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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 96 - No. 104 (2. December - 30. December)
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Heidelbere

jer Familienblätter.

Beletriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

V 100. ö

Samſtag, den 16. December

1876.

Baleska.
— Novelle von S. v. d. Horſt.
ö CFortſetzung)

Bald war er doppelt ſo zärtlich wie ſonſt, ſchien
ſich nicht auf eine Minute von Valeska trennen zu können,
bald ſtreifte er auf einſamen Wegen ſtundenlang herum
und kam gar nicht in ihre Zimmer. Einmal fragte er
ſte ſogar, ob ſie in ſich die Gewißheit trage, mit ihm
Alles zu theilen, was die verhüllte Zukunft bringen
werde, ob es auch ihr ganz beſtimmter, unerſchütterlicher
Vorſatz ſei, ihm zu folgen und dennoch glücklich zu ſein!
„Ich folge dir durch die ganze Welt“, antwortete
ſie, „ich liebe dich über Alles, ich könnte einen Mord
begehen, wär's für dich!“ — ö
Er küßte ſie, wieder hingeriſſen von ſo flammender
Leidenſchaft. ö

„Du biſt alſo gewiß, daß dich nie der Gedanke an
das Unrechte unſeres Verhältniſſes bedrücken wird, meine
theure Valeska,“ fragte er, „du kannſt dich über dieſen
Gewiſſensvorwurf ganz hinwegſetzen? — O ich liebe dich
viel zu ſehr, um dir die Zukunft ſtehlen zu wollen! —
Valeska, biſt du ganz ſicher vor Reue?“ ö
Sie ſtreifte mit ſchneller Bewegung ſeinen Arm von
ſich ab und ſah ihn blitzenden Auges an.
„Adolph, bin ich dir bereits gleichgültig geworden?“
fragte ſie, heftig athmend, „hätte ich berechnender, vor-
ſichtiger handeln müſſen, dir gegenüber?“ ö
„O Valeska! — So wenig verſtehſt du mich?“ —
ſagte er vorwurfsvoll.
Sie flog zu ihm und bedeckte ſein Geſicht mit Küſſen.

„Adolph, wenn morgen das offene Verderben mich er-

eilen müßte, ſo ließe ich, um es abzuwenden, heute nicht
von dir! fluͤſterte ſie. „Ich liebe dich, du ahnſt nicht,
wie grenzenlos!“ 74
.„So zeig mir's, zeig mir's ganz!“ bat er, „damit
ich über mein Glück die grauen Schatten vergeſſe, welche
ſich ſo ſchwer verbannen laſſen! — —“ ö
Tag nach Tag verging; der zwölfte November brach
an — jener Morgen, welcher ſo unheilvolles Verhängniß
in ſeinem Schooße barg, welcher ſo ſchrecklich wie Gottes
Strafgericht in der Erinnerung vieler Tauſende, ſo lange
ſie arhmen, fortleben wird. —...
Egs ſtürmte ziemlich heftig, als am Nachmittag dieſes
Tages der junge Ingenieur ausging, um an einem be-
ſtimmten Orte mit ſeinem Bruder zuſammenzutreffen.
Georg kam ihm wirklich entgegen und eine wortloſe Um-
armung war die erſte Begrüßung der: Langgetrennten.
„Ich bin jetzt frei!“ ſagte tief erröthend der Jüngere,
„ich habe nun ehrlich mein Verſprechen gehalten, obgleich
es Schurken gegeben war — o Adolph, nun wollen wir
vergeſſen, was hinter uns liegt, und emſig arbeiten am
Werk des Fortſchrittes; nun wollen wir eine großartige
Maſchinenfabrik gründen, wollen Bahnbauten übernehmen
und hunderten von tapferen deutſchen Vereinsbrüdern eine
ſichere Heimath gründen, da wo der Mann gilt, was er

als ſolcher werth iſt, nicht als das, was ſeine Vorfahren
waren und wo er nur um ſeines Beſitzes willen ver-
göttert wird, wenn er auch perſönlich ein Schwachkopf
wäre!“ — ö
Adolph lächelte freundlich. „Noch nicht curirt von
dem Socialiſten⸗Traum eines irdiſchen Elends?“ fragte
er, „noch immer Schwärmer?“ ö
Der arme Knabe erröthete zum zweiten Male. „Du

meinſt, weil ich einmal ſo tief fiel?“ ſagte er traurig,

„weil ich das unrechte Mittel wählte, aus Verzweiflung
und in einer ſchlimmen Stunde? — O ich habe gebüßt,
Bruder, aber meine Menſchenliebe iſt nicht erkaltet, mein
Haß gegen die bevorzugten Raſſen nicht erlahmt! Eine
heilige Miſſion iſt mir der Socialismus nach wie vor,
ein heiliger Krieg, der Kampf gegen das Capital!“
V„Aber,“ wandte Adolph ein, „du würdeſt auch in
Amerika, ganz ſo wie hier, das Capital und ſeine all-
mächtige Kraft nicht entbehren können, um Fabriken zu
gründen und Bahnlinien herzu ſtellen!“ ö
„Nein — aber ich beſitze es ſelbſt, ich habe es er-
worben mit Aufopferung eines Theiles meiner Seelen-
ruhe — mit vielleicht unwiederbringlichem Gewiſſens-
frieden — ich will es ehrlich, Thaler nach Thaler, zum
Wohle meiner unterdrückten Brüder verwenden, ich will

deutſchen Arbeitern, ſo viel es in meiner Macht ſteht,
das Joch vom Nacken ſtreifen!“

Adolph ſah in die blitzenden Augen, in das ganz

erregte Geſicht des jungen Mannes und fühlte nicht den

Muth, ihm zu ſagen, „du ſprichſt von geſtohlenem Gute,
du biſt faktiſch ein Dieb!“ — Er wandte nur bittend
ein, daß ja doch, ſtrenge genommen, kein eigener Beſitz
genannt werden könne, was auf ſo zweifelhaftem Wege
erworben ſei, und daß er innig wünſche, Georg möge

bavon keinen Heller mit hinüber nehmen nach Amerika.

Der Jüngling ſchüttelte den Kopf. „Wir waren
Alle Socialiſten,“ ſagte er, „bis auf einen Lump, einen

ſogenannten Edelmann, der uns als Handlanger und

Spion diente, — wir haben nie einen Arbeiter oder ehr-

lichen Gewerbsmann um das Geringſte betrogen, ſondern

nur diejenigen bluten laſſen, welche von dem Marke des

Volkes, Vampyren gleich, zehren — namentlich da die
Spieler in Travemünde und was ſonſt große Tauge-

nichtſe waren. Mein Geld liegt ſicher verſteckt, da wo
wir uns trafen, du weißt, draußen an der Trave!“ꝰ“
Abdolph huſtete plötzlich, um ſein heißes Erröthen

zu verbergen, dann kam er auf den beregten Gegenſtand

zurück. — —
„Georg, ich habe in Amerika Verbindungen,“ ſagte
er eindringlich bittend, „ich kann genug erwerben für dich
und mich, bis ſich dir eine geeignete Stellung geboten —

laß das Geld liegen, wo es liegt!“

Georg lächelte. „Du denkſt, das wären einige Tau-
ſende!“ ſagte er, „aber ob du noch behaupten wirſt, ich
müſſe es leichtſinnig verſchmähen, wenn dir erſt die Größe
der Summe bekannt iſt, das bezweifle ich. Hundert-

tauſend Mark in baar, in Wechſeln und Caſſenanweiſungen

beſitze ich — was ſagſt du jetzt 7
 
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