Ehe, wenn zwRcks"
den Gatten die Unendlichkeit des Ozeans liegt?
Denkst du aiiders. Hermine?"
 
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