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Heidelberger Zeitung (60) — 1918 (Juli bis Dezember)

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Fernsprecher Nr. 82 und 182

Donnerstag, den 7. November r918

Nr. 261

Heidelberger Zeitung

Seite 2

Der Fall Isffe
In einer längeren Zuschrift, die der Norddeut-
schen Allgemeinen Leitung von -amtlicher
Seite zu seht, werden die näheren Gründe, so-
weit es ihrer überhaupt noch bedurfte, für den
Schritt der deutschen Regierung ausführlich dar-
selegt. Man erfährt aus diesen Mitteilunsen, dass
die deutsche Regierung während der Monat« Sep-
tember und Oktober im ganzen fünf Protest-
noten an die russische Regierung gerich-
tet hat wegen grober Verletzung, des Völ-
kerrechts und der Bestimmungen des Brester
Friedensoertrages. Immerhin, -io wird dann aus-
geführt hätte die Untersuchung gegen die russische
Vertretung, die im Verdacht steht, in Verbindung
mit gewissen Gruppen innerhalb Deutschlands o f-
fen auf die Revolution h i nszu-arbe i -
ten ,keine so greisbaern Resultate ergeben, dass
ein Einschreiten daraufhin möglich gewesen wäre.
Dann hat die Sachlage durch den Vorfall mit
dem Kurier auf Nm Bahnhof Friedrichstrasse eine
vollständige Aenderung erfahren!. Dar-
auf hat dann der kaiserliche Generalkonsul in
Moskau den Auftrag erhalten, der russischen Re-
gierung in Moskau folgende Note M über-
reichen:
„Die kaiserliche Regierung hat schon zu wieder-
holten Malen dagegen Einspruch erheben müssen,
Lass durch Kundgebungen russischer amtlicher Stel-
len entgegen der Abmachung im Artikel 2 des Bre-
ster Friedensvertrages eine unzulässige Agi-
tation gegen deutsche Staatseinrich-
tunge n getrieben wird. Sie sieht sich nicht
länger in der Lage, sich auf Proteste gegen die
Agitation zu beschränken, welche nicht nur eine
-Verletzung der genannten Vertragsbestimmungen,
«sondern auch einen schweren Verstoss gegen die ele-
mentaren Gepflogenheiten des Völkerrechts be-
deutet.
Als die Sowjetrogieiung ihre diplomatische
Vertretung in Berlin errichtete, wurde Her:
Joffe ausdrücklich auf die. Notwendigkeit
der Vermeidung jeder agitatorischen und propa-
gandistischen Tätigkeit in Deutschland hinge-
w iss en. Er erwiderte darauf, er kenne den Ar-
tikel 2 des Brester Friedensvertrages und wisse,
dass es niemals Vertretern einer fremden Regie-
rung obliege, sich in die inneren Angelegenheiten
Deutschlands einzumischen. Herr Joffe und die
ihm unterstellten Organe haben sich infolgedessen
hier der Rücksicht und des Vertrauens zu erfreuen
gehabt, die fremden Vertretungen gegenüber üb-
lich sind. Das entgas mgebrachte Vertrauen
ist jedoch getäuscht worden".
Der Schritt der deutschen Regierung, der frei-
lich längst schon hätte erfolgen sollen, findet in der
ganzen deutschen Press« aller Parteien rückhaltlM
Billigung.
Die Abreise der Russe»
WTB. Berlin, 7. Nav- (Amtl.) Die russ. diploma-
tische Vertretung reiste heut« früh mit Son-
derzug nach Russland ab.
Dazu melden die Blätter: Die Gesellschaft reiste
in zwei Gruppen. Die Aufhebung der russischen
Botschaft, in der wahrscheinlich eine ein-
gehende Untersuchung vorgenommen wer-
den wird, wurde bereits gestern nachmittag vor-
bereitet. indem die beiden Telephonleitungen der
Botschaft abgeschnitten wurden. Auf Anruf wurde
die Auskunft erteilt. Leide Leitungen seien „ge-
stört". Bef Einbruch der Dunkelheit wurde vor
dem Botschaftsgebäude Unter den Linden 7, ein
starkes Schutzmannsaufgebot zusammengezogen. Mit
der Botschaft ist auch das Personal der Berliner
Niederlassung der russischem Telegraphemagentur
aibsereist. Es haben etwa siebzig Perso-
nen Berlin verlassen. Der Zug wird direkt an
die russische Grenze geleitet.
Wie di« „B. 3." hört, hat der AbgeordnetÄ Dr.
Lohn - Nordhausen, das bekannte Mitglied der
Unabhängigen Sozialdemokratie, heute nacht län-
gere Zeit bei Herrn Joffe zugebracht. Herr Joffe
hat ihm vor der Abreise ein grösseres. Geld ent-
haltendes Paket, übergeben.
Aus der Kurier-Kiste
Ueber den Inhalt der für die russische Bot-
schaft bestimmten und zu schaden gekommene Kiste
wird noch mitgeteilt: „Es befand sich in der Kiste
eins Flugschrift Karl Radecks «Der Zjusiawm-en-

Lr.uch des Imperialismus und die Aufgaben der
internationalen Arbeiterklasse". Es handelt sich
um eine Rede Radecks, die dieser an: 7. Oktober d.
Is. im Moskauer Sowjetthaater gehalten hat.
Ein weiteres Flugblatt beschuldigt die deutsche
Regierung einer schwindelhaften Friedensoffen-
sive und beschimpft auch sonst die deutsche Volks-
regierung. Dieses Flugblatt wurde bezeichnender-
weise gerade in den letzten Wochen in den Daim-
ler Werken zu Stuttgart in zahlreichen Exempla-
ren verbreitet. Daher auch die törichten zweck-
losen Demonstrationen in Stuttgart. Ein weiteres
Flugblatt mit der llebevschrift „Nieder Ihr Blut-
hunde und Volksmörder!" fordert zur Ermor-
dung aller Nichtarbeiter auf. Es wendet
sich vor allem an die Soldaten.
Sozialdemokratische Stimmen
Auch die sozialdemokratische Presse zerschneidet
das Tischtuch zwischen sich und Herrn Joffe. Den
„Vorwärts" hatten wir schon zitiert. Nachstehend
lassen wir noch einige andere Stimmen folgen.
So schreibt die Mannheimer „Volksstimme":
„Die deutsche Arbeiterschaft lehnt
auf jeden Fall dankend die bolschewistische Hilfe
ab: was in Deutschland noch zu tun ist. sieht sie
selber klar, sie braucht dazu nicht die bolschewisti-
sche Vexierbrille, und durMusetzen. was sie für
nötig erachtet, fühlt sie auch selbst Kraft ge-
nug in sich, sie benötigt dazu nicht die dynamit-
gefüllte Sardinenbüchfe russischer Herkunft Sie,
will einen 'Sozialismus der schaffenden Kraft (und
nicht der inneren Selbstzerstövung). einen Sozia-
lismus des Abbaus des abgestorbenen Alten, aber
auch des gleichzeitigen Ausbaus des werdenden
Neuen (und nicht einen der Vernichtung ohne
Neuaufbau). Kurz einen Sozialismus des Lebens
und der Höherentwicklung (und nicht des Todes
und der Stagnation, wie in Russland).
And darum lehnt die deutsche- Arbeiterschaft, in
ihrer Mehrheit klargesichtig wie nur ie ein Prole-
tariat, diszipliniert und geschult wie nur irgend
eines, jenen putschivistischen Sozialismus ab, der
(ein Versuch, der nie glücken kann) durch Ueber-
raschunssaktionen von.Minoritäten von heute auf
morgen Welten Umstürzen. Kapitalismen beseiti-
gen will, lehnt ihn ab als eine weltfremde Frucht
der fAudierstube, die. wenn auch genährt und ge-
pflegt. von edelster Leidenschaft und bestem Mol-
len, doch nur ein Ergebnis fanatisch - ver-
zückter Blindheit kst. Di« deutsch« Arbei-
terschaft weist darum alle noch so lockenden Phan-
tasien weg und wird, wie bisher so auch weiter
ihren Weg gehen: zielbewusst, ihrer Kraft
sicher, ihres Sieges gewiss. Ohne Ab irr en
vom Endziel, ohne irrlicherierendes Abirren
auch vom einzig möglichen Wegs".
Und an anderer Stelle sagt das Blatt: „Bon
der Vernunft und der politischen Urteilsfähigkeit
des deutschen Volkes hängt jetzt mehr denn je seine
ganze Zukunft ab. Wir dürfen nicht in ein
russisches Chaos, sondern müssen einer
neuen Ordnung zustreben, dis Morsches ab-
trägt, Stärkeres aufbaut. Reissen wir aber sinn-
los nieder, so werden wir selbst unter de-n Trüm-
mern begraben werden".
Die „Franks. Volksstimme" schreibt:
Den Putschismus kann Deutschland in feiner ge-
fahrvollen Lags nicht gebrauchen. Der
sicherste Schutz dagegen ist eben Lis Fortführung
der politischen Reform und ihre Ergänzung durch
soziale Hilfe an dis Massen. Selbst sein
Haus bauen, dazu ist unser Volk berufen: lest
es selbst Hand ans Werk, dann wird es die öffent-
liche (Sicherheit hüten, es wird nicht dulden,
dass Phantasten sein Volkshaus in den Grund-
lagen und im Ausbau verpfuschen. Das
Volk wird, was in der letzten, der härtesten Zeit
noch ertragen und geleistet werden muss, ertragen
und leisten Stellt das .Mel gross und erhaben vor,
unser Volk, dann wird ihm die Kraft nicht fehlen,
die halbe zur ganzen Freiheit zu gestalten".
Aushebung eines Bolschewikirrestes in
Düsseldorf
Die „Kölnische Zeitung" meldet aus Düsseldorf:
Hier ist ein Bolschewikinest ausgehoben worden.
Ein Herr Iwanow und eine Frau Wolf-
stein, angeblich galizischer Herkunft, hatten
hier eine grössere Wohnung gemietet, um ein«
russische Delegraphenagentur zu betreiben. Es
handelt« sich zweifellos um Errichtung einer Stelle

für bslschewikische Propaganda. Dis Gesellschaft ist
verhaftet worden. Es sicht fest, dass von dieser
Stelle die aufwieselnden russischen
Blätter ausgingsn. die in den letzten Tagen in
Massen unter den Belegschaften der industriellen
Werke des hiesigen Bezirks verbreitet wurden.
Außer den beiden genannten ist noch ein itfts ihnen
in Verbindung stehender Mann verhaftet worden,
dessen Nams nicht bekannt ist und der sich weigert,
über seinen Namen und seine Herkunft Auskunft
zu geben.
Deutsch-feindliche revolutionäre
Propaganda in Kopenhagen
Dr. Nikolei, ein Sohn des Schriftstellers
August Löwenstein, ist im Sommer dieses Jahres
unter Benützung eines Flugzeuges fahnen-
flüchtig geworden. Er hat seit langem in
Kopenhagen ein besonderes Büro eingerich-
tet, von welchem aus er eine ausgesprochene
deutsch - feindliche revolutionäre Propaganda be-
treibt. Wie jetzt bekannt wird, hat er auf seinen
Antrag von dem Sowjet die russische, Staatsange-
hörigkeit erhalten. Es ist interessant, bei dieser
Gelegenheit fsstzustellen. dass sich der „angenehme
Zeitgenosse" im Reichstag immer wieder der be-
sonderen Protektion des Abgeordneten Cohn-
Nordhaufen zu erfreuen gehabt hatte.
Neutrale Urteile zur Kriegslage
Ein schwedischer General . schreibt in der Noa
Daaliabt Allebanda zur Kriegslage:
..Bei dem unerhörten Sturmangriff scheinen be-
sonders die Amerikaner einaeieben zu haben, dass
es unmöglich ist. den Gegner su verdrängen. Be-
trachten wir die Lage, so ist offenbar, dass Marschall
Fock seit Anfang Oktober nach einem -grossartigen
Man arbeitet, nämlich durch kräftia-e Antzrifts go-
aen beide Endpunkte die deutsch« Stellung einzu-
schnüren. die Deut üben wenn möglich aeiansen-
zuneh-msn ihnen also ein Sedan im -grossen Stile
m bereiten. Gleichzeitig war er bestrebt di« deut-
schen Stellungen an ihrem schwächsten Punkt zu
durchbrechen, um durch Auftolluna von beiden Sei-
ten die Vernichtung zu beschleunigen. Keiner die-
ser Bläne ist ikm aealückt. oder besser gefast, beide
Pläne missglückten ihm völlig. Die Deutschen
wichen vor allem im Norden aus. soweit die Sicher-
Leit es erforderlich machte. Mer sie bielten zusam-
men und entblössten ihre Flügel nicht. Ihre Geg-
ner rannten sich ihre Klivie an der neuen Mauer
blutig und werden dies auch in Zukunft tun. Das
Kräfteverhältnis scheint nahezu ausgeglichen zu
fein. Es kann, ie weiter es zum Winter geht, so-
gar rlmWaaen. Mem Aiffckem nach W die Stel-
lung Deutschlands an der Westfront nicht -mehr ge-
fährdet. vielleicht sogar günstig." *
Die KriNaniaer MilitärkritAsr. die bisher Ne
Lerne der deutschen Heere an der Westfront im un-
günstigsten Lickte ac'sebsn haben, beurteilen jetzt die
Lage wesentlich Lesser. So schreibt Tid-en-
steaen in ibrsr militärischen llebersickt u. a.:
..Während die Auflösung der Donaumonarch'e sich
infolge des aswa.ltiaen inneren und äusseren
Druckes vollziehe, stabe Deutschland jetzt allein auf
der Schanze aber immer nock aufrecht. D'-e deut-
schen Heere kämpfen unter den denkbar schwierig-
sten Verhältnissen im Leichen des RüÄ-uges. Trotz-
dem zeige sich m ihren Reifen keine Auflösung oder
DsmoroMation. Auch im Innern lei anscheinend,
obwohl die Wogen des Streites bock Mugen. eine
neue Front zuwege gebracht, die gegen -fundamen-
tale Umwälzungen standzuhalten scheine. Bolsche-
wistische Tendenzen fänden offenbar keinen -günsti-
gen Boden in Deutschland."
Ebenso betont der Militärkrift-ker vom Verdens-
a-ana. dass oie Deutschen wohl zuruckssben. -aber ihre
Linien leien noch ungebrochen. Man merke nichts
von der Auil-ösun-g. die bei den übrigen Mittel-
mächten die völlige Auflösung beschleunigt Labe.

* Kaiserin Zita. Wie das Prager Tageblatt
erfährt, hat in den letzten Tagen Kaiserin Zita
durch eine Mittelsperson in Prag anfragen lassen,
ob sie und ihre Kinder eine zeitlang in Vrandeis
Aufenthalt nehmen könnten. Es wurde ihr erwi-
dert, sie fei willkommen, falls sie als Privatperson
komme. Schweizer Blätter berichten dagegen, die
Kaiserin sei im Schloss Wart-esa bei Stad am Bo-
densee (Kanton St. Gallen) eingetroffen.

Die Vorgänge in Kiel
sowie ibre Vorgeschichte sind io unglaublich und fü«
deutsch«^ Diszivlingewobnkeit derart unerhört, dass
sie die schwerste Sühne erfordern. Wir entnehme«
Kieler Blättern darüber folgendes:
Auf dem Linienschiff ..Kaiser" brach eine
Meuterei -aus. Die Offiziere verteidigten
mit der Waffe in der Hand die deutsche
Krieasflaase. wurden aber durch die Mann-
schaften bezwungen, die dann die Krieasflaage Ler-
unterbolten und die rote Flagge hisste n.
Von den Offizieren sind zwei tot. darunter der
Kommandant, und mehrere verwundet. Von vier
Infanteriekomvaanien. die in der Nackt in Kiek
ankamsm baben sich sofort drei der Veweguna an-
geschlossen: die vierte wurde entwaffnet. In den
Nachtstunden kam auch von Wandsbek militärische
Hilfe: sie wurde eine Stunde vor Kiel von den
Marinsmannßchaften mit Maschinengeweh-
ren empfange^ und zur Rückkehr gezwungen.
Der nsuaebildete Soldatenrat bat beschlossen, dass
alle Offiziere in ihren bisherigen Stellung
aen verbleiben- sollen, sich aber den Anord-
nungen des Soldatenrats su fügen Laben. Del
Befehl den Offizieren die Kokarden -abzunebmeni
wurde vormittags auf Anregung des Arbeiterrates
rückgängig gemacht und ausdrücklich betont, man
müsse unter allen Umständen den Offizieren «in
menschenwürdiges Los zuteil werden lassen. Der
Gouverneur Admiral Söuchon. wurde am Mon-
tag abend n-ack dem Bahnhof askolt und dort m e b-
rsre Stunden fest aebalten. weil man
glaubte, dass noch m-obr Truppen von auswärts
kämen. Die Nahrungsmittelkontrolle liegt in den
Händen des Ssldatenrates. An verschiedenen Sieb
len der Stadt sind Maschinengewehre auf-
gestellt. Die Würger können vollständig fr«»
verkehren. In Cuxhaven und Wilhelms«
Haven ist bisker alles rubra.
Am Montag mittag erschien ein Erlass des
Gouverneurs, in dein die aufständischen Ma-
trosen aufg-efovdsrt wurden, ihre Wünsche zu
äußern. Infolgedessen traten die Abordnungen der
Matrosen zu einer Versammlung im Gewerkschafts-
bause zusammen und stellten ein Programm
ihrer Wünsche auf. Darunter befinden sich folgende:
Die Anerkennung des inzwischen gebildetes
Soldatenrates, bessere Behandlung
der Mannschaften, Befreiung von der Gruss-
pflicht, Gleichheit der Offiziere und Mannschaf-
ten in der Verpflegung, Aufhebung der Of«
firierskasinos, Freigabe der wegen Gehor-
samsverweigerung verhafteten Personen, die sich
zurzeit in den Arrestlokalen befinden und Straf-
losigkeit der nicht auf die Schiffe zurücksekehr-
ten Mannschaften.
Divio Forderungen wurden dem Gouverneur
durch eine Abordnung der Matrosen überbracht und
alle Forderungen wurden vom Gouverneur autg«-
beissen. Dis Matrosen, verpflichteten sich, ihren
Dienst wieder auftunebmen und Eeboriam
zu üben, verpftickietcu sich insbesondere auch zur
unbedingten Aufrechterhaltung der Ordnung und
gestanden zu dass jedermann, der beim Plündern
betroffen würde, auf der Stelle standrechtlich zu er-
schiessen lei. Inzwischen strömten von den Schift«n
zahlreiche Mannschaften in die Stadt hinein. Die
Matrosen sind vollständig Herren der Schiff«. Ern«
Anzahl von Patrouillen, die zur Aufrechterhaltung
der Ordnung aufaeboten war. aina zu den Matrox
sen über odn: wurde von ihnen entwaffnet nick
musste sich jbnen anscklietzen.
In den ersten Nachmittaasstumden des Dienstag
kam es im Kasernement Wik ru einer kurzen Schi«-
sserei zwischen einer Kompagnie der Torvedüdim-
kion und der Merftdivision. Letztere schloss sich am
Aufforderung den aufständischen Matrosen an. Iss
kurzer Zeit -stand die ganze Garnison Mik auf sel-
ten der aufständischen Matrosen. Ein« Stucks
später zogen 10- bis 2V 000 Mann Soldaten nach
dein Arrestlokal. Die Gefangenen wurdA»
entlassen und unter -grossem Jubel von ihren
Kameraden in Empfang genommen. Auf dess
Strassen der Stadt verkehrte eine An-zabl Autos«
die Ne rot« Flaaae der Aufständischen führten«
Abends gegen 9 Ubr zogen die Mattosen einzeln

Frauen sind zu Tränen gar geneigt.
Sophokles
Platanenallee Nr.14
Roman von vr. P. Meissner.
^meriksnisckes Lopyrixbt 1916 llob. lute, Stuttxsrt
Nachdruck verboten — Alle Rechte Vorbehalten.
(31. Fortsetzung.)
Abe r -es war ja nach eine andere viel deutli-
cher« Spur da: Jakob. Dieser verschlagene Diener
der zu wissen schien, was der Tod seines Herrn für
ihn bedeutete, erschien ihm jetzt in einem ganz
eigenen Lichte. ,Mit dein Tod des Kammersängers
besann für Jakob eine Zeit der Beguemlichkeit.
Er brauchte nicht mehr zu arbeiten, denn die
Güte seines Herrn gewährleistete ibm «in für ft ine
Verhältnisse mehr wie auskömmliches Leben. Ja
«och mehr, es setzte ihn iu den Besitz eines Ka-
pitals. dessen Höhe auch bei äusserster Sparsam-
keit in seinem Beruf niemals erreicht worden
wär«. Alles das unter der Voraussetzung, dass dis
von Jakob gemachten Angaben über Ribbentrops
Testament der ^Wahrheit entsprachen. Das würde
ja die auf den morgigen Vormittag an gesetzte Te-
ftamsntseröffnuug ergeben. Waren die Angaben
richtig, dann hatte allerdings Jakob allen Grund,
ebne Testamentsänderuna zu fürchten. Ja er hatte
auch das grösste Interesse daran, dass sein Herr so
bald als möglich das Zeitliche segnete, denn desto
früher begann seine Freiheit und materielle Un-
abhäng-i-Mit.
Jakob ivar kein offener Charakter, das musste
jeder merken, der ihn in den letzten zwei Tagen
-beobachtet hatte. Dass er Grund hatte, einen Hass
auf Ralf zu haben, war auch klar denn gerade
solche L-eiuts vergessen die durch eine Züchtigung
erlittene Beleidigung nicht, da ihre Stellung cs
ihnen unmöglich macht, sich zu wahren oder befrie-
digend« Vergeltung zu üben. Es war also durch-
aus verständlich, dass er die Gelegenheit mit
Wonne ergriff, den verhassten Mexikaner dadurch
zu strafvn. dass er ihn in den Verdacht des Mor-

des brachte, zumal er ja auch seine Herrin, Lilly,,
-am empfindlichsten traf. Und dass er auf dieses
Mädchen, die, als elternlos« Waffe ins Haus ge-
kommen. so emporgestiegen war. neidisch war und
ihr das erobert« Glück nicht gönnte, war mehr als
wahrscheinlich Bei ruhiger Ucberlegung musste
sich Helmstedt eingestehen, dass die Motive zum
Mord bei Jakob durchaus wahrscheinlich waren,
ob er allerdings als Persönlichkeit der Mann dar-
nach war, eine solche Tat zu vollbringen, war ein«
anders Frage. Warum hatte Jakob am Morsen
des Mordes, als er -mit Marie zur Rolle singe
und bei jScha-ffer plauderte, plötzlich das Milchge-
schäft verlassen, und war erst nach einer halben
Stunde sichtlich erregt zurückgekommen?
Genug, die Spur lohnte sich schon einer weite-
ren Verfolgung. Er freute sich jetzt, dass er bereits
gestern an das Polizeipräsidium in Chemnitz ge-
schrieben hatte mit Nr Bitte, alles. Auffindbare
über den Jakob Gadubeit. d?r dort iu Stellung
gewesen war, ihm mitzuteilen. Morsen schon
konnte, er Antwort haben und dann würde man
vielleicht aus der Vergangenheit dieses Menschen
Schlüsse daraus ziehen können was ex bei dem
Fall Ribbentrop für eine Rolle gespielt hotte.
Als Helmstedt bis zu diesem Punkt seiner lleber-
lssungen gekommen war, wurde ihm Kriminalkom-
missar Braun gemeldet.
..Das trifft sich ia gut. Braun. Sie passen gerade
in meinen Gedankenaana hinein."
..Viel Neros bringe ick nicht, aber ich hielt es
dock für besser. Leute noch zu kommen, besonders
wegen eines Punktes."
..Hier nehmen Sie und erzählen Sie."
Broun entzündete mit Behagen die dargebotene
Zigarre, nahm in einem der beauemen Barockstühle
Platz und begann:
..Also unser Schützling, den sauberen Diener
meine ich. l-at sich beute einen nuten Tag gemacht.
Ich Labs ibn.natürlich nickt aus den Fingern ge-
lassen und mich sogar mit ibm anseireundet . . ."
..Wie Sie mich hier Heben, bin ich woblLMallter
Krafti-Lbrer. Meine Herrschaft ist verreist, und iÄ
Labe nichts zu tun. E-elp Labe ick auch, und io war
wobl Herrn Jakob die neue Bekanntschaft n!M u-n-
anaenc-bm."
Br-Mn war tatsächlich wie ein Chauffeur vorneh-

mer Leute gekleidet und machte ganz den Eindruck,
das zu fein, was er d-arstellte. Helmstedt konnte
leine Befriedigung über die gelungene Minsks nickt
verbergen.
..War sind jn allen möglichen Kneipen und Kinos
rumaezooen und ick batte genügens Gelegenheit,
meinen neuen Kireumd su beobachten. Herr Dok-or.
ich will nicht Braun heissen, wenn der Jakob nicht
etwas auf den: Gewissen bat. Wir sprachen natür-
lich auch von dem Mord, Ich" tat so. als wenn ick
srüber in Hannover einmal Zeuge in einem Mord-
vrozoss gewesen wäre und erfand da eine lange Ge-
schickte. Er schnappt« darauf ein. war febr in-
teressiert und begann mich wie eine Zitrone auszu-
auetschen."
.Das haben Sie ia brillant gemacht. Braun, auf
die Mes wäre so leicht keiner gekommen."
..Sebr gütig. Herr Doktor. Also — wo mar.ich
dock stoben geblieben? — Ja so wir fassen seraue
in einer KoawaLstube von Gerold an der' Ecke
Friedrich- und Leipzigerstrasse. Sie wissen ia Lesser
wie ick. dass Alkohol die Zunge lost. Na. wie wir
so bei dem dritten Sckovven Sckorle-Morle waren
und ick meine erfundene RäuLergesckichte erzählt
batte, sing das Fragen los. Mas nack dem neuen
Cei-etzbuck für eine Strafe auf Mord stände. Was
für ein Unterschied zwischen Mord und Totschlag
wäre. Was ein Indizienbeweis bedeutete und ob
daraufhin jemand verurteilt werden kann. Dann
srua er plötzlich, ob Zeugen verhaftet werden könn-
ten. I-ck war über diese Fragen sebr erstaunt, und
da meinte er. ob man das nickt täte, um ru ver-
hindern. Latz die Zeugen beeinflusst würden. Ick
saat« ibm. mir sei ein solcher Fall nickt bekannt.
Nack einer längeren Pause stellte er in sichtlicher
Erregung Ne Frage -an mich, wie lange es dauere,
bis «in Ermordeter beerdigt würde. Ich meinte,
der würde slei-ck beerdi-at wenn die Sektion vor-
über sei und über die Identität des Ermordeten
kein Zweifel herrsche. Warum er danach frag«.
Ack stur io. io. war die Antwort, ich konnte ibm
aber amm-erken. dass er innerlich durch meine Er-
klärung sehr erleichtert war. Ick glaube nun. Herr
Doktor, der Mann Kat Angst vor einer Konfronta-
tion mit der Leichs aebabt. Er Kat wobl gefürch-
tet. dass das über seine Kräfte geben würd-"
(Forffetzun molat.l

Theater und Musik
Heidelberger Stadttheater
„Das verwunschene Schloss'
Operette von Millöcker.
Wie lange ist das her, dass der „himmelblau»,
See" mit seiner einschmeichelnden Weise saus
Deutschland und das verflossene Oesterreich über-
schwemmte? Das verwunschene Schloss rst I-eim
geographische Heimat. Nicht minder „A bisse',
Liab und a bisjele Treu und a ganz Kans NM «
Falschheit dabei — übrigens sehr aktuell! — oder
„Dalketer Bua" gehören ihm zu, und find h>^
zum ersten Male gesungen worden. ..
Tausendmal seither, während di« Operette m»
in Vergessenheit geriet. Sebr mit Unrecht. Deu
romantisch-lustig im alten Stil. M sie heute now
ein« gesündere, fröhliche Unterhaltung als erst
ganzer Schock der Neuheietn. Und dazu eine MA
sik — einfach Mm küssen. In dieser Partitur steU
eine überquellende Fülle von wirklich musikallM
Schönheit, von Witz und Geist bei einer JnsttA
mentierung für Feinschmecker. Die Ballade vo"
Schloss der Geisterwalzer, das entzückende Kano»'
duett ',Nur fein stacit," Ne ganze RokokobaMsM
mit dem Finale, in das Offenbach in Person sew
'fortreissende Orgienlust zu feuern scheint, NUA
mer um Nummer, sind Meisterstücke, nach oem»
das verwöhnteste Ohr mit reiner Lust hinhorw-
Und das wirklich Gute bleibt immer frisch.
wie gestern, um so willkommener, wenn für u
s-ere Verhältnisse das Möglichste geboten wu"'
durch Dekorationen. Kleider und Licht, dem Au°
zu schmeicheln. Trotz seiner urechten Operett^
natur hat das Stück viel Opernaufbau, der ncum
lich Radis besonders liegt. Anfangs gingen dft s
meinsam-en Sätze noch nicht ganz festgekittet M
vor. aber nach und nach war dies glatte 2wrou
sehr erfreulich und wirksam, dank auch dem »ft .
ven Chor und dein Orchester, das sich iiir das, w
-es zu spieleu hat. wirklich interesiicreu kann.
Auch dieser Millöcker will richtig Lesung
sein. Da war Fräulein Weber als Coralie .
türlich am besten am Platz. Sie sang ionckAM
rein und geschmackvoll, auch mit Schwung. WA .
dazu lebhaft, freilich Alles opernhaft. nur
 
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