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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M I.

Mittwoch, den 5. Jannar.

Der Rabbi von Steſanesci.
Novelle von Mareo Brociner-Brodin.
CFortſetzung.)

Was lag nicht alles in dieſem einzigen Worte?
Es klang wie der aufjauchzende Erlöſungsruf einer
dumpfbedrückten Seele, wie der tönende Aufſchrei eines
überſprudelnden Luſtgefühls, ſo freud⸗ und wonnevoll,
ſo glück⸗ und luſtgeſchwängert; aber in dieſem vollen
Glockentone des Seelenjubels zitterte es auch wie ein
ſchmerzerſtickter Klagelaut, wie ein leiſe ſchauernder Vor-
wurf, wie ein funkelndes Aufdämmern des ſchuldbewuß-
ten Gewiſſens.
Lichtfunken ſpringen und tanzen dort über den feenhaft
glänzenden Silberſpiegel des Teiches, ſchlanke Waſſer-
lilien neigen die Köpfchen hin und her, eine weiße See-
roſe, von den blinkenden Wellen umkoſt, ſchaut traurig
und ſtillträumend hinauf zum blaſſen Mond, Libellen
und Glühwürmchen gaukeln wie lichtſprühende Diamanten-
tropfen um die Brombeerbüſche und um das leiſe flüͤ⸗
ſternde Schilfrohr, tiefer neigen die Trauerweiden ihre
Zweige zu den funkelnden Teichwellen und rauſchen leiſe
ihr eintöniges Klagegeflüſter, und oben auf der dunkel-
blauen Himmelswölbung ſchimmern und blinken licht und
hehr die ewigen Sternlein. ö
Der Rabbi ſchaut ſinnend durch die offene Glasthür
auf das ſanfte, ſtille Bild. Doch er ſieht nicht die
glänzenden Sternlein, er ſieht nicht den tröſtlich blinken-
den Mond. Eine weiße todtenhafte Nebelgeſtalt erhebt
ſich vor ſeinem Auge und ein ſchauervolles Klagen und
Stöhnen ſchlägt an ſein Ohr: „Du willſt es verlaſſen,
ſchnöde verlaſſen, Dein Volk,“ klagt es, „das tauſend-
jährige, uralte Schmerzensvolk; Du willſt ihn verlaſſen,
den ewigen Gott Deiner Väter, für den ſie gelitten und
geblutet, Jahrtauſende hindurch in frommer Ergebung,

geduldig harrend und hoffend; Du ſprengſt die Bande,

die ewigen, urheiligen Menſchenbande der Ehe, Du ſtößt
ſie grauſam von Dir, Dein Weib, Dein Kind!“
Und all' die kleinen ſchimmernden Sternlein wurden
zu luftigen Schemen, zu ſchauerlichen Todtengerippen mit
geiſterhaft hohlen Blicken, und dazwiſchen zogen wie
Nebelgebilde, mit wallenden Todtengewändern uralte
Rabbiner; ſie ſchüttelten ſo ſeltſam die finſtern Häupter
mit den weißen wallenden Bäxten und den traurig⸗ernſt
blickenden Augen. Dann brauſte donnernd der Ruf:
„Er verläßt es ſchnöde, ſein Volk, Jemach Schemo
Wezichro, — verflucht ſein Name und ſein Andenken!“
—. und tauſendfach hallte es wieder wie ein grauſig
dröhnendes Lachen.
„Der Rabbi ſtöhnte auf; er barg ſein todtenbleiches
Geſicht in ſeine Hände, um dem Anblick des grauſigen
Bildes zu entgehen. Da fühlte er ſich von zwei weichen
Armen leidenſchaftlich umſchlungen. Das ſchöne, ver-
führeriſche Weib lag an ſeiner Bruſt und preßte glühend
ihren Mund an ſeine zitternden, blutloſen Lippen. Der
grauſige Spuk verſchwand. Eine wilde Luſt blitzte in
ſeinen Augen. „Ich bin Dein, ewig Dein,“ flüſterte er.

Es iſt ſo ſtill, ſo todtenſtill. Blitzende

Siehſt Du dort durch die weite nächtliche Ebene
einen Wagen dahinraſen? Drin ſpinnt der Gott der
Liebe ſeine goldenen Fäden um einen bleichen Mann, der
ſein Weib, ſein Kind, ſeinen Gott verleugnet. — Fährſt
Du Deinem Glück entgegen, Rabbi? Wird neues,
ſonnenheiteres Sein Dich beglücken in den Armen dieſes
Weibes, das Dich jetzt ſo feſt umſchlungen hält und
Dich ſo glühend küßt? Ich höre ein dunkles Geſchick
die finſtern Schwingen regen, — unheilbringend, todes-
traurig.

V.

Eine dunkle Geſtalt mit wild aufgelöſtem Haar
ſteht vor dem düſtern Portale des Schloſſes. Sie preßt
die Hand an ihre ſtürmiſch wogende Bruſt und ſchaut
mit wirren Blicken dem dahinjagenden Wagen nach. Es
iſt die Zigeunerin Margiola. Sie hatte, von brennender
Eiferſucht verzehrt, in einem Nebenzimmer verſteckt, der
Unterredung des Rabbi mit der Fürſtin mit fieberhafter
Spannung zugehört, und all die wilde Leidenſchaft ihrer
ungebundenen Natur brach flammend hervor bei dem
Gedanken, daß der Mann, den ſie ſo heiß liebte, für-
immer der Fürſtin angehören ſollte. Ihr durch die
Leidenſchaft geſchärfter Verſtand ſagte ihr, daß die Fürſtin
deßhalb ſo eilends nach Jaſſy reiſe, um den Religions-
wechſel des Rabbi ſo ſchnell wie wöoglich zu bewerkſtelli-
gen, was ihr in Jaſſy, wo ihr Onkel, der Metropolit
Niclesco, reſidirte, leicht gelingen mußte. Ein Fieberfroſt
durchſchüttelte ihre Glieder, als ſie dann die Fürſtin,
gefolgt von dem Rabbi, in den Wagen ſteigen ſah; ſie
hörte bald das ferne Raſſeln der Räder und ihr ſchien,
als ob ſie zermalmend über ihr Herz dahinraſten. Da
blitzte ein erleuchtender Gedanke durch ihre Seele. ö
„Du ſollſt ihn nicht haben, Fürſtin!“ ſchreit ſie
wild auf, und wie von einem Dämon verfolgt, jagt ſie
über das weite Feld dorthin, wo die Bergkuppen ſich
vom dunkelblauen Horizonte abheben. Wildwuchernde
Gebüſche, Haſelgeſträuche und Brombeerhecken zerreißen
ihr luſtig fliegendes Kleid; die Metallplättchen, die far-
bigen Glasperlen und glänzenden Münzſtücke, die um
ihren Hals und um ihr rothes Wamms ſich ſchlingen,
klingen und klirren; manchmal reißt eine Schnur und
dann fliegt all der Flitterkram glitzernd und blinkend
durch die Luft. Die Zigeunerin achtet es nicht. Immer
weiter geht ihr Lauf. Bald umfängt ſie Gebirgsnatur.
Wie ein luftiges Nachtgeſpenſt, wie von Furien gepeitſcht,
ſetzt ſie jetzt über gähnende Spalten, über finſter drohende
Granitblöcke, in der ganzen athemloſen Haſt wildfiebern-
der Erregung und ausgerüſtet mit Kräften, wie ſie nur
den vagabundirenden Kindern einer wilden Gebirgsnatur
eigen ſind. Schon begann im Oſten der Morgen zu
dämmern, als ſie athemlos und erſchöpft, mit blutenden
Lamten und Füßen vor dem Schloſſe des Rabbi an-
angte. ö ö ö ö
Sie ſchwang ſich über das kleine Eiſengitter in den
Garten, eilte durch eine weite Allee bis an den Vorder-

bau heran und flog die dunkle Treppe hinauf. Ein
 
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