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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 70 - No. 78 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

77.

Mittwoch, den 27. September

1876.

Meiſter Pietro Vanurci und ſeine Geſellen.

Von Robert Avé-Lallem ant.
(Fortſetzung.)

Schlank und elaſtiſch rauſchte Zenobia durch das
Zimmer, um den Befehl der Frau Atalanta ausführen
zu laſſen. Und nach wenigen Minuten trat der Knabe
in den Saal, wirklich ein ſeltſam anmuthiger Knabe, aus
deſſen unbefangenen Geſichtszügen indeſſen doch ſchon ein
Alter von 14 Jahren herauszuleſen war. Beſcheiden und
doch ganz ohne Spur von Verlegenheit ging er, ſein
rothes Sammetbaret in der zierlichen Hand haltend, gegen
das Fenſter hin, an welchem beide Frauen wieder ihren
Stand genommen hatten, und hielt einige Schritte von
ihnen ſtille, zwei große ſeelenvolle Augen zu ihnen empor-
ſchlagend. So wartete er auf die Anrede oder die Be-
fehle der Damen. ö
Auf Beide machte er unbedingt den allerbeſten Ein-
druck; ja aus dem Geſicht der jungen Blondine ſtrahlte
ein förmliches Entzücken hervor, leiſe zurückgehalten von
einer Mädchenempfindung; der Knabe erſchien ihr größer
und älter als ſie ihn, wie er ſo da ſtand am Brunnen,
vermuthet hatte. — Die ältere Dame lächelte freundlich

herab zu dem Knaben, ſtreichelte leiſe und gütig ſein dich-

tes, hinten im Nacken grade abgeſchnittenes Haar, und
fragte dann mit weicher Stimme:

„Sage uns doch, kleiner Mann, wer du eigentlich

biſt? Wir möchten dich gerne kennen lernen und zum
Freunde haben! Wer iſt dein Vater, und wo wohnt ihr?“
Ein Wolkenſchatten zog über das Antlitz des Kna-
ben. „Mein Vater iſt vor einiger Zeit geſtorben; auch
meine Mutter iſt längſt todt, und ich wohne beim Meiſter
Pietro Vanucci“, erwiderte er mit bewegter Stimme.
„Beim Perugino?“ fragte Zenobia erſtaunt und tief
bewegt. „Aber was machſt du denn dort beim Pe-
rugino?“ ö ö
„Als mein Vater im Sterben lag“ — redete der
Knabe weiter — „empfahl er mich ſeinem Freunde Meiſter
Pietro. Bald nach dem Tode meines Vaters brachte
mich mein Oheim hierher nach Perugia, und ſo bin ich
eben beim Meiſter Perugino in der Lehre, um ein Maler
zu werden.“
„Und wo biſt du denn eigentlich her?“ fragte jetzt
Frau Atalanta mit tiefem Mitleid. „Und wie hieß dein
Vater? Wie heißt du ſelbſt?“
ö „Ich bin aus Urbino, Signora; mein Vater war
der Maler Santi daſelbſt, und ich bin Rafael getauft,
Rafael Santi aus Urbino!“
ö Unbewußt hatte der Knabe ſich mit dieſen Worten
eine große edle Empfehlung gegeben. Denn der Maler
Giovanni Santi war weit und breit bekannt im Lande
als ein edler Künſtler, und gar manche Kirche enthielt
Heiligenbilder von erſter Geltung von ihm, deren Farben-
ſchmelz noch heute bewundert wird. — Dazu kam noch,
daß Pietro Vanucci den Knaben ganz zu ſich genommen
hatte. — Pietro Vanucci aus der kleinen Stadt Piera

war längſt der Stolz von Perugia geworden; man nannte
ihn kurzweg den Peruginer Maler, den Perugino —
und man wußte längſt von ihm, daß er ſich wohl zu ge-
meinſamen Arbeiten mit manchen andern Malern ſeiner
Zeit vereinigte, auch ſelbſt zahlreiche Schüler ausbildete,
daß er aber in ſeinen nächſten Kunſtkreis nur einzelne,
ſehr wenige Jünglinge aufnahm, die von vornherein ein
entſchiedenes Talent verriethen. Und nun hatte er den
kleinen Rafael Santi aus Urbino ganz zu ſich genommen
— ein voller Beweis, daß er in dem Knaben ein ganz
außerordentliches Talent ſchlummernd entdeckt hatte.
„Ei, da werdet Ihr ganz gewiß ein großer Maler
werden,“ fuhr Zenobia freundlich fort, und die ſchöne
Blondine ſtrahlte förmlich auf im Anſchauen des edlen
Knaben, den ſie ſchon nicht mehr du anreden mochte —
„und wenn Ihr dann nicht zu ſtolz ſeid, ſollt Ihr mich
auch einmal malen.“
„Uns Beide zuſammen auf einem Bilde,“ ſetzte Frau
Atalanta gütig hinzu, während der Knabe glückſelig auf-
lächelte.
„Ja, beide Damen auf einem Bilde“ — erwiderte
er mit ſinnendem Ausdruck, als ob er ſchon der fertige
Maler wäre und beide Frauen bereits malen ſollte —
„beide Damen auf einem Bilde, Maria und Magdalena
neben einander!“ ö —
O pfui, wie ſchlecht!“ — rief Zenobia lebhaft aus
— ſehe ich denn ſo wild aus, wie eine Magdalena!“
„Nein, Signora“ — entgegnete der kleine Maler
mit ernſtem Nachdruck — „aber Ihr ſeid jung und
blond und ſchön, und ſo muß eine heilige Magdalena
ausſehen, ſagt Meiſter Pietro.“ ö
Zenobia ſah den Knaben durchdringend an. Faſt

erſchrack ſie vor ihm. Frau Atalanta entließ mit gütigen

Worten den neuen kleinen Hausfreund. „Grüße den
Meiſter Perugino auf das Beſte von mir, von der Frau
Atalanta am Brunnenplatz! dann wird er ſchon wiſſen,
wo du geweſen biſt, Rafael; — und komme bald wieder,
um dir deine heilige Magdalena recht anzuſchauen“, fügte
ſie ſcherzend hinzu. ö
Eine tiefere Verbeugung, als gewöhnliche Höflichkeit
der Zeit verlangte, machte der Knabe, um zu verbergen,
daß er feuerroth geworden war bei den ſcherzenden Ab-
ſchiedsworten der Frau Atalanta — und ging dann raſch
zur Thür hinaus.
Zenobig ſah ihm aus dem Fenſter nach, als er über
den Platz ging und nickte ſinnend mit dem Kopfe. —
Wahrſcheinlich hatte der kleine Rafael noch einmal herauf
gegrüßt in ſtiller Andacht zur heiligen Magdalena, und
zwei Menſchenſeelen hatten ein reines, inniges Bündniß
geſchloſſen, ohne ſich ein Wort darüber geſagt zu haben,
ja ohne es einmal ſelbſt zu wiſſen.
Ehe die Frauen Zeit gehabt hatten, ſich über den
Schüler Perugino's, der ſo eben fortgegangen war, zu

unterhalten, dröhnten die feſten Schritte eines gewaffneten

Ritters auf dem Vorplatz, und ohne ſich anmelden zu
laſſen trat eine gewaltige Mannesgeſtalt in das Gemach.
„Grüß' Euch Gott, Frau Atalanta“ — ſprach der
Eintretende mit lauter Stimme und ſetzte ſich auf einen
 
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