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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

V.A.

Samſtag, den 15. Jannar

1876.

Der Rabbi von Stefanesci.
Novelle von Marco Brociner-Brodin.

Fortſetzung.

„Kommen Sie, Fürſtin,“ drang der Jude in die

ſtarr vor ſich hin Blickende.
Er ergriff ihre Hand und führte ſie durch eine kleine
Hinterthür in den Hof. Der Wagen der Fürſtin ſtand
da bereits angeſpannt. Auf dem Bocke ſaß, die hohe
Pelzmütze auf die ſtruppigen Haare gedrückt, der Kutſcher
und kratzte ſich verlegen hinter dem Ohr. Er ſchien
ſeinen letzten Rauſch noch nicht völlig überwunden zu
haben. Mit einer Galanterie, wie man ſie dem jüdiſchen
Fanatiker nicht zugetraut hätte, half Herr Getzel der
Fürſtin in den Wagen und ſchwang ſich dann ohne Um-
ſände auf den Bock, wo er dem unwillig brummenden
Kutſcher alle Attribute ſeines hohen Amtes abnahm.
Langſam und vorſichtig um ſich blickend, lenkte er die
Pferde durch das kleine Thor ins Freie hinaus. Dann
ging es unter aufmunternden Rufen und leichten Peitſchen-
hieben eine langſam aufwärts führende Straße hinauf.
Nach einigen Minuten erreichten ſie ein kleines einſtöcki-
ges Haus, das dem Getzel Daniel, der um Podoloe
herum ein Gut in Pacht hatte, gehörte. Der Wagen
hielt an. Zugleich mit dem Juden war auch ſchon die
Fürſtin aus dem Wagen geſtiegen.
ö „Wo iſt der Rabbi?“ flüſterte ſie ihm zu, indem
ſie ihn krampfhaft hei der Hand faßte. ö
„»Sie werden ihn bald ſehen,“ gab er ebenſo leiſe
zur Antwort.
Der Kutſcher erhielt die Weiſung, in den Hof
hineinzufahren und daſelbſt, ohne die Pferde auszuſpannen,
des weiteren Befehles zu harren. Getzel führte nun die
Fürſtin eine dunkle Treppe hinauf; er öffnete dann eine
kleine Thür und erſuchte ſie, in ein hellerleuchtetes Gemach
einzutreten. Die Fürſtin gehorchte ſchweigend. Er deu-
tete auf ein Fenſter, von dem aus man das Stiädtchen
überblicken konnte. ö
„Wollen Sie ſich einen Augenblick herbemühen,
ſagte er mit rauher Stimme. ö
Die Fürſtin trat ans Fenſter. Es war ein grauen-
haftes Bild, das ſich vor ihren Augen abſpielte. Wildes
Wuthgeheul ausſtoßend, ſtanden die Juden vor dem
Gaſthauſe; in den heftig geſticulirenden Händen hielten
ſie die dicken Wachskerzen, die ſie aus der Synagoge
mitgebracht, und das röthliche Licht flimmerte geſpenſter-
haft um die weißen Todtenkittel und um die Köpfe mit
den langen ſchwarzen Bärten. Dann wurde es einen
Augenblick ſtill. Die düſtern Geſtalten traten zu einer
Berathung zuſammen. Auf einen flugs herbeigeſchafften
Tiſch, der die hohe Beſtimmung einer Rednertribüne haben
ſollte, kletterte ein greiſenhaftes Männlein; es war der
Rabbiner des Ortes. Nach allen Richtungen hin flogen
die Arme des Redners, die hohe ſchwere Zobelmütze tanzte
auf dem kleinen hin und her ſich bewegenden Kopfe,
während die kreiſchende Stimme in ſtoßweiſen Aus-

rufungen und Verwünſchungen durch die tiefe Stille
ſchrillte. Eine wilde Acclamation folgte ſeinen Worten.
Nach allen Richtungen ſtoben die Juden auseinander und
kamen bald darauf mit glimmenden Feuerbränden be-
waffnet zurück. Wieder brach das Wuthgeheul aus, die
Feuerbrände flogen, funkelnde Kreiſe beſchreibend, auf
das ſtrohbedeckte Dach des Gaſthauſes. Die Fürſtin trat
vom Fenſter zurück; ſie ließ ſich auf einen Holzſtuhl
nieder und ſchaute düſter vor ſich. Da ſchallten ſchwere,
knarrende Tritte von der Treppe her, die Thür ging auf
und herein traten die beiden Colomeger Juden, Mendel
Zwiebel und Joel Grünſtein.
„Gott, was bin ich gelaufen,“ ſchrie Mendel Zwie-
bel, indem er ſich in ſeiner ganzen Corpulenz auf einen
Divan fallen ließ; „gelaufen, Getzel, ſag' ich Dir, wie
ein ungariſches Pferd.“ Das lebhafte Männlein, Joel
Grünſtein, tänzelte indeß, ſeine Locken drehend, im Zim-
mer herum. „Ein wilder Mann, Getzel, ein furchtbar
wilder Mann,“ begann er mit einer dünnen Fiftelſtimme,
„iſt dieſer alte Rabbiner. Was hat er geſagt? — Ge-
ſagt hat er, daß ein Haus, in dem ein Rabbi eine Goje
(Chriſtin) geküßt, muß verſarfet (verbrannt) werden,
und nun ſtecken ſie das Haus in Brand, — in Brand,
ſag' ich. — Gott! und das Gericht! — Hab' ich mich
gefragt, haben die Leute nicht Furcht vor a Gericht, vor
a Landes⸗ oder Kreisgericht, oder vor a Polizeimann,
oder vor a Gendarm. Bin ich auch gelaufen, wie Men-
del Zwiebel, ich will gar nicht dabei ſein. Hab' ich das
Haus nicht angezündet, ſo kann mir nichts geſchehen,
und dann bin ich hergelaufen wie Loth, als Sodom und
Gomorrha hinter ihm brannte. Und wenn ſie mich als
Zeuge rufen, ſo will ich ſchwören, ich habe garnichts,
ich ſage garnichts, geſeh'n!“ꝰ ö
„Ruhe!“ befahl Getzel Daniel. Er trat dann an
die Fürſtin heran und ließ ſich auf einen Seſſel an ihrer
Seite nieder.
Er glättete ein wenig ſeine Schläfenlocken und ſchaute
lange mit ſeinen graugrünen, ſtechenden Aeuglein auf das
ſeltſame Mienenſpiel der Fürſtin.
„Fürſtin,“ begann er, „ich weiß nicht, ob Sie ſich
an den Namen Getzel Daniel erinnern können.“ Ein
höhniſches Lächeln flog bei dieſen Worten über ſein fin-
—— Geſicht mit der ſpitzen, vorſpringenden Hamſter-
naſe. — ö
„Ich kenne ihn nur zu gut,“ lächelte ſie bitter.
„Das freut mich, bei Ehr' und Glauben, es freut
mich herzlich. Wir haben ja ſo manches Geldgeſchäft
gemacht und dienſtbefliſſene Freunde ſoll man nicht ver-
geſſen. Und jetzt, Fürſtin, wollen wir auch ein Geſchäft
machen, bei Ehr' und Glauben, ein gutes, profitables
Geſchäftchen. Fürſtin,“ fuhr er mit ernſtem Tone fort,
„Sie ſehen wohl ſelbſt ein, daß es nicht recht von Ihnen
war, unſern Rabbi zu ſo einem Schritt zu verleiten.
Das Wüthen der Menge draußen zeigt Ihnen, welch'
furchtbaren Eindruck dieſer Vorfall auf unſere Juden
gemacht. Doch nun iſt, Gott ſei Dank, die Gefahr ab-
gewandt, der Rabbi iſt Ihnen entriſſen und wir werden
 
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