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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 35 - No. 43 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

X 35.

Mittwoch, den 3. Mai

Die Gruft von Steffendorf.
ö Novelle von H. Fallung.
(Fortſetzung.)

Ein junger, im Abenddunkel marmorbleich erſcheinen-
der Mann näherte ſich, gefolgt von einem Arzte und
einem Diener dieſer Stätte des Unheils. Hätte man
den Engel des Todes malen wollen, man hätte den
jungen Johanniter als Urbild wählen können. Seine
feinen edelgeſchnittenen Züge drückten ebenſoviel Schwer-
muth als Theilnahme, ebenſoviel ſtolze Ruhe als tiefe
mitleidsvolle Bekümmerniß aus. Das Auge ſpähete
forſchend nach irgend einem Lebendigen unter ſo vielen
Todten und kehrte dann von den Reihen der ſtarren
lebloſen Streiter mit einem Ausdrucke tiefen Schmerzes
zurück. Seine hohe kräftige Geſtalt, in einfacher, durch
nichts als das rothe Kreuz auf der Bruſt ausgezeichneter
Kleidung, eilte mit elaſtiſchen Schritten den Begleitern
ſtets voran. Während der Arzt eine Laterne trug, deren
Strahlen das Bild der Zerſtörung auf einem kleinen,
begrenzten Raume erkennen ließen, führte der in eine
herrſchaftliche Livree gekleidete Diener verſchiedene Um-
hängetaſchen voll Erfriſchungen und das nöthige Verband-
zeug mit ſich. Ein leichter Krankenwagen von zwei feu-
rigen Rappen gezogen, folgte in kurzer Entfernung.
Von jenſeits des Grabens ſchien ein leichter Seufzer
herüberzudringen, doch konnte man bei dem Wehen des
herbſtlichen Nachtwindes ſich auch getäuſcht haben. Die
kleine Geſellſchaft, ihr Führer voran, überſprang den
Graben und ſchritt an der Weidenreihe ſchweigſam und
ſtill herab. Der Doktor leuchtete mit ſeiner Laterne einem
jeden der Schläfer in das Geſicht. Ueberall die näm-
liche eiſige Ruhe des Todes; lautlos, bewegungslos lagen
ſie da, gleich Steinbildern.
Schon wollte man ſich zum Gehen wenden, als ein
Streiflicht der Laterne über einen weißlichen, in einiger
Entfernung liegenden Gegenſtand hinglitt, der die Auf-
merkſamkeit erregte.
Näher hinzutretend fand man an einem Hügel die
Leiche eines jungen franzöſiſchen Offiziers. Dieſelbe lag
langgeſtreckt auf dem Rücken. Der Tod mußte augen-
blicklich erfolgt ſein, denn die nicht entſtellten Züge des
Gefallenen zeigten noch den trotzigen, entſchloſſenen Muth
und keinen Ausdruck des Schmerzes. Die Lippen waren
halb geöffnet, gleich als ob den weißen Zähnen dahinter
noch im letzten Augenblicke des Lebens ein feuriger
Commandoruf entflohen wäre. Die zarte, ſchmale und
ſaubergepflegte, jetzt wachsbleiche Hand hielt den blanken
Söäbel feſt umſchloſſen. ö
Dicht neben dem todten Offizier war ein junges
Mädchen, welches Männerkleidung trug, in knieender
Stellung lautlos zuſammengeſunken. Das lange reiche
Haar lag wirr und ungeordnet auf dem Nacken, das
bleiche Antlitz mit den geſchloſſenen Augen war ſeitwärts
der Leiche des Offiziers zugewendet. Ein tiefer Gram
umſchattete die Züge.

ein Hauch.

„Im Tode vereint,“ ſagte der Johanniterritter,
auf die ſtarre Gruppe ſein großes, theilnahmvolles Auge
richtend, mit tiefklingender, unterdrückter Stimme.
„Kugel mitten durch's Herz — wie vom Blitz er-
ſchlagen!“ bemerkte der Arzt, der inzwiſchen die Leiche
des Offtziers umgewendet und beſichtigt hatte.
„Hierher, Doctor!“ rief dann mit einem Male der
Johanniter, der ſich zu dem Mädchen herabgebeugt und
den Kopf deſſelben gewendet hatte, um die lieblichen
Züge in der Nähe zu betrachten; „hierher, hier iſt noch
Leben!“
Der Arzt folgte dem Rufe und kniete an der linken
Seite der Lebloſen nieder, ſeine Hand dem Herzen nähernd.
„Richtig,“ ſagte er, „es ſchläͤgt noch, auch ſcheint eine
Verwundung nicht eingetreten zu ſein.“
Er rieb die Schläfe mit flüchtigen Eſſenzen, welche
der Diener herbeibrachte.
„Armes Mädchen, faſt noch ein Kind,“ ſagte der
an der rechten Seite des jugendlichen Körpers nieder-
gebückte Johanniter. „Welch' ein Geſchick mag ihre
Schritte nach dieſer Wahlſtatt, an dieſen Ort des Todes
und des Grauens geleitet haben?“
Bei dieſen Worten ſchlug das ohnmächtige Mädchen
eine kurze Zeit lang die großen blauen Augen auf; ein
Seufzer öffnete die feſtgeſchloſſenen Lippen — kurz wie
Dann ſchien das Bewußtſein wieder zu
ſchwinden.
„Den Wagen heran!“ befahl der Johanniter dem
näher getretenen Diener. Er hob ſanft, aber mit kräfti-

ger Hand, das junge Mädchen vom Boden empor. Er

nahm ſie wie ein Kind auf den Arm. Ihre Bruſt ruhete
an ſeiner Schulter, ihre kaſtanienbraunen Locken hingen
wie ein beweglicher Schleier vor ſeinen Augen. Ein
Gluthſtrom ergoß ſich bei dieſer Berührung durch ſeine
Adern, ſein Herz pochte hörbar. Ein Gefühl des Wohl-
behagens und des Dankes, wie als hätte er ein längſt
verlorenes, ein vergeſſenes Glück wiedergefunden, oder
einen alten, ſehnlichſt vermißten Jugendfreund wieder an
ſeine Bruſt gedrückt, machte ihn erbeben. Mit ſeiner
Bürde ſchritt er behutſam und ſicher über den Graben
und legte ſie leicht und vorſichtig auf das in dem Wagen
befindliche Feldbett.
Dann hieß er den Diener zurückgehen, die Leiche des
jungen Offiziers zu durchſuchen und derſelben alle Gegen-
ſtände, die etwa auf ſeine Herkunft hindeuten, Aufſchluß
über ſeine Perſon gewähren und als letztes Andenken
den Angehörigen übermittelt werden könnten, mitzunehmen.
Die Uhr, welche der Diener mitbrachte, war eine
doppelgehäuſige goldene Cylinderuhr mit ſchwerer Gold-
kette, der Ring ein feiner ſchmaler Goldreif mit einem
blitzenden à jour gefaßten Brillant. In der Brieftaſche
fanden ſich nur wenige und kaum zu entziffernde Notizen
und die Karte des Eigenthümers. Sie trug den Namen
Alfred de Noirmont.
So kam Celine Poirot unter die Obhut der deutſchen
Krankenpflege.
Von einer unerklärlichen inneren Unruhe getrieben,
hatte ſie am Tage der Schlacht gegen Nachmittag Carignan
 
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