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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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idelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Mittwoch, den 12. Januar.

1876

Der Rabbi non Steſanesri.

Novelle von Marco Brociner- Brodin.

(Fortſetzung.)

„Ich habe bis jetzt nur vor meinem Gott gekniet,“
fuhr ſie bitter weinend fort, indem ſie der Fürſtin zu

Füßen fiel, „ich beuge flehend jetzt meine Knie vor
Bei der ewigen Liebe, die Gott in unſer Herz
das in Ihnen für meinen

Ihnen.
geſenkt, bei dem Gefühle,

men eines Mannes, der Sie und Ihr Judenthum beſſe-

zu würdigen verſteht, vergeſſen und ein neues, glücklicheres

Leben beginnen werdenn.

ö flammte wild.
mit Ihrem teufliſchen Hohne! — Noch ein Wort, Iſaak,“

Gatten lebt, beſchwöre ich Sie: treten Sie zurück, Fürſtin!“

Sie können, Sie werden nicht glücklich ſein, wenn Sie
unbeſonnen ihr Glück auf fremde Trümmer bauen, mit
fremdem Weh und Herzeleid erkaufen wollen. Wie ein
blutig drohendes Geſpenſt, das der finſtern Gruft ent-
ſteigt, wird mein Bild inmitten Ihres ſtrahlenden Lebens

vor Ihre und ſeine Augen treten und Ihnen jeden Augen-

blick der ſchäumenden Luſt mit tiefem Grauen verbittern.
Und bald, Fürſtin, nur zu bold wird der Mann, der
jetzt in frevelndem Wahne ſein vergangenes Leben von
ſich ſtößt, aus der berauſchenden Wonne, aus der dumpfen
Verblendung erwachen, entſetzt erwachen, und jeder Kuß,
den Sie auf ſeine Lippen drücken werden, wird wie ein

brennender Gifttropfen auf ſeine Seele fallen; unſtät

und flüchtig wie jener Brudermörder Kain wird er in
frevelhafter Luſt und Qual ſich herumwälzen und aus
dem dunkeln Schooße des übertönten Gewiſſens werden

ſie leiſe emportauchen, der Reue und des Zweifels nacht-

erzeugte Schauergebilde, die rächenden Gedanken, und
gleich finſtern Dämonen werden ſie ihn verfolgen bis der
Todesengel die ſündenvolle, gramdurchwühlte Seele vor
den Richterthron unſeres allmächtigen Gottes, unſeres
ewigen Rachegottes führen wird.“
Sie hielt ermattet inne. „Wenden Sie Ihr Angeſicht
nicht ab von mir, Fürſtin,“ fuhr ſie dann mit zitternder
Stimme fort, „ſehen Sie mich an, ich bin ein krankes,
ſterbendes Weib. Ich fühle, wie meine Lebenskraft leiſe
verrinnt,“ ſprach ſie langſam weiter, „bald iſt mein letzter
Kampf gekämpft. Haben Sie Erbarmen, Fürſtin, Er-
barmen mit einer Sterbenden, laſſen Sie nicht meine
mattbrennende Lebensflamme in dumpfem Schmerz er-
ſticken und ein Gott wird es Ihnen lohnen.“
Sie blieb nach dieſen Worten kraftlos liegen. Die
Fürſtin ſchaute lange die unglückliche Jüdin an, und
es ſchillerte ſo ſchlangenhaft in ihren großen blauen
Augen.
„Stehen Sie auf, Madame,“ ſagte ſie mit ihrem

hellen Silberton, „laſſen wir dieſe theatraliſche Scene,

die mir recht peinlich iſt. Ich habe Ihnen Ihren Gatten
nicht geraubt,“ fuhr ſie lächelnd fort. „Aus freiem
Willen und in ernſter, männlicher Erwägung brach er
die verhaßten Bande, die ihn an das Judenthum und
an ein Weib feſſelten, das nicht ſein Herz beſitzt. Sie
nehmen es gewaltig ernſt, Madame, gewaltig ernſt in
der That. Bei uns faßt man das anders auf und fügt
ſich geduldig in das unabänderliche, tragiſche Geſchick.
Thun Sie daſſelbe, Madame, und ich kann Ihnen ver-
ſichern, daß Sie in Kurzem Ihren Schmerz in den Ar-

Rahel richtete ſich entſetzt auf, ihr dunkles Auge
„Genug, Fürſtin,“ ſchrie ſie auf, „genug

fuhr ſie zu ihrem Gatten gewendet fort, der wie bewußt-
los daſaß; „Du verläßt Dein Weib, Dein Kind, gran-
ſam, herzlos; Du verleugneſt unſern Gott — gut, trinke
ihn bes zur Neige, den Becher des berauſchenden Wahnes.
Ich will nicht mehr zu Deinem Herzen ſprechen, aber an
Deiner Manneswürde will ich rütteln, den letzten Funken
Deiner Mannesehre anfachen, auf daß Deine Schande
in erſchreckender Klarheit vor Deinen Augen ſtehe. Ver-

ſtoße uns, wandle Deine neue Lebensbahn; aber nicht

mit dieſem Weibe, mit dieſem Weibe nicht, das in des
Laſters üppigen Entzückungen am hellen Tage ſchamlos
geſchwelgt; mit dieſer Gefallenen nicht, die den Götter-
ſchein der Tugend, die des Weibes göttliches Gefühl wie
eine Dirne frech verlacht. — Du trauſt dieſem Weibe
Liebe zu? Das heilige Gefühl ſoll in dem ſündigen
Herzen brennen? Nein, bei Gott, ein Spielzeug, nur
ein Spielzeug biſt Du ihr, das ſie in des Augenblickes
launenhafter Begier ergreift und das ſie, luſtgeſättigt,
bald von ſich ſchleudern wird.“
Sie hielt ſchwerathmend inne. Der Rabbi fuhr
wie aus einem ſchweren Traume anf. Die nieder-
ſchmetternde Beſchimpfung ſeines heiligſten, tieſten Ge-
fühles, die entehrende Beſchuldigung jenes Weibes, das
wie ein funkelnder Stern an ſeinem Levenshimmel ſtrahlte,

löſte blitzſchnell die dumpfe Erſtarrung, die auf ſeinem

Herzen lagerte, und verſcheuchte jedes ſchmerzliche Auf-
dämmern ſeines ſchuldbeladenen Gewiſſens. Eine kühne
Thatkraft brauſte in ſeiner Seele auf und ſie blitzte aus
ſeinen glühenden Augen heraus, als er ſich jäh erhob
und ſtolz und frei den Arm um die Fürſtin ſchlang, die
bleich und zornpebend daſtand. ö
„Sieh' hier dieſes Kreuz,“ begann er mit grollender
Stimme, während die Ader an ſeiner Stirn mächtig an-
ſchwoll, „ſagt es Dir nicht, daß ich nicht mehr Jude bin,
daß ich alle Bande, die mich an Dich gefeſſelt, geſprengt?
Ja, frei bin ich, frei durch die eigene kühne That, und
mit ſtolzem Bewußtſein ſprech' ich es aus, daß ich dieſes
Chriſtenweib heiß und innig liebe, und daß ich, um-
ſchlungen von ſeinen Armen, zu einem ſchönen, glücklichen

Leben geſunden will.“

Tiefe Stille herrſchte nach dieſen Worten. Die
Fürſtin ſchaute mit heißen, flammenden Blicken in das
leichtgeröthete Geſicht des Rabbi.
„Ja, golden winken mir die Morgenthore einer
lebensheitern, glückverheißenden Zukunft,“ begann er nach
einer Weile wieder und ſeine Stimme klang jetzt ſchwär-
meriſch ſanft, „einer Zukunft, wo jeder Tag mir neue
ſüße Freude, jede Nacht mir ſanfte, ſtille Liebesſtunden
bringen wird. Kein Schauerbild wird meines Glückes
Frieden ſchrecken, und wenn je ein finſterer Schatten
meinen Geiſt umdüſtern ſollte, ſo werde ich Dir ins
Auge blicken, Helene, und die Liebe, die aus dieſen
 
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