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Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

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Fernsprecher Nr. 82 und 182

Heidelberger Zeitung

Samstag, den IL.^Orloder 1918

Nr.

Seite 2

^Die Kämpfe im Westen
Die französische« Flüchtlinge
Berlin, 11. Okt. Die Flucht der iranZösischen
Bevölkerung aus den dem englische» Feuer aisge-
setzten Ortschaften griff in Erwartung einer Be-
schießung auch auf Lille und die Nachbar-
stäldte von Lille über. Die Zahl der Flüchtlinge
geht in die Tausende. Di« deutsche Oberste
Heeresleitung ist bemüht, das Los der Flüchtlinge
Nach Möglichkeit ru lindern und bereitet
»eitere Schritte zur Durchsührümg dieser Bestre-
bungen vor.
Der Staatssekretär des Auswärtigen Dr. Sols
eniDmea den Direktor des Wolff-Büros Dr. Mant-
ler und muckte folgende Ausführungen:
Ein besonders gehässiger Zug der Verhetzung, mit
der ein Teil des feindliche nAlackricktend.emtes dte
oege» närtiae Kllie de- 'tr'-gr-z begleitet. »st die
immer wiederholte Beschuldigung wir verwü-
steten bei unserem Rückzug absichtlich und
Mematisch das besetzte sranrölilcke Ge-
riet. Es ist unwahr, daß Leut.cke Trumen
Verwundete niedermetzeln. Schulen vorsätzlich in
die Lust gewvenst. Kirchen beraubt und andere Ver-
drecken an den Kindlichen Gefangenen und an der
Bevölkerung der besetzten Gebiete begangen haben.
Die Zovstörungsarbeit. die bei unserer w.e bei je-
der Rückzrursoveration in der Geschickte aller .Fei-
ten unvermeidlich war. bat sich überall auf das
Mak der wirklich unerläßlichsten Krieasnotwendrg-
leit beschränkt, die dem kick zurückziebeuden Deere
verbietet, dem Gegner in seinem Rücken Stütz-
punkte von erheblichem militärischem Werte zu hin-
terlassen. Trotzdem blieb bei unsere Rückzuss-
overation im Fabre 1917 die Stadt No yon von
uns unversehrt. dock ist sie alsbald den eng-
lischen und französischen Geschützen »um Omer ge-
fallen. Solange der Kampf weitergebt, so sehr w.r
Len Verlust unersetzlicher Kunstworts b dauern,
muß die Rücksicht 'selbst auf die ehrwürdigsten Kul-
turstätten der Rücksicht auf das Leben unserer Va-
terlaitdsverteidiaer nacksteben. Wenn von feind-
licher Seite diese Notwendigkeit beistritten wird,
warum betrachten dann die Feinde, die dock d.e
Angreifer und nickt die Verteidiger sind, die ver-
nichtende Bdschiekun« von Roulers. Cambrai. St.
Quentin. Douai und anderer französischer Städte
Linier unserer Front als militärisch geboten? Den»
kev sie aarnickt an die Leiden der Zivilbevölkerung,
die unt.r strengendem Regen in Sckaren die ge-
säbrdeten Orte verläßt und auf allen Straßen und
Wesen schutzsuchend nach Belgien strebt, der Zivil-
bevölkerung. deren Verpflegung unterwegs zurzeit
tzn die Kräfte der deutschen Besatzung fast uner-
füllbar» Anforderungen stellt.
Englisch«» Munitionsverbrauch
Churchill erklärte in Leeds in einer Rede:
Täglich werden bis zu 260 000 Zentner Gra-
naten verschossen. Es müssen Vorbereitungen
Betroffen werden, um den Krieg im Fahre 1919
aus noch größerer Grundlage und mit Hilfe niit
roch größerer Geldquellen fortzusetzen, denn wir
haben es mit einem verschlagenen Feind zu tun,
der noch über ungeheuere Hikfsanellen verfügt-
Selbst wenn er sHrankrerch und Belgien räumen
wollte. würde dies noch nicht die Annahme unse-
rer unvermeidlichen Bedingungen sichern, denn er
könnte dann an seinen stark befestigten Grenzen
standhalten. Dte Anfertigung von Munition darf
daher nicht nachlassen, besonders da es notwendig
sstin wird, daß Frankreich und England in ausge-
dehntem Maße die Bewaffnung und Ausrüstung
der amerikanischen Streitkräfte unterstützen.
Fach an de» Grippe erkrankt
Wie aus einem Telegramm des Demos hervor-
Geht, ist Marschall Fock an der Grippe erkrankt
und deshalb geswungen, seinen beabsichtigten Lon-
doner Bestich auf ein späteres Datum ru
vovlsaen.

* Amnestie für Krieaexfrauen in Württemberg.
Der König van Württemberg bat in einem Gna-
denerlaß Strafbefreiung für Frauen und Witwen
von Kriegsteilnehmern verfügt.
^Neues aus Bismarcks
Alterstagen
(Aus den Aufzeichnungen eines Hamburger
Bürgermeisters).
Karl Mönckeberg, der älteste Sahn des
vor zehn Jahren gHtorbenen Hamburger Bürger-
meisters Karl Mönckebers, hat seinem Bater ein
schönes Denkmal in Gestalt eines Buches gesetzt.
Las dieser Tage unter dem Titel „Bürgermeister
Mönckebers" bei der Deutzchen VerlagsanstäM m
Stuttgart erscheint. Aus Briefen und Aufzeich-
nungen des Hamburger Bürgermeisters bat er ein
Werk zusannnengsstellt. das in ganz Deutschland
Unteil erregen wird; erzählt es Lock nicht nur von
Hamburger! Begebenheiten und Angelegenheiten,
sondern auch von Menschen und Dingen, die jeden
Deutschen an gehen. Einen besonders fesselnden
Abschnitt darin bilden die Aufzeichnungen Möncke-
hergs über seine Begegnungen mit Bismarck.
Die Hamburger blieben in ihren Gefühlen
fiir den Altreichskanzler nach dessen Entlassung
unverändert. Zwischen Frie-drichsruh und dem
Hamburger Bürgermeisterhaufe spannen sich bald
die Fäden hin und her; wenn Bismarck nach
Hamburg kam, suchte er dis Familie Mönckeberg
auf, und umgekehrt besuchten ibn auch die Möncke-
berg« in Friedrichsruh. jSo fuhr die bürgermei-
sterliche Familie im Jahre 1891. nm 18. Januar,
von, Tags der KaLerproklamation» nach Fried-
richsruh. Den Besuch bei Bismarck und ein spä-
teres Beisammensein .mit ihm schildert Möncke-
berg folgendermaßen: „Es fand fick, daß wir
ganz allein niit dem fürstlichen Paare und dem
Sekretär Dr. Ehrysander waren. Das hatte zu-
erst etwas Beängstigendes, aber bald machte sich'
die Sache sehr gemütlich und außerordentlich in-
teressant. Der Fürst sprach über alles mögliche,
immer geistvoll, immer originell. Es trafen zahl-
reiche Telegraimno aus den verschiedenem deutschen.
Städten ein (u. a. vom Eroßherzog von Weimar),
dte der Fürst mit sehr amüsanten Berner h ingen
begleitete. Im Zivil m't weißem Halstuch —
sie auf dem bekannten Bild« — von seinen gro-
- ii Hunden umgeben, mit seiner ritterlichen
reundlichkeit gegen di« Damen, dabei immer

Küste in Ostasrika besetzen und vor allem Zanzi-
bar nicht aufseben sollen. Der Erwerb von
Helgoland sei ein Fehler gswsen. Die Beauf-
sichtigung des Schiffsbaus von Reichs wegen sei
ein Unsinn, man solle Handel und -Schifffahrt nicht
bürokratisch regieren wollen. Die Feier des 80.
Geburtstages steht dem Fürsten sehr bevor; er
weiß nicht, wie er die Masse der Gratulanten em-
pfangen, die Reden anhören und vor allem be-
antworten soll. Trotzdem freut ihn offenbar die
allgemein« Teilnahme, und er will alles tun, was
er kann und darf, um dis Gratulanten nicht zu
enttäuschen. Nach Hamburg komme er nicht wie-
der; der Kreis der Menschen, mit denen er lebe,
und der Kreis, in «Welchem er sich räumlich be-
wege, werde immer kleiner; das sei das Los des
hohen Alters".
Zwei Jahrs später sah Mönckeberg Len Alt-
reichskanzler zum letzten Male. Das war im Fe-
bruar 1896. „Der Fürst empfing uns schon in der
Garderobe und führte Mathilde hinein; zve.st
war er sehr still, sodaß ich einen großen Unter-
schied gegen früher merkte. Allmählich wurde er
warm und gesprächig und zeigte die ganze frühere
Eeistesfrische. Wir sprachen über Kolanialpalitik,
Transvaal (Präsident Krüger), die englische Poli-
tik. über die Erinnerungsfcste der letzten W chen
über die Verbrüderung der deutschen Stämme
Fein Kursach« preußischer Gesandter in Hamburg)
dann über die neue Literatur. Hauptmann und
Sudermann, es wurden Anekdoten aus früherer
Zeit erzählt. Der Eindruck war. wie früher, daß
Bismarck als Mensch mit seinem Urteil, seiner
Lebensanschauung hoch über den Parteien, der
gewöhnlichen Routine des Lebens, der Buraukra-
tie usw. steht. Er mag sich irren, im einzelnen,
sich fortreißen lassen durch die Lebhaftigkeit sei-
nes Wesens — immer liegt sine großartige Auf-
fassung zugrunde. „Ich muß mich in acht nahmen,
ich will niemand verletzen, aber dock fühlen -sie sich
leicht verletzt" — dieser Ausspruch ist mir wört-
lich im Gedächtnis geblieben. „Unser funger
Herr (der Kaiser) wird ungeduldig wenn ex Mon-
tag einen Entschluß faßt und am Donnerstag noch
keinen Erfolg sieht".
AÄßerNck hat sich der Fürst im letzten Jahrs
nicht verändert: er klagt über H-sicbtsschmerzen
Leber die abnehmenden Kräfte sprach er sich offen

scherzend mit feiner Frau, war der große Kanz-
ler von ehemals von hinreißender Liebenswür-
digkeit. Acht Tag« .später kam er zum Mittagessen
zu Dersmann. Der Fürst war nach Tisch gerade-
zu historisch; in seinen Mitteilungen über den
Nikolsburger Frieden u. a. ergänzte und kolo-
rierte er Sybols kürzlich erschienene und meister-
hafte Darstellung in hockst interessanter Weise".
Im Dezember 1898 erhielt Bismarck wieder ei-
nen' Besuch der Bürgevmeistersannilie. Von diesem
heißt es:
„Heut« waren wir zum Frühstück draußen und
waren wieder entzückt von der Liebenswürdigkeit
und Herzlichkeit des Fürsten und feiner Frau.
Bismarck ist magerer geworden, das Gesicht klei-
ner, die Hände länger und weißer, er leidet an
Cesichtsschmer-ön und spricht leiser als früher,
aber der freundliche Ausdruck in seinen mächtigen
Augen ist unverändert, und er spricht mit aller
LsbhaftMeit und so interessant wie ie. Von dem
Blumschen Bucks, das gerade et'chienen ist und
auf direkten Mitteilungen des Fürsten, beruhen
soll, wollte er nichts wissen; Blum habe vieles
mißverstanden, habe kein starkes Gedächtnis und
keine Notizen gemacht. Das Buch fei voll von
tatsächlich Unrichtigem".
Nun verging längere Zeit bis zu einer neuen
Besegnung zwischen Mönckeberg und Bismarck.
Fürst Bismarck hatte inzwischen seine Gattin ver-
lovsn, und nach einem Bchucks im Februar 1895
schildert Mönckeberg den Fürsten Bismarck und
seine Meinungsäußerungen folgendermaßen: Der
Fürst ist sehr alt geworden, sein Gang schlep-
pend. feine Stimme loif«; zuerst war er bewegt,
als von der Fürstin die Rede war. ivaMer aber
zeigte sich die alte Lebhaftigkeit des Geistes. Er
ließ. Lhwmpagnex kommen, um auf das Wohl mei-
ner Frau zu trinken und wurde bei der langen
Pfeisd Dfprächig und interessant. Was die Ma-
rine anbetrifft, deren Verstärkung der Kaiser
peinlich eifrig betreibt, so hielt der^Mrst eine
größere Anzahl von Kreuzern mm Schutze des
deutschen Handels für notwendig. Schlackt'^
aber feien nur dazu bestimmt, uns von den zur
See übermächtigen Feinden genommKn zu wer-
den». Auf dem Gebiets der Kolon-ralpoli-
tik mißbilligte Bismarck die Feldzüge deutscher
Militärs ins Innere, man hätte zunächst nur di«


Der bulgar.sche Zusammen-
bruch
AntiinMia"ismus als Ursache
Das Berner Jntelligenzblatt erfährt von be-
sonderer bulgarischer Seite, die unmittelbare Ur-
sache der Kapitulation Bulgariens stehe jetzt fest
und sei darin zu suchen, daß der Kriegsüber-
druß d« Frontsoldaten in den letzten
Monaten tatsächlich in einen Antimilitaris-
mus amsartete, der von Ententsagenten tüchtig
geschürt wurde. Es bildeten sich schließlich bul-
garische sSoldatensowjets und zwar be?
Teilen der Armee ganz besonders, die aus den
AusgeHobenen der eroberten neuen Provinzen be-
standen. Das Losungswort ging um, man wolle
genau ain Jahrestage der Mobilisierung, 16. Sep-
tember, die Waffen strecken. Bei dem entschei-
denden Angriff der Ententetruppen meuterten
nun ganz einfach zwei Divisionen und lie-
ßen den Gegner in dis durch sie geschaffene Stel-
lungslucke im Zentrum einmarschieren, wodurch
die Front aüs den Angeln aufgerollt werden
konnte.
Mildesuttg der Entente-Bedingungen
Der Pariser Temps meldet, daß die Alliierten
bereit seien, Bulgarien gegenüber auf sin« Er-
stattung der Kriegskosten und der Kosten kür
Wiederherstellung Serbiens Verzicht zu leisten.
Die bulgarischen Kriegsgefangenen
Lakonik. 10. Okt. sReuter.s Unter Hinzurech-
nung von Taufenden von Gefangenen, die bereits
während der siegreicken Offensive in Mazedonien
gemacht Waden, ergaben sich 65000 Bulgaren
den Alliierten- in llebereinstimmuna mit der Klau,
fel des militärischen Abkommens, wonack sich alle
bulgarischen Truppen westlich Uesküb als Kriegs-
gefangene zu ergeben haben.
Oesterreich- Ungarnischer Protest
Die österreichisch - ungarische Regierung hat,
der B. Z- zufolge, bei der bulgarischen Regierung
Protest erhoben, daß sie die Ententebedingung
angenommen hat, wonach die österreich - ungari-
schen Staatsangehörigen innerhalb vier Wochen
Bulgarien verlassen müssen.
Sofia von allen Deutschen verlasse«
Der Vertreter der Firma Krupp in Sofia ist
in Berlin eingetroffen. Er teilte dam Ber-
liner Tageblatt mit. daß die bulgarischen Behör-
den die zugesicherte Frist von vier Wochen für die
Ausfahrt der Deutschen einhalten wollten, daß
aber dte deutschen Behörden selbst ihren Landsleu-
ten rieten, fsofia möglichst bald zu ver-
lassen. Die deutsche Kolonie, welche einschließ-
lich der Frauen und Kinder etwa 500 Personen.

umfaßte, reiste daher sofort in zwei Flüchtlings-
zügen ab Außerdem verließen zwei Züge die
bulgarische Hauptstadt, welche das Sanitätskorps
die Aerzte und die Geistlichkeit zurückbeförderten.
» * *
* Dee frühere Ministerpräsident Nadoslawow
ist, englischen Blättermeldungen zufolge, am 9.
Oktober als deutscher Offizier verklei-
det aus Sofia entwichen.
Diplomatie, Presse, Zensur
Laber die Art und Weiss, wie man bei uns
der Presse ihre Pflicht erschwert, das Volk
über tatsächliche Vorgänge aufzuklären, schreiben
zutreffend die Leipziger Neueste Nachrichten:
Wenn wir auf unsere Diplomatie unsere Re-
gierungsämter und das offiziöse Telegraphenbüro
warten wollten, so wüßten wir von den Vorgän-
gen inBulaarien auch zu LioserStunde nicht mehr,
ais die uarmcke, daß deutsche Truppen in Sofia
p-nne'-a-n sind, und daß nach amtlichen französi-
schen Meldungen der Waffenstillstand zwischen
^>ucgarien uiüo dem Verbände abgeschlossen ist.
Und wenn es nicht trotz aller Zensurmaßnahmen
möglich wäre, den Lesern der deutschen Presse ei-
nen Teil wenigstens des Rachrichtenmaterials der
fremden Presse zugänglich zu machen, so wüßte
die deutsche OefsentlichSeit auch heute noch nichts
von den Bedingungen dieses Waiffenstillstandes.
DeNn obgleich Reuende, die in Bulgarien dis
Entwicklung der Dinge bis zum Sonntagabend
miterlebt haben, seit Mittwoch wieder in Leipzig
eingetroffen sind, hat es das amtliche Telenra-
phenbüro fertig gebracht, im Zeitalter des Tele-
phons einzig und allein einen Absatz aus der in
der Ocbvanje zum Vortrag gebrockt en Thronrede
als gan-« Ausbeute dreier inhaltsschwerer Tage
der deutschen Press« zu übermitteln. Es wirLer-
hol-en sich also genau dieselben Vorgänge, die wir
vor vier Jahren als letzte Lcbensäußerungsn einer
in sich vertrockneten Diplomatie zu den Akten
einer versinkenden Zeit legen zu dürfen glaubten.
Damals blieb die deuGche Diplomatie in Peters-
burg. Paris, in Brüssel und Tokio bis zum ersten
Schuß an der Grenze ihrem Lebensgrund-
satz getreu, zu beschwichtigen, anstatt
avfziuklären und deutsche Staatsbürger in
kritischen Tagen zu beraten, was die Armen,
die sich auf dies« offiziöse Weisheit verließen, mit
einem vierjährigen Aufenthalt in den feindlichen
Ks^rontrationslaaern zu büßen gehabt haben.
Dies« Diplomatie aber, die mit einer sauberen
Führung der Akten und mit höfischer Statisterie
für das Vaterland schon genug getan zu habe»
meinte, sie ist heute noch am Werke und ist wirk-
lick der Meinung, ein politisch reifes Volk wie
unmündige Kind« behandeln zu können, di« man
nur mit offiziösem Gesi nnung sbre i
füttern darf. Ob das anders wird, wenn die
neue Regierung erst im Sattel sitzt, muß ja erst
die Zukunft lebren.

Ueber den Verkehr mit
Bundesgenossen
Von Richard Bahr.
Es kommt, scheint er, die Zeit, wo mair Wetz
den Verkehr mit Bundesgenossen schreiben solltrtz,
Ihr« Zahl, die leider ni« groß war. hat sich v«ck
ringert und niemand weiß, was noch werden ma-Lf
Daß sich in diesem Krieg nun noch jemand auf wnE
sere Seite stellt, wird man kaum erwarten dürfe«'
Dennoch, es verlohnt sich immerhin, einmal M
unreriucken, ob wir selber so ganz ohne -schuld
find, wenn da und dort gelegentlich Abfallsgelüsts
aufkeimten, die an einer schmerzlichen, und, ich
fürchte, in Zukunft noch besonders fühlbaren
Stelle zu rechtschaffenem Abfall führten.
Dabei muß ein Gebiet von vorneherein ausge
schieden werden: das militärische. In den Stütz
ken haben wir geleistet, was irgend zu leisten war
mitunter schon beinahe Uebermsnschlickes. Auf
unserer Waffenhilfe wie auf unserer Bundestreue
überhaupt ruht kein Makel: viel tausendfältig
haben wir in Not und Tot sie bekräftigt. Nie ist
in diesen vier Jahren vergeblich an unsere bun-
desgenössische Pflicht appelliert worden, immer
und allerorten haben wir die Sacke der Waffen-
gefährten zur eigenen gemuckt. Aber, so seltsam
es dem klingen mag. Lex sich nicht gewöhnt«, auch
die Abgründe der Menschensesle zu belauschen: ge-
rade an diese mit schöner Selbstverständlichkeit
und zumeist mit erfreulichem Erfolg gewährte
Waffenhilfe knüpften sich gelegentlich Reibungen
und Verstimmungen. Unsere Verbündeten hat-
ten bisweilen Schwäche gezeigt, wir waren die
Stärkeren gewesen und hatten sie aus der Gefahr
befreit. Das empfindet man einmal dankbar,
wohl noch ein zweites und vielleicht auch das
dritte und vierte Mal. Wenn aber Befreien und
Reiten zur Regel werden, kommt unter den ri-
valisierenden Armeen — und Armeen rivalisie-
ren immer, auch im engeren Bereich der Reichs-
gemeinschaft — ein Gefühl der Beschämung auf-
Man möchte nicht fort und fort errettet weiden
fein und, wenn es schon geschehen mußte, mach»
man zum mindesten nicht immer wieder daran er-
innert werden.
Gerade in Liefer Beziehung aber ist von uns
gefegt worden, von Lcckitär und Zivil, an d-r
Front, in der Etappe und im Hinterland. Jeder
von uns kennt ja di« angenehme Wendung, weil
lauer junge Mensch, der in besseren und glückliche-
ren Zeiten sein erstes oder zweites Studienseme-
ster vertollte. sie mit dem Schmuck seiner nep er-
stritten«» Loutnantsuniform in den Urlaub
brachte: „Wir müssen erst hinkommen und -ck
Sache schweißen". Das war so die Gesinnung.
der unsere jSöhne in Waffen den Verbündeten L"
segneten, war mitunter auch-der Ton. in dem
auf Durchmarsch und Resie zur Front auch in
Bürgern des anderen LanLes redeten. U-ck e
die Jungen zwitschern, so fangen die Alten.
den zwischenstaatlichen Verhandlungen hat m'-
-'''-er, der bei vielen dabei gewesen ist. g-.ss«-
Wir legten die Maschinengewehre ans den
die anderen schössen mit dem Separatfrieden.
Allgenrack war die unbesonnene und geschman'
lose Leutnantsphrase zum Gerede in deutsaMo
Landen geworden: „Wir schmeißen di« Sack'- -
Das Gefühl, daß wir in einem Bündnisln"
ständen, daß wir auf die Empfindungen, die polt"
tische Struktur, die Lebensinteressen und Ziele der
Bundesgenossen Rücksicht zu nehmen hätte"'
schwand dahin. Wir sahen noch unsere Le'-
st ungen, unsere besondere Kriegskarte, spür»
len nur dis e i g e n e n-Bedürfnisse, wirkliche und
eingebildete, und dis eigenen Wünsche. Bonck!«
Schlößer in die frei« Luft und griffen nach
is-->h entfremdeten »ns so langsam atzet
beharrlich dis Seelen unserer Bundesgenossen. G'
ist leit Fahr und Tag bei uns Sitte geworden, ab
len Groll auf das Auswärtige Amt abzm'.M''-
und der bulgarische Abfall hat diese NeigMNt
noch gesteigert. Gewiß werden von der Leit
unterer auswärtigen Geschäfte in Vergangeich^
und Gegenwart Fehler gemacht worden sei". B>-''
das V"lt in feiner Gesamtheit, zumal die Schicks
von Besitz und Bildung, tragen an dieser Sckm'
ein ansehnliches Teil. Mir bewerteten die
desgsnvsien nur noch nach dem Maß ihrer miltll'
mtcksn uns, du die runn-Nf — ntckl i"'

ans; er könne nicht mehr reiten; nur im Trck^
sitze er noch oft zu Pferde; das Oel der La-w*
zehre sich allmählich auf; er habe früher nie A
glaubt, daß er älter als 70 Jahre werden wiir«*
jetzt sei er schon 10 Jahr« älter, aber es geh« be^
ab; was er im vorigen Jahre an Rede» usw. A
leistet, würde er in diesem Jahr« nicht w-br
sten können.
Bauern, es geht um eure
Schöllet
Von Ludwig Thoma. München.
Im August 191-1 hat es jeder mit e>nA
Schlage gewußt, daß an den Grenzen das eiE
Hans, das eigene Glück, das eigene Recht oer> .
digt werde. In vier harten Kriessiahren 'n.
dw,e Löb-erzeugung bloß stärker werden könn^
sie allein hat uns di« Kraft gehen können.
Opfer zu ertragen, ja den Gedanken zu ertrack
daß so viel Glück. Behagen, daß so viel Hosl""
gen zerstört wurden^
Weil es nm gie Heimat ging, schien uns s „
ßer noch als jeder Schmerz di« Notwendig'.^
Wir wußten alle, und die Feinde sagten es
deutlich genug, es ging um unser Recht aufs ck
b»en. Das stählte uns zum Wioerstand. Bau«'
was ist denn heute darin anders geworden?
Die harten Jahre und die letzten EroiS"^
haben viele zu der Meinung gebracht. Friede
jeden Preis sei heute das Beste. Das ist »um
kcnntnis, nicht Einsicht — das ist Schwäche-.,^
die der Feind gerechnet hat mit Zahlen. '-Ahj
doch um euch! Woa ist in der Heimat
was ist in ihr wertlos geworden? B üh<-
grünt sie nicht wie an jenem ersten Tas.
wehrfähige Mannschaft. «urios? Leben n:c»^x!
tern u-nd Kinder der Verteidig?: unterm
, den Dach, in sicherem Schutze und bei sicherer
beit? nabel'
Und die es mit ihrem Lsbe». eimonl'chr
die alles »in diese Heimat gegeben, olles a «
geletzt, alles um sie neiitieu haben, die woi.^
verraten und wollt sie betrügen um 0
ihrer Opfer? Um nicht -zf -> Nen sie s
len sein? Ihr« Kinder wollt «hr zu Kn
 
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