Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1876

DOI Kapitel:
No. 44 - No. 51 (3. Juni - 28. Juni)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43705#0209

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 51.

Mittwoch, den 28. Juni

1876.

Bie Gruft von Steffendorf.
Novelle von H. Fallung.
(Schluß.)

Wie Brauſen der Orgel rauſchte die Melodie des
Sturmes.
die Töne anwachſend zu vollem, tollem Jubel, jauchzend,
immer ſtärker und ſtärker, auf. Dann heulte es oben
in den Lüften unter den zerriſſenen, fluchtgepeitſchten
Wolken und unten über die geſpenſtiſch auf Augenblicke
erleuchteten Fluren wie rollender Donner, wie brauſender
Waſſerſturz, mit ſchrillem kurzen Pfeifenklang vermiſcht.
So tobte der Tumult bis er den höchſten Grad erreicht
und bis ſein Schmettern ſich erſchöpfte. Dann ſanken
die Töne ermattet zu finſterm Grollen, zu düſtern Kla-
gen herab und zu Aechzen und Stöhnen, um nach kurzer
Stille zu neuem Raſen und Toſen ſich aufzuraffen. Alle
Geiſter der Lüfte führten entfeſſels' nach dieſem wahnſinnig
tobenden Liede ihren wildverworrenen Reigen.
Jonva lauſchte mit geſpannteſter Aufmerkſamkeit in
die Sturmesnacht. Sie zählte nach dem Takte der Winds-
braut die Minuten bis zur Wiederkehr Loſa's. Die
Minüten ſchienen ſich zu Stunden auszudehnen. Da,
mit einem Male, als eine der kurzen Pauſen des Or-
kans deutlichere Wahrnehmung geſtattete, ſchlug ein eigen-
thümlicher Laut an das Ohr der Zigeunerin. Es war
nicht der Wehruf der vom Winde zerriſſenen Luft — es
war der lange klägliche Aufſchrei einer Menſchenſtimme,
welchen das Wehen des Windes herübertrug. Jona
zitterte bei dieſem Schrei. Ihre Lippen bewegten ſich,
als ob ſie eine Verwünſchung oder ein Gebet ſtammelten.
Aber ihre Worte waren nicht zu verſtehen. Der mit er-
neueter Gewalt losbrechende Orkan verwehte ſie von dem
Munde der zuſammenſchaudernden Zigeunerin.

* *
*

Dem Erben von Steffendorf ließ in jener Nacht
der in der Natur ausgebrochene Sturm, noch mehr aber
der in ſeinem Innern tobende, keine Ruhe. Den Nachen
ſeines Lebens, den er im ſichern Port landen zu können
gewähnt hatte, ſah er durch die von Cöleſtine erfahrene
Zurückweiſung hinausgeſchleudert auf die ſchäumende,
grollende Fluth — ſteuerlos, nachdem die Liebliche, der

er das Ruder anzuvertrauen gehofft, ihn verlaſſen. Wie-

der langte er die Jagdflinte aus dem Gewehrſchranke,
wieder wanderte er hinaus in den Schloßgarten, um-
wedelt von ſeinem treuen Begleiter, dem neufundländer
langhaarigen Hunde. ö
Ihm war der Aufruhr draußen, der die Aeſte der
Pappeln krachend knickte, der die Schieferbedachung des

Schloſſes zu ſeinen Füßen niederſchmetterte, willkommen.

Er ſchritt durch die aufrauſchenden Büſche, unter den
brechenden Bäumen achtlos dahin. Seine Gedanken
weilten bei ſeinem verlorenen Glücke. So lange Cöleſtine
das Schlos bewohnte, und ſich in Gefahr glaubte, war

Mit leiſem Wimmern beginnend, ſchwollen

es Felix zur Gewohnheit geworden, ſo wie heute nächt-

licher Weile ihre Bewachung zu übernehmen. Er um-
ging den Park, er umkreiſte den Schloßhof und ſpähete
nach allen Seiten aus, damit ſie dort oben in jenem
epheuumrankten Schloßthurme der Ruhe pflegen und in
Sicherheit ſein möge. Erſt wenn es im Dorfe und in
den Wirthſchaftsräumen des Schloſſes lebendig wurde,
zog er ſich zurück und überließ ſich ſelbſt auf wenige
Stunden dem Schlummer, nachdem er die Forſtbeamten
geweckt und ihrer Oöhut das Schloß und den darin ge-
borgenen Schatz anvertrauet.
In der heutigen Nacht aber ſchienen ihm der Park
und der Schloßhof für ſeine Runde zu eng, die Wege
zu ſchmal. Er wollte hinaus auf das freie Feld, um
den Athem des Sturmes einzuſaugen, um in dem eiſigen
laſen. deſſelben ſein verwundetes Herz ausbluten zu
laſſen.
Als er ſich der ſchmalen braunen Pforte näherte,‚
welche ins Freie führt, weigerte ſich Nero, der große
neufundländer Hund, ſeinem Herrn zu folgen. Der
Hund lief ſuchend und ſchnoppernd, dann und wann ein
leiſes Knurren ausſtoßend, in den Gebüſchen, welche die
Mauer von Innen ſchirmten, umher. Felix achtete nicht
hierauf, blieb aber eine Weile in Nachdenken feſtgewurzelt
unter einer mächtigen Buche ſtehen. Der verſtorbene
Oheim hatte dieſen Baum die Agnesbuche genannt und
war niemals an demſelben, ohne dieſen Namen in weh-
müthiger Erinnerung auszuſprechen, vorübergegangen.
Die neben dem Baume befindliche Steinbank war der
letzte Ruheplatz geweſen, auf welchem Cöleſtine's Mutter
geſeſſen, bevor ſie ihre Heimath verließ und in die kalte
Fremde, in das „Elend“ zog.
Nero ſuchte ſeinen dort in Nachſinnen lange ver-
weilenden Herrn aufzumuntern. Er ſprang in haſtigen
Sätzen nach der Parkmauer und legte ſich dann winſelnd
zu Felix Füßen. Der letztere blieb unbeweglich. Als
aber Nero ſich endlich an ſeinem Herrn hoch aufrichtete
und ſeine Pfoten auf die Achſeln deſſelben legte, ſtreichelte
Felix das zottige Thier liebkoſend, ſeinen Kopf zu ihm
wendend und — eine Thräne trat in ſein Auge. Ihn
rührte die Anhänglichkeit des Thiers und dieſe Rührung
weckte ihn aus ſeinen Träumen. Er bemerkte, daß Nero
etwas Ungewöhnliches beobachtet haben müſſe, und, wäh-
rend der Hund verſtändnißvoll und regungslos neben
ihm ſtehen blieb, durchforſchte Felix, an den Stamm jener
mächtigen Buche gelehnt, mit ſcharfem Auge die Um-
gebung.
Die Dorfuhr ſchlug die zwölfte Stunde.
Bald darauf bemerkte Felix, daß linker Hand an
der vor ihm liegenden Parkmauer ſich etwas regte. Ein
über die Mauer flüchtig hinhuſchender Mondſtrahl ließ
erkennen, daß das fahle Antlitz eines Menſchen ſich über
dieſelbe langſam emporhob. Unmittelbar darauf folgte
Dunkelheit. Aber es ſchien Felix, als ob ein ſchwerer
Gegenſtand von der Mauer ſich herabwarf. In ſchwachen
Umriſſen erkennbar ſchritt gleich darauf eine große menſch-
liche Geſtalt in unhörbarer, ſchneller Bewegung quer
über die Anlage dem Schloſſe zu.
 
Annotationen