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Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 26 - No. 34 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0113

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amilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 27.

Mittwoch, den 5. April

1876.

Zwei Tibelle.
Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
(Fortſetzung.)

Als Graf Wartenberg von dem Könige ging, nahm
er eine ſo ſtolze Haltung an, daß die im Vorzimmer
Verſammelten ſchloſſen: die Unterredung ſei für den Gra-
ſen ſehr günſtig ausgefallen. Der Graf entzog ſich jedoch
ſchleunigſt den Blieken der Hofherren und ſuchte, ſo ſchnell
es nur gehen mochte, in das Quartier ſeiner Gemahlin
zu gelangen.

„Wenn ich den Verfaſſer des Libells gegen die Kö-

nigin ausfindig machen könnte — ich werfe dem Entdecker
zweitauſend Thaler in den Schooß“, rief er der Gräfin
zu. Dieſe erblaßte — ſie ſagte ſich, wie viel auf dem
Spiele ſiehe.
„Und das Libell gegen mich?“ rief ſie gereizt. „Ich
ſoll keine Genugthuung erhalten? Sie ſprechen von der
Gnade des Königs — wird ſie mir nicht zu Theil?“
„Gedulden Sie ſich, meine Theuerſte,“ ſagte der
Graf. „Ich werde Sie nicht ohne Sieg aus dieſem
Kampfe führen. Ich muß für alle Fälle den Polizei-
meiſter Herrn de Portz aus Berlin kommen laſſen, alle
Scribenten müſſen verhört werden — Alle müſſen vor
den Richter.“
Die Gräfin erbebte; ſie hatte auf das erſte Gedicht
nicht gerechnet, es war leicht möglich, daß der Graf, dem
die Entſtehung beider Libelle unbekannt war, durch ſeinen
Eifer den Verfaſſer zu entdecken, die eigne Gattin in das
Verderben brachte.
„Wir wollen mit aller Ueberlegung und Vorſicht
zu Werke gehen, mein Gemahl,“ bat ſie. „Ich werde
Ihnen nicht mit der mir vorgeworfenen Ehrſucht ſchweres
Spiel machen. Suchen Sie den Verfaſſer — ich hoffe,
es wird Ihnen gelingen, den Kecken zu finden.
Im Schloſſe wurde ſoeben die Glocke für den ſoge-
nannten Pagentiſch geläutet. Die Mittagsſtunde war
gekommen. Der Graf und die Gräfin hatten ſich dem
Fenſter genähert, um die kühle, von dem nahegelegenen
Waſſerbecken herüberſtrömende Luft einzuathmen. Die
Gräfin bedurfte dieſer Erfriſchung, denn ihr Blut wallte
ungeſtüm. Der Verdacht, daß Heller auch das erſte Ge-
dicht gefertigt habe, war durch die Auseinanderſetzungen
des Grafen, durch ſorgfältigen Hinweis auf die Form
der Libelle, bei der Gräfin zur Gewißheit geworden, nur
vermochte ſie ſich noch nicht zu enträthſeln, durch wen und
weshalb der Dichter bewogen ſein konnte, ein Spottgedicht
gegen ſie — die Gräfin zu verfaſſen.
„„Sie ſind mit allen Vollmachten verſehen, mein Ge-
mahl?“ fragte ſie nach kurzem Sinnen.
„Der König hat mir befohlen, zu handeln. Ich
darf jede Verfügung treffen.“
„Die Gräfin dachte wieder ein wenig nach, dann
ſchritt ſie, ihre brennenden Schläfe mit einem in Odeur
getauchten Tuche kühlend zum Fenſter. Das Ueberlegen
hatte ihre Nerven angeſpannt — plötzlich fuhr ſie mit
einem Schrei zurück. ö ö

„Um Gotteswillen, was iſt Ihnen?“ rief der Graf
CGrife. — Sie faßte ihres Gatten Arm mit ſtarkem
Griffe. —
„St!“ lispelte ſie. „Treten Sie ein wenig zur
Seite — ſo — blicken Sie hinaus — dorthin, wo die
kleine Baumgruppe aufſteigt — ſehen Sie den jungen
Menſchen dort im braunen Rocke, mit dem runden
Hute?“
„Ja — was iſt mit ihm?“ ö
„Ich beſchwöre Sie, mein Gemahl, eilen Sie, dieſen
Menſchen in Ihre Hand zu bekommen — es iſt —
es iſt —“
„Nun, wer iſt es?“
„Ein — ein Dichter.“ Der Graf wurde aufmerk-
ſam und ſeine Augen öffneten ſich weit.
„Ein Dichter? Und was haben Sie mit dem zu
thun? Weshalb ſoll ich ihn verhaften laſſen oder in
meine Hand zu bekommen ſuchen?“
„Fragen Sie nicht,“ bat die Gräfin in flehendem
Tone. „Benützen Sie die Vollmacht des Königs —
laſſen Sie den Mann dort ergreifen.“
Die Mahnung wurde ſo dringend, ſo flehend gethan,
daß der Graf wohl ahnte, ſeine Gattin habe gewichtige
Gründe, ihre Bitten erfüllt zu ſehen. Er ſtürzte aus
dem Zimmer. Die Gräfin blieb erſtarrt am Fenſter-
pfeiler lehnend zurück. Ihr Plan war ſchnell gefaßt
worden. Es lag vor Allem daran, ſich des Dichters zu
verſichern, der das Pamphlet gegen die Königin im Auf-
trage der Gräfin verfaßt hatte — ihn in die Hände des
Grafen zu ſpielen noch ehe die Gegenpartei ſich ſeiner
als Werkzeug gegen die Wartenbergs bedienen konnte.
Wenn Heller nur einmal in Verwahrung gebracht war,
dann konnte man ihn leicht einſchüchtern und jede Ein-
wirkung der Feinde verhindern.
Heller ſelbſt war mit Hartwig nach Charlottenburg
gekommen. Der Kammerdiener hatte ihn, um alles Auf-
ſehen zu vermeiden, ſelbſt in einem Wagen zum Schloſſe
gefahren. Der Dichter folgte arglos dem Fremden, da
er keine Ahnung von den Vorfällen hatte und am We-
nigſten daran dachte, der Gräfin Wartenberg nahe zu
ſein, von deren Mitwirkung er ebenſo wenig Kenntniß
beſaß, die ihm gänzlich unbekannt war.
Hartwig war in das Schloß gegangen, um Wenſen

von der Ankunft Hellers zu unterrichten und hatte dem

Dichter befohlen, ihn an der Stelle zu erwarten, wo ihn
die Gräfin vom Fenſter ihres Wohnhauſes aus entdeckte.
Der Dichter ſaß, ohne das Wetter zu ahnen, welches
über ſeinem Haupte ſchwebte, auf einer Steinbank unter
den Bäumen. Er ſummte ein Lied vor ſich hin und trug
ſich mit dem Gedanken an neue Beſtellungen, als er be-
merkte, wie ein Offizier der Gardes du Corps auf ihn
zuſchritt. Der Ofſtzier blieb ungefähr zwei Schritte vor
dem jungen Manne ſtehen, lüftete ein wenig den Hut
und ſagte dann: ö
„Sie haben wohl die Güte, junger Monſieur, mir
zu folgen.“ ö
„Ach —“ ſagte Heller. Sie ſind ohne Zweifel von
dem Herrn Behnert ab geſendet, mich zu holen.“
 
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