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Heidelberger Familienblätter — 1876

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No. 1 - No. 8 (5. Januar - 29. Januar)
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Heid

elberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

X 6.

Samſtag, den 22. Januar

1876.

Ber Rabbi von Stefanesci.
Novelle von Marco Brociner-Brodin.
Schluß.)

Die Fürſtin lächelte; ſie ſchaute die einzelnen Werth-
papiere ſorgfältig der Reihe nach an und ſteckte ſie dann
in eine mittelgroße, zierliche Geldtaſche. Und wie die
Geldtaſche in dem Mantel der Fürſtin verſchwand, da
ſeufzten die beiden Colomeaer Juden ſchwer und
bitter auf.
„Nun, Fürſtin,“ begann Getzel Daniel, „wollen
Sie mir zum Rabbi folgen und vergeſſen Sie nicht, die
Erklärung mitzunehmen.“
Die Fürſtin erbleichte. Sie erhob ſich raſch und
folgte dem Getzel die Treppe hinab; die beiden Colomeaer
ſchlichen gedrückt und kummervoll hinter ihm her. Draußen
hatte ſich indeß der Himmel mit ſchwarzen Wetterwolken
überzogen, einzelne Windſtöße pfiffen um das freiſtehende
Haus; die Bäume, die rings um daſſelbe ſtanden, rauſch-
ten und raſchelten; aus der Ferne ließ ſich ein dumpfes
Donnergeroll vernehmen. Die Fürſtin folgte dem Juden
durch einige Zimmer im Erdgeſchoſſe, die ihr finſtere,
drohende Blicke zuwarfen. Eine unheimliche Stille
herrſchte in dieſen Räumen.
„Treten Sie ins nächſte Zimmer ein,“ ſagte Getzel
Daniel, als ſie in einem kleinen Gemache anlangte, das
von einer kleinen Oellampe düſter beleuchtet wurde.
Die Fürſtin öffnete die Thür. Sie befand ſich in einem
großen, ſchön möblirten Salon. Im Hintergrunde deſſel-
ven fiel ein ſchwerer Damaſtoorhang von der Decke
herab. Die drei Fenſter an der Frontſeite, durch die
man die Ausſicht auf's Städtchen hatte, ſtanden weit
geöffnet. Vor einem kleinen Tiſche, auf dem in hohen
Silberleuchtern zwei dicke Wachskerzen hin und her
flackerten, ſaß, dumpf vor ſich ſtarrend, den Kopf auf
beide Hände geſtützt, Rabbi Iſaak. Beim Eintritte der
Fürſtin ſchlug er die Augen auf.
„Helene, meine Helene!“ rief er aus, indem er auf-
ſprang und mit wilder Haſt das ſchöne Weib umſchlang.
Er legte das Haupt an ihre Bruſt. „Dieſe Wütheriche,“
rang es ſich mühſam von ſeinen Lippen los, „ſie ſollen
uns nicht auseinanderreißen.“ Er hob das Haupt in
die Höhe und ſchaute ihr tief ins Auge. „Helene“, be-
gann er, und ſeine Stimme klang ſo ſchmelzend weich,
„ſei ohne Furcht, der morgende Tag wird uns die Frei-
heit bringen.“
Die Fuͤrſtin entwand ſich leiſe ſeinen Armen. Das
dumpfe Gefühl ihrer Erniebrigung, das tiefbeſchämende
Bewußtſein, dieſen Mann betrogen zu haben, legte ſich
ichwer auf ihr Herz. Da erſchien hinter der Thür das
finſtere Geſicht Daniels; ſie ſah die grünlich funkelnden
Augen, die lauernd höhniſch auf ihr hafteten. ö
„Wir müſſen ſcheiden, für immer ſcheiden,“ brachte
ſie ungeſtüm und haſtig hervor, „lies hier.“
Sie überreichte dabei dem Rabbi das Papier,
er mechaniſch ergriff.

*

haſtig abwandte und ans Fenſter trat.

das wirbel.

„Was ſoll ich damit?“ fragte Rabbi Iſaak, über
das ſonderbare Benehmen verwirrt. ö
„Unterſchreiben,“ flüſterte die Fürſtin, indem ſie ſich
Ihre Wangen
glühten, in haſtigen Athemzügen hob ſich ihre ſchön⸗—
gewölbte Bruſt.
Rabbi Iſaak überflog die paar Zeilen. Das Papier
entfiel ſeiner Hand. Schwer und müde ſank ſein Haupt
auf die Bruſt. Keine Miene zuckte in dem todtenblaſſen
Geſichte mit der freien, gedankenkühnen Stirn, um die
das dunkle Gelock wirr herumlag. Er verharrte einige
Zeit in dieſer Stellung, dann richtete er ſich auf und
trat an die Fürſtin heran.
„Helene,“ begann er mit matter Stimme und eine
unendliche Wehmuth lag in ſeinen dunkeln, ſchönen Au-
gen, „Helene, warum thuſt Du das?“
„Warum die Fürſtin das lhut, Rabbi?“ ſprach
höhniſch lächelnd, mit dämoniſcher Berechnung Getzel
Daniel, der plötzlich hervortrat und vor dem Radbi ſtehen
blieb; „warum ſoll es die Fürſtin nicht thun? Sie
hat ſich ja dafür, daß ſie Ihnen entſagt und für dieſe
Erklärung uns Ihre Unterſchrift verſchafft, fünfzigtauſend
Ducaten ausbedungen, und wir haben ihr, bei Ehr' und
Glauben, Rabbi, die Geldſumme bereits ehrlich ausbe-
zahlt.“ Er ſtellte dabei Tintenfaß und Feder auf den
Tiſch. Rabbi Iſaak blieb erſtarrt ſtehen. Mit weit
aufgeriſſenen Augen ſchaute er bald auf den Juden, bald

auf die Fürſtin, die mit niedergeſchlagenen Blicken bleich

und zitternd daſtand.
„Iſt es wahr, Helene,“ keuchte endlich der Rabbi,
iſt es wahr, was dieſer Mann da behauptet? Iſt es
wahr?“ fuhr er fort, indem er ſich aufraffte; „ſo ſprich
doch, Helene, ſtrafe ihn Lügen.“ Seine Stimme klang
jetzt gebietend, grollend. Die Fürſtin gab keine Ant-
wort. Rabbi Iſaak trat an den Tiſch, tauchte die Feder
ein und ſchrieb in großen Zügen ſeinen Namen hin.
„Ihr habt ein ſchlechtes Geſchäft gemacht, Daniel,“ ſagte
er dumpf, und ein bitteres, ſchmerzvolles Lächeln kräuſelte
ſeine Lippen.
Getzel Daniel ergriff haſtig die Erklärung, verbeugte
ſich gegen die Fürſtin und verließ das Zimmer.
Der Rabbi trat nochmals an die Fürſtin heran.
Sein Geſicht hatte ein düſter ſtrenges Gepräge angenom-
men. „Sieh' hin,“ ſprach er mit unheimlich luſtig
klingender Stimme, wobei er mit der Hand in die Nacht

hinauswieß.

Es war ein wildſchönes, grauenhaftes Bild, das
vor ihren Augen lag. Die ganze Häuſerreihe des Städt-
chens ſtand in hellen Flammen; von den heftigen Wind-
ſtößen getrieben, flogen die praſſelnden Funken, tauſend-
fach zerſtiebend, von den ſchwarzen Rauchwolken umhüllt,
gegen den düſterrothen Nachthimmel. Der Teich um das
Städtchen glänzte wie geſchmolzenes Silber; über dem-
ſelben tanzten, hüpften und ſprangen in krauſen Win-
dungen wie feurige Schlangen die ziſchenden Funken-
Ein meilenweiter Umkreis war von dem un-

heimlichen Feuerſcheine übergoſſen. Die düſteren Wälder,
 
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