Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55371#0236

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Seite 2

Heidelberger Zeitung

Montag, den 19. August 1918

Fernsprecher Nr. 82 und 182

Nr. 192

tschechischen Volke, noch viel weniger aber von der
hur in der Phantasie der Entente existierenden
^checho-slowakischen Ration irgend ein Mandat er.
halten Haden. Gerade so widersinnig ist es,
diesen Ausschuß als Bevollmächtigten der rukünf-
tigen, also heute nicht existierenden Regierung hin-
sustellen. Was die sogenannte tschecho-slowakische
Armee betrifft, so kann diese einen Bestandteil des
ikntenteheeres -bilden, acker gewiß nicht als ein
Verbündeter der Entente im völkerrechtlichen Sinne
gelten. Es ist uns wohl bekannt, daß nur ein g e-
ringer Bruchteil der tschecho-slowcrkischen
Armee österreichische oder gar ungarische Staatsan-
gehörige slawischer Sprache sind. Dies« Treu-
iund Eidbrüchigen werden trotz aller Aner-
kennung von der Entente von uns als Hochver-
räter betrachtet und behandelt werden-.
Es kann nicht geduldet werden, daß ganze Völker,
die -ilhr-cn Pflichten als österreichische oder unga-
rische Staatsbürger stets nachkamen und deren
Söhne sich im Verbände der Lsterreichisch-ungar.
Armee tapfer gegen die Entente schlugen, durch
Ähnliche Mittel wie die der amtlichen englischen
Erklärung verdächtigt werden. Die österr.-ungar.
Regierung behält sichweitereSchrittein die-
ser Angelegenheit vor."
Diese ruhige, aber auch feste Erklärung fft sehr
begrüßenswert!
Wilson folgt England
Der Progres de Lyon meldet aus Newyork: Die
Erklärung der amerikanischen Regierung, durch die
Sie tschecho-slowakische Nation zu einem alliierten
Lande erklärt werden soll, wird für das Ende
her Woche erwartet. Wilson hatte hierüber
mehrere Besprechungen mit dem Staatssekretär
öansing.
Rußland und die Entente
Bruch Amerikas mit der Sowjet-
Regierung
Haag, 17. Aug. Die Times meldet aus New-
Sork: Die Vereinigten Staaten haben die
Erziehungen zu der Bolschewikiregierung abge-
brochen. Die amerikanischen Konsularvertreter
^N Moskau haben am 5. August ihre Posten ver-
mssen und den schwedischen Seneralkon-
u l mit der Wahrnehmung der amerikanischen,
lettischen nnd javanischen Interessen beauftragt.
Die Lage an der Mnrmanküste
London, 17. Aug. Die Times meldet: Die Al-
liierten haben nunmehr an vielen Punkten
^es russischen GrenAgeckietes Truppen gelandet,
>ie alber nur schwach sind. Das erste Kontin-
gent sieht an der Murmanküste und ist an der
Eisenbahn entlang nach Keman der Westküste des
Mißen -Meeres vorgerückt. Dann stehen drei Kon-
tingente auf der anderen Seite des Weißen
Meeres. Eines dieser Kontingente hat Arch
»ngelsk besetzt und rückt längs der Eisenbahn
zach Wologda vor. Das, zweite Kontingent
marschiert am Onega entlang und das dritte,
Vas eigentlich zum Kontingente von Arch-
angelsk gehört, mutz sich irgendwo an der
Dwina befinden.
Moskau, 16. Aug. (PTA.) Beim Eindringen
)er Engländer in Alexandrowsk, Marman. Kem
»nd Sorokin wurden Massenhaussuchungen
jsi friedlichen Einwohnern des russischen Würser-
jums und Staatsangehörigen der Zentralmächte
wm Schwarzen Hundert und durch englische Sol-
daten vorgenommen. Die Bevölkerung bei der die
Haussuchungen vorgenommen wurden, klagt über
ten Verlust von Geld, Schmuck- und anderen Wert-
jeaenständen. Ueberall sind englisch-französische
Patrouillen verteilt. Der Rayon von Murman
vird durch ein« kleine Anzahl Engländer und
Kränzchen und durch weiße Gardisten bewacht. Die
Vertreter der Alliierten haben anfangs geleugnet,
M sie die dortige Bevölkerung zu mobilisieren be-

v «SSSSKSSSSSSLs
§ Ein Wort gleicht der Biene, es hat Honig H
« und Stachel. Talmud «
^S S3>M»ASSSKBSS »
Gespenster des Glücks
Roman von Alfred Maderno
(33. Fortsetzung)
Nur von unterwegs, doch nicht mehr seit der
Landung war von Lenzberg Nachricht emsetros-
vn. Befand sich ein Teil der Bemannung der
.Brandenburg" unter den Landungstruppen? Be-
fand auch er sich darunter? ISchritt Und kämpfte
rr an der Spitze einer kleinen Abteilung? Kämpfte
— eiskalt fühlte Nora ihre Hände und Füße wer-
ten; es fror sie im warmen Sommersonnenschein,
>ang schlug ihr das junge Herz, starr bohrten., sich
ihre Blicke ins Leere, sie horchte in di« Ferne, in
>iese entsetzliche Ferne und erschauerte vor dem
stuf: „Freiwillige vor!"
Sie erschauerte obgleich er sie nicht betraf. Und
'r, er war seit Wochen dort drüben, wohin jetzt
tie Freiwilligen geschickt werden sollten; aber die-
ier Ruf. dem Tausende Folge leisten wollten, ver-
hieß zugleich Kämpfe, blutige Kämpfe. Noch mehr
-Kämpfe? Standen nicht bereits di« Laickungs-
truppen in schweren Gefechten? — Doch was
hörte Nora den Vater sagen, als 'sie unbemerkt
durch Nebenzimmer schritt?
„Die scheinen allein nicht fertig werden zu
tkönnen".
Nora blieb zitternd stehen und horchte, ob der
Vater noch mehr sprechen werde, ob er vielleicht
mehr mußte, als sie in den Zeitungen gelesen
chatte. Mer der Geheimrat sagt« nichts mehr; er
(schwieg. Auch die Mutter schwieg. Nora aber
jschljch still auf ihr Zimmer. So schwer waren diese
«Kämpfe vor Peking? — Und keine Nachricht, keine
^Nachricht!
> Noras und der Eltern Blicke wichen einander
Ms. -Menn sie sprach, wenn sie neben ihren El-
tern saß mit ihnen ausging, vor ihren Augen dies


ab sichtigen, aber jetzt haben sie offiziell die Mobi-
lisation bekannt gegeben. In einigen Tagen wur-
den zirke 3500 Mann mobilisiert. Die Mobilisier-
ten wurden -auf fünf Bataillone unter Führung
von drei englischen und zwei französischen Batail-
lons-Kommandeuren verteilt.
Moskau, 16. Aug. Die Presse meldet: Der
Kriegsminister Hsdro drahtet aus Wologda, daß
die Ententetruppen im Abschnitt von Arch-
angelsk außer ArtillerieschuHweite zurückge«
gangen seien.
In Wladiwostok
Haag, 17. Ans. Die Times meldet, daß fran-
zösische Truppen am 12. August in Nikolsk
nördlich von Wladiwostok angekommen sind. Die
Alliierten hacken am 13. August den Belage-
rungszustand über Wladiwostok verhängt. Die
gelandeten Truppen seien im Augenblick die ein-
zige Trupp enmacht, dis so stark ist, daß sie
einigen Einfluß auf die Lage in Rußland
wird ausüben können.
London, 17. Aug. (Reuter.) Wie mehrere Blät-
ter aus Washington vom 16. August berichten, hat
Kriegssekretär Baker ckekanntgegvben. daß das 17.
Amerikanische Jnfanteri-elrSgiment
in Wladiwostok erwartet würde, um mit den Tsche-
chen und den Japanern zusammenzuwivken.
Gefährdung der Tschecho-Slowake«
Wladiwostok, 17. Aug. (Reuter.) Der tsche-
chische Befehlshaber erklärte den Vertre-
tern der Alliierten in einer Denkschrift, daß
schnelle Hilfe in größerem Umfange nötig sei, um
den Vormarsch auf Irkutsk zu ermöglichen. In
der Note wird hervorgehoben, daß, wenn die
Streitkräfte Irkutsk nicht innerhalb 6 Wochen er-
reichen, dies gleichbedeutend mit dem Verluste aller
Tschechoslowaken in WestfiLirien wäre.
Massenterror gegen die Gegen-
revolutionäre
Moskau, 17. April. (PTA.) Die Verhand-
lungen der außerordentlichen Gouverneur ents-
Kommission zum Kampfe gegen die Gesen-

revolution sind beendet. In einer Geheim -
sitzung wurde eine Reihe wichtiger Entscheidungen
zur Durchführung des Massen - Terrors ge-
gen die Gegenrevolution angenommen.
Ein Plan zur Ermordung
Aelfferichs
Der russische Korrespondent der Daily News
meldet vom 15. d. Mts. aus Stockholm: Es unter-
liegt keinem Zweifel, daß die linken Sozial-
revolutionäre beschlossen hatten, Helffe-
rich ums Leben zu bringen. Sie hatten
klar angekündigt, daß sie Mumm und Skoro-
padski ermorden wollten, und sie waren so-
gar so weit gegangen, sich gegen Uebereinkünfte
mit jedem nationalistischen Staat, nicht nur mit
Deutschland, nuszu sprechen. Diese Erklärung läßt
es möglich erscheinen, daß sie auch gegen die En-
tentsdjplom-aten derartige Attentate begehen
würden.
Wie der Berliner Lokalanz. erfährt, wird Dr.
Helfferich nicht wieder an die Spitze der
deutschen Gesandtschaft in Rußland treten, jeden-
falls so lange nicht, als sie in Pleskau (Pskow)
ihren Wohnsitz haben wird. Bevor dis Unterbrin-
gung der deutschen Gesandtschaft in Pleskau end-
gültig geordnet ist, wird der mit der Führung der
Geschäfte beauftragte Legationsrat Dr. Riezler
einstweilen seinen Wohnsitz in Reval nehmen.
Auch Riezler bedroht
Berlin, 18. Aus. Lsgationsrat Dr. Riezler
hat laut B. A. in Moskau von der terroristischen
Gruppe der Sozialrevolutionäre ei« Todesur-
teil zugeftellt erhalten. Dje Sowjerregierung,
von der deutschen Gesandtschaft sofort verständigt,
ordnete besondere Maßnahmen rum
Schutze Riezler s an, sodaß der Anschlag
nicht zur Ausführung gelangen konnte.
Kurze Nachrichten
* Die deutsche Ostseeschiffahrt nach den bal-
tischen Häfen ist jetzt freigegeben worden.
* Sechs k. und k. Feldmarschälle haben Kaiser
Karl zu seinem Geburtstag den Marschallstab
überreicht, mit der Bitte, ihn fortan selbst zu
führen.

Der Luftkrieg
Bem, 18. Aug. Der „Petit Parifien" meldet:
Dünkirchen wurde in der Nacht vom 11. »uni!
IS. August von deutschen Flugzeugen an-
gegriffen. Ebenso wurden Boulogne und Ca-
lais angegriffen. Heber Dünkirchen sollen 28
Torpedos ackgeworsen worden sein. In Calais
soll der Sachschaden beträchtlich sein. Baus
logne scheint ebenfalls gelitten zu haben.
Fliegerangriff auf Paris
Genf, 18. Aug. Wie die Pariser Blätter melden,
sind deutsche Flieger am Freitag bis Paris
vorgsdrungen, wobei sie zwei Stunden laug die
Hauptstadt umkreisten, ohne daß sie zu dem inneren
Stadtteil hätten vorbringen können. Sie hätten
.sich schließlich begnügen müssen, ihre Bomben auf
Vororte abzuwerfen. wo sie nur einige Opfer und
Sachschaden verursacht hätten. Die Zeitungen fü-
gen hinzu, baß auch im Zentrum von Paris nahe
der Place de la Concorde und in einem der öst-
lichen Stadtteile mehrere Personen infolge der
Aufregung vom Herzschlag getroffen wurden.
Die Fliegererfolge Udets
Der Kail er sandte an den Leutnant d. R.
Udet nach seinem 40. Lustsiege folgenden -Fern-
spruch:
Nachdem ich Sie zuerst vor kurzem für Ihre
glänzenden Erfolge im Lustkampf durch die Ver-
leihung meines höchsten Kriegsordens. des Ordens
Pour le merite, ausgezeichnet habe, geben Ihre
seitdem wiederum geleistetn ausgezeichneten
Dienste insbesondere die Erringung des 46.
Luftsieges Veranlassung. Ihnen erneut meine
vollste Anerkennung hierdurch auszu-
sprechen. WilhelmI. K.
Luftangriff auf eiu deutsches Lazarett
Berlin, 17. Aug. Am vergangenen Sonntag um
die Mittagszeit überflog ein französisches Flugseug-
geschwaber Montmedy und -warf mehr als 16
Bomben auf ein deutsches Lazarett ab. Won
den kränken und verwundeten Soldaten wurde
eine Anzahl getötet ober verletzt. Näßer-
dem wurden fLnf Kinder. die in der Nähe
spielten, schwer verwundet, eins von ihnen
starb infolge einer schweren Verletzung. Das
Hospital, das durch ein grobes .Genfer Kreutz ge-
kennzeichnet ist. ist Len Franzosen schon aus Frie-
densseiten genau bekannt.
Vereitelter Angriff auf Innsbruck
Innsbruck, 17. Aug. Kurz vor 16 Uhr vormit-
tags erschienen aus der Richtung des Brenner fit
beträchtlicher Höhe über Innsbruck drei italie-
nische Flieger, zwei Aufklärer und ein Jagd-
flieger System Svab, deren Anflug bereits durch
Alarmsignale gemeldet worden war, Boi ihrem,
Erscheinen eröffneten die Abwehrgeschütze sofort ein
heftiges Feuer und hinderten die kindlichen Ap-
parate, die wenige Minuten über der Stadt
kreisten, tiefer zu gehen und zwangen sie, ohne
daß sie Bomben abwärfen, zur Umkehr. Die
Flugzeuge flogen in der Richtung gegen das Ober-
Jnn-Tal ab. Räch eingelaufenen Nachrichten ev
schienen sie über Imst, von wo sie dann Über dem
Pitz-Tal entlang südwärts steuerten. p
Wieder einmal Bombe« auf Sluis
Amsterdam. 17. Aug. Me die Blätter melden,
sind gestern abend in der Nähe von Sluis drei
Bomben abaeworfen worden. UniäNe sind nicht
eingetreten.
I« Holland interniert
Millingen, 17. Aus. Die Niederländische Telegr.-
Agentur meldet: Gestern mittag ist in den Küsten-
gewässern ein englisches Flugzeug nieder-
gegangen. Der eine Insasse, der schwer verwundet
war, wurde in Cabzan an Land gebracht. Der an-
dere wurde in Vlissingen interniert.
Amsterdam. 17. Aus. Gestern Nachmittag mußte
ein englisches Flugzeug bei Kvndekeriken nieberge-
hen. Die Insassen, ein amerikanischer Flieger,-
offisier und ein schottischer Unteroffizier, wurdest
interniert.
...

und jenes tat. so vermochte sie sich zu beherrschen,
daß ihre Worts ruhig und sicher floffen, ihre
Hände nicht zitterten, ihre Füße nicht wankten.
Dem fragenden, sorgenvollen Blicke nur hätte sie
nicht standzuhalten vermocht, obgleich es ja gut
gewesen wäre, eine wohltuende Entspannung,
wenn sie sich an einer mitfühlenden Brust hätte
ausweinen können.
Wohl besaß ihre Mutter dieses gütige, ver-
ständnisvolle Herz und auch der Vater hätte sie in
seine Arme genommen. Es wäre ja nur zu na-
türlich gewesn, einmal dem Schmerz zu unterlie-
gen, sich einmal schwach zeigen zu müssen.
Aber das war dieses Wort, vor dem sie sich
fürchtete. Die Scheu davor zwang ihr schier über-
menschliche Kräfte auf.
„Ich will nicht unterliegen, nicht ein einziges
Mal, und ich werde nicht schwach vor ihnen!"
Doch bei sich selbst fand sie den Trost nicht
inehr.
Sollte sie zu Freundinnen gehen? Besaß sie
noch welche, die ihr wirklich gut waren, die ihr
das einzige zusprechen konnten, was ihr jetzt äm
bittersten nottat: Mut. Vertrauen?
Nora wußte niemand. Die Schulfreundschaften
waren längst vergessen. Später war Nora in ih-
rer Gewohnheit, alles Lus dem Wege zu gehen,,
was von ihr Empfindungen verlangte, die sie
hätte heucheln müssen, an niemand mehr herange-
kommen. Und seit sie Lenzberg liebte, hatte sie
sich noch mehr in sich selbst zurückgezogen.
Aus sich heraus wußte sie alles zu holen, wo-
mit sie sich mit jugendlicher Freude an Neuem,
Schönem und Seltsamem umgab, und Lenzbergs
Briefen entnahm sie, was etwa noch fehlte, um
das Glück vollzumachen.
Wie jäh sich diese stillen, innigen Freuden zum
Leid wenden würden, hatte Nora damals nicht
geahnt, als ihr Lenzberg das erstemal von der be-
vorstehenden Chinaerpediti'on schrieb. -Heute
wußte sie oder fürchtete sie ihn zum mindesten von
dem Schrecken und Gefahren heißer Gefechte um-
geben und bedroht — und Nachricht keine
Nachricht!

Jede neue Zpitung durchflog sie mit brennen-
den Augen, heimlich, damit die Eltern ihre Un-
ruhe und Haft nicht merken sollten, denn auch mit
der Zeitung in der Hand hätte sie sich nicht be-
herrschen können.
Dis Mutter selbst in Sorge, hatte längst er-
kannt, daß Nora vor ihr und dem Vater wie eine
Heldin mit sich selbst kämpfte. Wie oft hatten sich
ihre Arme geregt, das Kind zu umfangen- und an
ihr Herz zu drücken.
„Genug, mein armes Kind! Quäle dich und
uns nicht länger. Wir glauben doch .deinem
Schmerz und es B ja nicht Feigheit ist auch nicht
einmal Schwäche. Ueberlasse dich ihm in meinen
Armen!" . .
Wie ost hätte die Mutter gerne so zu Nora ge-
sprochend Doch als fühlte das Mädchen es immer:-
wenn sie ihm mit solchen Worten nahen wollte,
so entwand es sich ihren Armen, die sie zum Gute-
nachtkuß um ihr Kind geschlungen hatte.
Nora wollte nicht schwach erscheinen. Sie saß
vor dem Zubettgehen oft noch lange am geöffneten
Fenster und blickte in die Sträucher des Vorgar-
tens. die von der Helligkeit ihres Zimmers ein
mildes Licht empfingen, das an den reglosen
Blättern niederrieselte und die Erde doch nicht
erreichte.
So versuchte auch sie. ihrem Herzen Licht zuzu-
führen aber bis auf seinen Grund vermochte es
nicht zu dringen. Sorgen und Angst kauerten dort
zu dicht nebeneinander, und die Quells, von de;,
ihr Herz das Licht empfangen sollte, war spärlich
und eigentlich nur ein glänzender, kalter Schein:
Pflicht.
„Nora sagte es sich vor, leise und laut, und
hastig: „Ihn rief die Pflicht; er tut seine Pflicht;
seine Pflicht ist es; und seine Pflicht ist ihm
heilig".
Ustd ihre Pflicht? Ausharren und Ertragen!
Sie hatte ihm die glückliche Verheißung noch
mit auf den Weg geben können: „Wenn du wie-
derkehrst, soll Verlobung sein!"
Nora sagte es sich vor, leis« und laut.

und hastig: „Ihn rief die Pflicht; er tut seins
Pflicht; seine Pflicht ist es; und seine Pflicht ist
ihm heilig".
Und ihre Pflicht?
Sie hatte ihm di« glückliche Verheißung noch
mit auf den Weg geben können: „Wenn du wie-
derkehrst. soll Verlobung sein!"
Als sie diese Worte nieder geschri eben hatte,
waren sie von allen Seiten wieder aus sie zuge-
huscht, hatten ihr liebevoll, hatten ihr zauber-
haft zugeflüstert, den Reigen um sie getanzt und
gelacht, daß es sich anhörte Mte fernes Mocken-
geläute.
Das waren die lichten Gespenster des Glücks
gewesen, und das Glück selbst stand nur noch von
einem dünnen Vorhang verborgen von ihr ge-
trennt.
Nun war es aber wie ein dichter Wweretz
Samtvorhang zwischen ihr und ihm niedergeslit-
ten, eine unsichtbare Macht hatte auch die freund-
lichen Schatten hinter diese Wand getrieben und
sie i,m Dunkeln allein gelassen mit den mühseli-
gen Begleiterinnen Sorse und Angst.
Nein! Nicht mit diesen Gefährtinnen der
Schwächlinge und Feigen! Sondern mit der zu-
verlässigen Bundesgenossin der Mutigen, mit der
Pflicht. !
Der dort im fernen Osten drüben, der in die-
ser Stunde vielleicht sein junges Leben für diö
Ehre des Vaterlandes einsetzte und um den her-
um für den Reigen glücklicher Träume nicht Raun»
war — denn in weitem Bosen schwang der Tod
seine Hipps.— er hatte das Recht, dies« Pflicht-
erfüllung von ihr zu fordern. ,
„Ich will und ich kann".
Waren das nicht ihre eigenen Wort gewesen,
jene Worte, mit denen sie sich ihm fürs ganze Le-
ben zu eigen gegeben hatte?
„Ich will und ich kann! Ick habe dir n;H»
mehr versprochen, als ich zu halten imstande bin--
Zürne nicht meinem Schmerz! Ick leide doch, rost»
ick dich liebe-
fFortietzung folgt.)
 
Annotationen