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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 9 - No. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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erger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M15.

Mittwoch, den 23. Februar

1876.

Zwei Tibelle.

Eine Hofgeſchichte von Georg Hiltl.
Nachdruck verboten. Beſ. v. 11. VI. 70.

Der Spreefluß glänzte im hellen Sonnenlichte. Die
kleinen Buchten, welche ſeine Ufer in verſchiedenen Zwi-
ſchenräumen bildeten, waren mit dichtem Rohr angefüllt,
deſſen Kronen und Spitzen im ſanften Winde rauſchten.
Einige Schiffe zogen geräuſchlos den Fluß entlang in der
Richtung gegen Spandau, die weißen Segel blähten ſich
allmälig, je friſcher der Wind blies und die Schiffer be-
gannen ihre ſchweren Ruderſtangen langſamer zu hand-
haben. Am jenſeitigen Ufer erſchien zuweilen ein Trupp
Menſchen, ſie wandelten nach Berlin, deſſen Thürme und
Mauern, Wälle und Thore in dem ſcharfen Sonnenlichte
ſo deutlich hervortraten, daß man die Uhren und die
Schießſcharten, ſo wie einzelne Geſchützſtücke, welche auf
den Werken ſtanden, deutlich zu erkennen vermochte. Im
Uebrigen war es ringsum ganz ſtill und einſam, nur hin
und wieder ſtieg aus dem Röhricht ein Vogel auf, ſchwebte
einige Zeit über der Waſſerfläche und kehrte dann in
ſeine grüne Behauſung zurück.
Es war eine Stelle, eine Umgebung, welche ſo recht
zum angenehmen Träumen einluden, zu jener Beſchäfti-
gung, die der Italiener das dolce far niente, der Deutſche
in derberer Weiſe: „Faullenzen“ oder „Zeit todtſchlagen“
nennt. Dieſe Stelle lag hart an der Landſtraße, von
Berlin nach Lietzenburg oder Charlottenburg. Letzteren
Namen führte der Ort, ſeitdem ihn der erſte König von
Preußen, Friedrich, alſo getauft hatte. Der Name
Lietzenburg war ausgeſtrichen, denn die Königin Sophie
Charlotte beſaß nun ein reizendes Schloß nebſt pracht-
vollem Parke daſelbſt und der ſchönen geiſtvollen Ge-
mahlin zu Ehren mußte die neue königliche Wohnung
den Namen der gefeierten Eigenthümerin tragen, um ſo
mehr, als Lietzenburg's Schloß noch zu jener Zeit erbaut
worden war, wo der nunmehrige König von Preußen
den Kurhut trug. Mit der Königskrone ſollten viele
neue Dinge geſchaffen, viele alte beſeitigt werden, der
Koͤnig wollte nicht mehr an den Kurfürſten erinnert
ſein und nur das Dorf Lietze, welches ſich neben dem
Schloſſe hinzog, mahnte daran, daß der ganze Ort ehe-
mals einen andern Namen geführt hatte.
Aber der ſchöne dichte Laubwald, deſſen Ausläufer
ſich bis zum Thore von Berlin erſtreckten, war in ſeiner
ganzen Fülle erhalten, wenngleich breite Wege von der
königlichen Wohnung bis zum Charlottenburger Schloſſe
durch die Waldung gehauen waren. Dieſe dehnte ſich
denn auch behaglich längs des Fluſſes aus, zog ſich
nordwärts über die ganze Fläche gegen Lietze, faßte einen
Theil des Spreeufers ein und bildete den großen bäume-
reichen Bezirk, welcher den Namen „Thiergarten“ führte,
deſſen Ueberbleibſel noch heute eine Zierde der Um-
Fitdene der mächtig emporgewachſenen Reſidenzſtadt
ilden. ö
Es war alſo recht ſtill und heimlich unter den

Baumgruppen, welche zunächſt des Spreeufers ſich aus⸗ ö

ihre Zweige zuſammenſchlingend,

dehnten, an deren Fußenden, zwiſchen den dicken Stäm-
men das Gras üppig wucherte, und eine ſolche Gruppe
nebſt allem landſchaftlichen Zubehör war ganz geeignet,
um bei oder unter ihr jener obengenannten Beſchäftigung
des ſüßen Nichtsthuns nachgehen zu können.
Das ſchien denn auch ein junger Mann zu empfin-
den, der ſich bequem in das Gras geſtreckt hatte und,
die Hände unter das Haupt gelegt, zu den rauſchenden
Baumwipfeln emporſtarrte, welche, in beträchtlicher Höhe
eine Laube über dem
Haupte des Ruhenden bildeten, der — ſoweit man auch
umher ſchauen mochte — zur Zeit das einzige menſchliche
Weſen war, das in der Einſamkeit des Waldes ein Plätz-
chen aufgeſucht hatte. Neben dem Träumer lag ein
kleines Heft, wie es etwa die Schulkinder zu ihren ſchrift-
lichen Arbeiten benutzen, ein Griffel oder Schreibſtift
war zwiſchen die Blätter geklemmt, der Hut des Ruhen-
den lag neben dem Hefte.
Eine Zeit lang machte der junge Mann keine Be-
wegung, dann hob er ein wenig den Kopf, ſein rechter
Arm dehnte ſich aus und ergriff die Schreibmaterialien,
hob ſie empor und bald hatte der Mann einige Zeilen
auf das Papier geworfen.
„Hm! — das wird's thun,“ ſagte er vor ſich hin.
„Es wollte heute gar nicht recht gehen. Ein ſeltſames
Ding, dieſe Muſe — ſie iſt beim beſten Willen nicht
immer zu feſſeln. Heut war ſie mir recht untreu —
nun — ſie hat ſich bekehrt — ſo — ſo —.“ Bei die-
ſen letzten Worten fügte er dem bereits Geſchriebenen
noch einige Worte hinzu, erhob ſich dann und änderte

ſeine Lage dergeſtalt, daß er im Graſe ſitzend, den Rücken

an den Stamm einer Buche lehnte. ö
„Nun noch einmal das Ganze durchfliegen,“ ſagte

er und entfaltete das Heft, worauf er mit lauter Stimme

zu leſen begann, was er niedergeſchrieben hatte.
Es war — wie ein Lauſcher hätte wahrnehmen kön-
nen — ein Gedicht und zwar ein Glückwunſch in Verſen,
der bei einer Hochzeit glänzen ſollte. Der Dichter ſchien
vollkommen mit ſeinem Erzeugniß zufrieden, denn wäh-
rend des Leſens verzog ſich ſein Antlitz zu einem Lächeln
und als er die letzten Strophen ſich ſelbſt vorgetragen,
klappte er ſein Heft zuſammen und ſchob es in die Taſche
ſeines Rockes, wobei er ausrief: „finis coronat opus.“
Hierauf gab er ſich einer anderen Beſchäftigung hin,
denn er nahm aus der linken Rocktaſche ein Packet, wel-
ches nach geſchehener Oeffnung ein ſtarkes Butterbrod
ſehen ließ, das der Poet ſofort zu verzehren begann.
Während dieſes Vorganges ſummte der junge Mann ein
Liedchen vor ſich hin und bemerkte nicht, daß ſich ihm
eine Perſon näherte, die ſchon der Vorleſung des Ge-
dichtes aus einiger Entfernung gelauſcht hatte und nun
langſam näher trat. Es war ein Mann, etwa in der
Mitte der fünfziger Jahre ſtehend. Er trug dunkle, aber
ſehr elegante Kleidung. Seine Schuhe waren mit ſil-
bernen Schnallen und breiten Bandroſen geziert, in der
Hand hielt er ein ſchönes, ſpaniſches Rohr mit dickem
goldenen Knopfe.
Er näherte ſich dem Einſamen ſchrittweiſe und mög-
 
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